Christina Morina: Es gibt auf beiden Seiten eine große Vielfalt an Vorstellungen, was Demokratie ist oder sein könnte, aber es gibt jeweils eine eigensinnige, eigene Geschichte der Demokratievorstellungen. Die hat in der alten Bundesrepublik mit der gelernten repräsentativen Demokratie zu tun, die sehr stark durch die Grundgesetzordnung geprägt ist. In Ostdeutschland ist der Begriff der Demokratie sehr ambivalent und zwiespältig, weil einerseits die SED behauptete, es gebe in der DDR eine sozialistische Demokratie – eine Art Volksdemokratie, die rein propagandistisch existierte, es andererseits aber auch Positionen gab, die diese offizielle Linie herausforderten und dem etwas entgegensetzten, insbesondere die Auffassung, dass man nicht die „eine“ Partei braucht, die das Land beherrscht, sondern direkte basisdemokratische Verfahren und Einflussmöglichkeiten. Es gibt eine starke basisdemokratische Orientierung, die man in der DDR schon vor 1989 hatte, und die nach 1989 weiter zu beobachten ist. Wahrscheinlich spielt sie bis heute eine signifikante Rolle in der doch so unterschiedlichen Kultur beider Landesteile.