INTERVIEW DER WOCHE

"Illegale Seiten eindämmen"

23. März 2021
Michael Roesler-Graichen

Rechteinhaber und Internetzugangsanbieter haben eine gemeinsame Clearingstelle (CUII) gegründet, um die illegale Verbreitung urheberrechtlich geschützter Inhalte zu bekämpfen. Der Börsenverein ist Gründungsmitglied. Susanne Barwick, stellvertretende Justiziarin des Börsenvereins, Katrin Stienemeier, Justiziarin von Springer Nature, und der Urheberrechtsanwalt Jan Bernd Nordemann über die Ziele und das Verfahren der CUII.

In den vergangenen Jahren hat die GVU, bevor sie Insolvenz anmelden musste, illegale E-Book- und Filesharing-Plattformen hochgenommen. Welche kapitalen Fälle warten auf die CUII?
Susanne Barwick: Zunächst einmal ist zu sagen, dass die Ansätze von GVU und der CUII unterschiedlich sind. Die GVU beschäftigte ein Investigationsteam, welches aus Ermittlern mit Strafverfolgungshintergrund, spezialisierten Juristen sowie IT-Spezialisten bestand. Dieses Team hat versucht, die Hintermänner der illegalen Plattformen zu ermitteln. Bei Erfolg wurden die Ergebnisse der zuständigen Staatsanwaltschaft zugänglich gemacht, die dann – wenn alles gut ging – die Strafverfolgung einleiten konnten. Auf diese Weise konnte man die komplette Abschaltung der Plattformen erreichen, was natürlich die beste Alternative ist. Teilweise hat es aber sehr lange gedauert, bis es Ermittlungsansätze gab. In der Zwischenzeit waren die Verlage dem illegalen Treiben mehr oder weniger hilflos ausgesetzt. In diesem Zusammenhang kommt jetzt die Sperrung des Zugangs zu strukturell urheberrechtsverletzenden Webseiten ins Spiel. Bei Webseiten, die illegal Inhalte anbieten und an die man anders nicht herankommt, kann es hilfreich sein, den Zugang zu sperren. Um langwierige Gerichtsverfahren zwischen Rechteinhabern und Internetzugangsanbietern zu vermeiden, wurde nun die Clearingstelle Urheberrecht im Internet (CUII) ins Leben gerufen. Diese wurde von Rechteinhabern und Internetzugangsanbietern gegründet, um zu prüfen, ob die Sperrung des Zugangs zu einer strukturell urheberrechtsverletzenden Webseite rechtmäßig ist. Es sollen nur eindeutige Fälle von urheberrechtsverletzenden Webseiten gesperrt werden. Ein Beispiel aus dem Verlagsbereich könnte zum Beispiel die Piratenplattform zlibrary oder SciHub sein.

Wie groß ist momentan die Dimension der Internetpiraterie für den Verlagsbereich?
Susanne Barwick: Die Internetpiraterie ist nach wie vor ein großes Problem. Es melden sich regelmäßig Verlage bei uns in der Rechtsabteilung, die entdecken, dass ihre Inhalte illegal zur Verfügung gestellt werden. Oft handelt es sich dabei "nur" um sogenannte Scam-Seiten, mit denen versucht wird, Daten-Phishing zu betreiben. Es gibt aber auch immer wieder neue urheberrechtsverletzende Webseiten. Zuletzt wurden wir zum Beispiel darauf aufmerksam gemacht, dass auf Telegram-Gruppen illegal Inhalte geteilt werden. Die Europäische Kommission hat Telegram deshalb auch auf die Counterfeit und Piracy Watch List aufgenommen.
Katrin Stienemeier: Das kann ich nur bestätigen. Um einen Anhaltspunkt für das Ausmaß der Rechtsverletzungen zu geben: Eine große Piracy-Site gibt auf der eigenen Seite derzeit an, Zugang zu "more than 85,483,812 papers" zu geben. Zudem ändern die Piraten auch stetig, wie der Zugriff auf die illegal gezeigten Inhalte erfolgen kann, so dass die Verfolgung sehr schwierig ist. Als Teil des Engagements des STM Verbandes (www.stm-assoc.org), die Integrität von wissenschaftlichen Publikationen zu schützen, haben die Mitglieder daher neben der Beteiligung an CUII eine Initiative mit dem Namen SNSI gegründet, die Scholarly Network Security Initiative (www.snsi.info), die kleine und große Wissenschaftsverlage, Fachgesellschaften und Universitätsverlage und andere Akteure aus der Wissenschaftswelt zusammenbringt, um gemeinsam die Herausforderungen der Internetpiraterie zu lösen und so unter anderem auch die Integrität der Publikationen, aber auch persönliche Daten zu schützen.

Sind wissenschaftliche Publikationen in stärkerem Maße betroffen als Publikumstitel?
Katrin Stienemeier: Wissenschaftliche Publikationen sind wahrscheinlich in ähnlichem Maße betroffen wie Publikumstitel, aber ich denke, dass hier der Druck, Zugang zu bestimmten Werken zu erhalten, ein größerer ist. Es geht darum, dass der Zugang zu einem möglichst breiten Spektrum an wissenschaftlichen Werken an Universitäten, Bibliotheken oder Research-Abteilungen entscheidend für den beruflichen Werdegang und die Weiterentwicklung der Wissenschaft ist.

Von wem ging die Initiative für die neue Clearingstelle aus?
Jan Nordemann: Wie es bei einem großen Projekt nicht selten ist, kam der Anstoß aus verschiedenen Richtungen. Ein wesentlicher Anstoß war der Rechtsstreit eines Filmrechte-Inhabers gegen einen großen deutschen Zugangsprovider. Dort kam die Frage auf, ob es eine bessere Lösung gibt, als sich lange vor Gericht in den vielen Einzelfällen zu streiten. Auch aus der Musikindustrie kamen just zur gleichen Zeit erste Anregungen für eine breitere Lösung. In verschiedenen EU-Mitgliedsstaaten gibt es ähnliche Lösungen schon wie zum Beispiel in Dänemark und Portugal.
Katrin Stienemeier: Als Springer Nature von der Kanzlei Nordemann auf diese Initiative im Jahr 2019 angesprochen wurde, haben wir unsere Beteiligung an der Gründung sofort zugesagt.

Es gab auch aufseiten der Zugangsanbieter ein großes Interesse an einer einfacheren Regelung.

Katrin Stienemeier, Springer Nature

Stießen die Rechteinhaber bei den Zugangsanbietern auf offene Ohren?
Katrin Stienemeier: Es gab auch aufseiten der Zugangsanbieter ein großes Interesse an einer einfacheren Regelung dieser Sachverhalte. Naturgemäß sind die Interessen dort anders gelagert als für die Rechteinhaber, aber die Gespräche waren stets konstruktiv und geprägt vom Verständnis für diese verschiedenen Ausgangslagen.
Jan Nordemann: Die Internetzugangsprovider wollten – wie übrigens die beteiligten Rechteinhaber auch – immer ein Prüfverfahren, das beides leisten kann, hohe Qualität der Prüfung und hohe Fallzahlen. Die Internetzugangsprovider konnten letztlich dadurch überzeugt werden, dass sie mit der CUII eine hohe Zahl von jahrelang dauernden Rechtsstreiten vermeiden.

Welche Rolle hat der Börsenverein als Gründungspartner gespielt?
Susanne Barwick: Der Börsenverein war nicht von den allerersten Anfängen an der Entwicklung der CUII beteiligt. Als uns das Projekt vorgestellt wurde, haben wir uns dann aber ohne langes Zögern entschieden, Gründungsmitglied zu werden. Wir sind einfach der Meinung, dass man illegalen Webseiten, an die man auf anderem Wege nicht herankommt, etwas entgegensetzen muss.

Was ist eine strukturell urheberrechtsverletzende Webseite?
Susanne Barwick: Das Angebot von strukturell urheberrechtsverletzenden Webseiten ist gezielt auf die Verletzung von urheberrechtlich geschützten Werken ausgerichtet. Legale Inhalte gibt es auf diesen Plattformen kaum. Die Angebote weisen regelmäßig hohe Nutzerzahlen auf und erzielen dadurch auch hohe Werbeerlöse. Beispiele sind thepiratebay.org, kinox.to oder goldesel.to.

Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit man sie als solche einstuft?
Susanne Barwick: Der Bundesgerichtshof hat bereits in der Vergangenheit geurteilt, dass DNS-Sperren in bestimmten Fällen möglich sind, dies aber an gewisse Voraussetzungen geknüpft. Die Webseite muss zunächst urheberrechtlich geschützte Werke illegal zum Download oder Streaming anbieten. Für den Rechteinhaber darf keine Möglichkeit bestehen, direkt gegen die Webseite oder ihren Host-Provider vorzugehen. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn die Hintermänner anonym agieren, die Webseite kein Impressum hat, ein Kontakt über die angegebenen E-Mail-Adressen nicht erfolgreich ist und/oder eine Strafanzeige oder private Ermittlungen nicht zum Erfolg geführt haben, und auch der Host-Provider nicht reagiert bzw. die strukturell rechtsverletzende Webseite oft den Host-Provider wechselt.

Wenn das Recht an einem Verlagstitel akut verletzt wird – welche Maßnahmen kann ein Verlag zunächst ergreifen?
Susanne Barwick: Je nach Art der Webseite gibt es verschiedene Möglichkeiten: Im Falle von Filesharing-Plattformen besteht regelmäßig nur die Möglichkeit, mit Hilfe eines Dienstleisters und einer Anwaltskanzlei gegen die Nutzer vorzugehen. Bei Sharehostern kann der Verlag – selbst oder über einen Dienstleister – sogenannte Notice-and-take-down-Nachrichten versenden. Der Börsenverein selbst hat in diesem Zusammenhang zwei Musterverfahren gegen die Sharehoster Rapidshare und Uploaded mitfinanziert. Der Bundesgerichtshof hatte Rapidshare dazu verurteilt, wirksame Maßnahmen gegen die Nutzung illegaler Inhalte zu ergreifen, Rapidshare hat mittlerweile seinen Dienst vollständig eingestellt. Das Verfahren gegen Uploaded.to ist zurzeit vor dem Europäischen Gerichtshof anhängig.

Wir werden beobachten, welche Webseite für die Mehrheit unserer Mitglieder am problematischsten ist und gegen diese dann zu gegebener Zeit ein Sperrverfahren einleiten.

Susanne Barwick, Börsenverein

Wann ist der Zeitpunkt gekommen, die Clearingstelle anzurufen?
Susanne Barwick: Die CUII kann nur mit Zustimmung ihrer Mitglieder angerufen werden. Der Börsenverein ist Mitglied geworden. Mitgliedsverlage können sich also gerne weiterhin an die Rechtsabteilung wenden. Wir werden beobachten, welche Webseite für die Mehrheit unserer Mitglieder am problematischsten ist und gegen diese dann zu gegebener Zeit ein Sperrverfahren einleiten.
Katrin Stienemeier: Ähnliches gilt für den STM, den Verband der Wissenschaftsverlage. Es gibt hier eine interne Arbeitsgruppe, die Fälle diskutiert, in denen eine massenhaft urheberrechtsverletzende Seite vorliegt, die nicht auf anderem Wege, zum Beispiel mit dem oben erwähnten „Take-down-Verfahren“ gestoppt werden kann. Jedes Mitglied kann uns diese Fälle zur Kenntnis bringen, so dass wir entscheiden können, ob die Voraussetzungen vorliegen, sie in die CUII einzubringen.

Welchen Part spielt die Bundesnetzagentur in dem Verfahren?
Susanne Barwick: Ein Rechteinhaber kann bei der CUII einen Antrag auf Sperrung stellen. Geprüft wird der Antrag durch Prüfungsausschüsse, die jeweils unter dem Vorsitz von ehemaligen Vorsitzenden Richtern am Bundesgerichtshof stehen. Wenn der Ausschuss nach Prüfung des Antrags die Sperrung der strukturell urheberrechtsverletzenden Webseite empfiehlt, geht diese Empfehlung zunächst an die Bundesnetzagentur. Ergibt die Prüfung der Bundesnetzagentur, dass eine DNS-Sperre unter den Maßgaben der Netzneutralitätsverordnung unbedenklich ist, teilt sie dies der CUII mit, die wiederum den Internetzugangsanbietern sowie den Antragstellern mitteilt, dass die Sperre durchgeführt werden kann.

Die von einem dreiköpfigen Prüfungsausschuss einstimmig ergangene Sperrungsempfehlung und deren Umsetzung (DNS-Sperre) ist die schärfste Sanktion der CUII. Können Verlage parallel dazu den Rechtsweg beschreiten?
Susanne Barwick: Den zivilrechtlichen Rechtsweg gegen die Webseite können Rechteinhaber mangels Kenntnis der Identität von deren Betreibern, also den Hintermännern des illegalen Angebots, nicht gehen. Es bleibt die Möglichkeit, Strafantrag gegen Unbekannt zu stellen. Häufig stellen die Staatsanwaltschaften derartige Strafantragsverfahren ein, weil sie ebenfalls keine Ermittlungsansätze finden, die zu den Verantwortlichen für ein Angebot führen. Den Weg über das Sperrverfahren wählt man ja letztendlich, weil es keine anderen Möglichkeiten gibt.

Haben Verlage die Möglichkeit, gegen eine negative Entscheidung des Prüfungsausschusses zu klagen?
Susanne Barwick: Grundsätzlich: Ja. In diesem Fall kann natürlich versucht werden, über die Gerichte eine Sperre zu erreichen. Aber da der Prüfungsausschuss die gleichen Maßstäbe wie ein Gericht anwendet, macht dies eigentlich keinen Sinn.

Die Vorsitzenden der Prüfausschüsse sind jeweils ehemalige Richter des BGH, die dort jahrelang höchstrichterlich urheberrechtliche Fälle entschieden haben. Mehr urheberrechtliche Kompetenz geht nicht.

Jan Bernd Nordemann, Kanzlei Nordemann

Nach welchen Gesichtspunkten wird das Gremium besetzt?
Jan Nordemann: Derzeit gibt es bei der CUII zwei Prüfausschüsse. Sie haben jeweils einen unabhängigen Vorsitzenden, der nicht den Weisungen der CUII oder der CUII-Mitglieder unterliegt. Die Vorsitzenden der Prüfausschüsse sind jeweils ehemalige Richter des BGH, die dort jahrelang höchstrichterlich urheberrechtliche Fälle entschieden haben. Mehr urheberrechtliche Kompetenz geht nicht. Die anderen beiden Mitglieder der Prüfausschüsse werden von den an der CUII beteiligten Rechteinhabern und von den an CUII beteiligten Internetzugangsanbietern gestellt, so dass immer ein Rechteinhabervertreter und ein Vertreter eines Internetzugangsanbieter gemeinsam mit dem BGH-Richter im Prüfausschuss sitzen und über die Empfehlung beraten und sie verfassen.

Auch die CUII braucht Mittel für ihre Arbeit. Wie wird sie finanziert?
Susanne Barwick: Die Mitglieder zahlen einen jährlichen Beitrag, der die Grundkosten für den Betrieb der CUII abdeckt. Damit im Einzelfall ein Antrag gestellt werden kann, der Aussicht auf die tatsächliche Verhängung einer DNS-Sperre bietet, müssen durch Technikdienstleister Beweise gesichert und durch Anwält*innen zum Vortrag vor dem Prüfungsausschuss aufbereitet werden. Daneben fallen Kosten für das Tätigwerden des Prüfungsausschusses im Einzelfall an.

Der jährliche Beitrag der Mitglieder zu den Grundkosten der CUII liegt je nach CUII-Mitgliederzahl im hohen vierstelligen oder niedrigen fünfstelligen Eurobereich. Die Kosten, die mit einer Antragstellung verbunden sind, richten sich nach dem Aufwand im Einzelfall. Sie dürften sich im niedrigen fünfstelligen Eurobereich bewegen. Aufgrund der budgetären Restriktionen beim Börsenverein werden wir uns bei den vom Verband betriebenen CUII-Verfahren auf die ganz dicken Fische in den Bereichen E-Book und Audiobook beschränken müssen. Nach einer von den internationalen Verlegerverbänden geführten Liste sind über 2.000 Websites bekannt, die ausschließlich oder auch Buch- und Hörbuchinhalte rechtswidrig anbieten. Die bloße Inbetriebnahme der CUII wird daran nichts ändern. Worum es geht, ist, die Zugriffszahlen bei den wirklich stark frequentierten Anbietern zu senken und damit zugleich für mehr Nachfrage bei den legalen Plattformen zu sorgen.