In den vergangenen Jahren hat die GVU, bevor sie Insolvenz anmelden musste, illegale E-Book- und Filesharing-Plattformen hochgenommen. Welche kapitalen Fälle warten auf die CUII?
Susanne Barwick: Zunächst einmal ist zu sagen, dass die Ansätze von GVU und der CUII unterschiedlich sind. Die GVU beschäftigte ein Investigationsteam, welches aus Ermittlern mit Strafverfolgungshintergrund, spezialisierten Juristen sowie IT-Spezialisten bestand. Dieses Team hat versucht, die Hintermänner der illegalen Plattformen zu ermitteln. Bei Erfolg wurden die Ergebnisse der zuständigen Staatsanwaltschaft zugänglich gemacht, die dann – wenn alles gut ging – die Strafverfolgung einleiten konnten. Auf diese Weise konnte man die komplette Abschaltung der Plattformen erreichen, was natürlich die beste Alternative ist. Teilweise hat es aber sehr lange gedauert, bis es Ermittlungsansätze gab. In der Zwischenzeit waren die Verlage dem illegalen Treiben mehr oder weniger hilflos ausgesetzt. In diesem Zusammenhang kommt jetzt die Sperrung des Zugangs zu strukturell urheberrechtsverletzenden Webseiten ins Spiel. Bei Webseiten, die illegal Inhalte anbieten und an die man anders nicht herankommt, kann es hilfreich sein, den Zugang zu sperren. Um langwierige Gerichtsverfahren zwischen Rechteinhabern und Internetzugangsanbietern zu vermeiden, wurde nun die Clearingstelle Urheberrecht im Internet (CUII) ins Leben gerufen. Diese wurde von Rechteinhabern und Internetzugangsanbietern gegründet, um zu prüfen, ob die Sperrung des Zugangs zu einer strukturell urheberrechtsverletzenden Webseite rechtmäßig ist. Es sollen nur eindeutige Fälle von urheberrechtsverletzenden Webseiten gesperrt werden. Ein Beispiel aus dem Verlagsbereich könnte zum Beispiel die Piratenplattform zlibrary oder SciHub sein.
Wie groß ist momentan die Dimension der Internetpiraterie für den Verlagsbereich?
Susanne Barwick: Die Internetpiraterie ist nach wie vor ein großes Problem. Es melden sich regelmäßig Verlage bei uns in der Rechtsabteilung, die entdecken, dass ihre Inhalte illegal zur Verfügung gestellt werden. Oft handelt es sich dabei "nur" um sogenannte Scam-Seiten, mit denen versucht wird, Daten-Phishing zu betreiben. Es gibt aber auch immer wieder neue urheberrechtsverletzende Webseiten. Zuletzt wurden wir zum Beispiel darauf aufmerksam gemacht, dass auf Telegram-Gruppen illegal Inhalte geteilt werden. Die Europäische Kommission hat Telegram deshalb auch auf die Counterfeit und Piracy Watch List aufgenommen.
Katrin Stienemeier: Das kann ich nur bestätigen. Um einen Anhaltspunkt für das Ausmaß der Rechtsverletzungen zu geben: Eine große Piracy-Site gibt auf der eigenen Seite derzeit an, Zugang zu "more than 85,483,812 papers" zu geben. Zudem ändern die Piraten auch stetig, wie der Zugriff auf die illegal gezeigten Inhalte erfolgen kann, so dass die Verfolgung sehr schwierig ist. Als Teil des Engagements des STM Verbandes (www.stm-assoc.org), die Integrität von wissenschaftlichen Publikationen zu schützen, haben die Mitglieder daher neben der Beteiligung an CUII eine Initiative mit dem Namen SNSI gegründet, die Scholarly Network Security Initiative (www.snsi.info), die kleine und große Wissenschaftsverlage, Fachgesellschaften und Universitätsverlage und andere Akteure aus der Wissenschaftswelt zusammenbringt, um gemeinsam die Herausforderungen der Internetpiraterie zu lösen und so unter anderem auch die Integrität der Publikationen, aber auch persönliche Daten zu schützen.
Sind wissenschaftliche Publikationen in stärkerem Maße betroffen als Publikumstitel?
Katrin Stienemeier: Wissenschaftliche Publikationen sind wahrscheinlich in ähnlichem Maße betroffen wie Publikumstitel, aber ich denke, dass hier der Druck, Zugang zu bestimmten Werken zu erhalten, ein größerer ist. Es geht darum, dass der Zugang zu einem möglichst breiten Spektrum an wissenschaftlichen Werken an Universitäten, Bibliotheken oder Research-Abteilungen entscheidend für den beruflichen Werdegang und die Weiterentwicklung der Wissenschaft ist.
Von wem ging die Initiative für die neue Clearingstelle aus?
Jan Nordemann: Wie es bei einem großen Projekt nicht selten ist, kam der Anstoß aus verschiedenen Richtungen. Ein wesentlicher Anstoß war der Rechtsstreit eines Filmrechte-Inhabers gegen einen großen deutschen Zugangsprovider. Dort kam die Frage auf, ob es eine bessere Lösung gibt, als sich lange vor Gericht in den vielen Einzelfällen zu streiten. Auch aus der Musikindustrie kamen just zur gleichen Zeit erste Anregungen für eine breitere Lösung. In verschiedenen EU-Mitgliedsstaaten gibt es ähnliche Lösungen schon wie zum Beispiel in Dänemark und Portugal.
Katrin Stienemeier: Als Springer Nature von der Kanzlei Nordemann auf diese Initiative im Jahr 2019 angesprochen wurde, haben wir unsere Beteiligung an der Gründung sofort zugesagt.