Zum 60. Geburtstag von Matthias Ulmer

"Ein Idealist im besten Sinne des Wortes"

15. November 2024
Nadja Kneissler

Matthias Ulmer ist Verleger in fünfter Generation - und feiert am 16. November seinen 60. Geburtstag. Weggefährtin Nadja Kneissler gratuliert dem Verleger und Geschäftsführer des Eugen Ulmer Verlags, "der jedes Thema extrem gründlich hinterfragt, prüft, durchdenkt – und dann mit Leidenschaft und Klarheit neue Strukturen und Ordnungen ersinnt".

Matthias Ulmer

Leidenschaft und Klarheit

"Nicht die Wahrheit, in deren Besitz irgendein Mensch ist oder zu sein vermeinet, sondern die aufrichtige Mühe, die er angewandt hat, hinter die Wahrheit zu kommen, macht den Wert des Menschen." (Lessing)

Dieses Zitat scheint mir gut zu passen für Matthias Ulmer. Er ist ein Idealist im besten Sinne des Wortes. Einer, der Ideale hat und diese auch lebt. Ein Visionär, der sich gerne mit der Zukunft beschäftigt. Und ein bisschen auch ein Revolutionär. Unglaublich belesen und mit einem enormen Wissensschatz. Einer, der jedes Thema extrem gründlich hinterfragt, prüft, durchdenkt – und dann mit Leidenschaft und Klarheit neue Strukturen und Ordnungen ersinnt. Er wäre ein ausgezeichneter Professor, denn da darf man – und soll man sogar! –  stundenlang ungebremst sein Wissen weitergeben. Das tut er gern.

Das Schicksal hatte jedoch andere Pläne für ihn. Als jüngstes Kind einer Verlegerfamilie ist er heute in fünfter Generation Verleger – und das mit viel Herz und Leidenschaft.

Französische Eskapade

Unsere Wege kreuzten sich 1992. Ich war Lektoratsassistentin im Ulmer Verlag – und Matthias Ulmer erfüllte den Traum seines Vaters: Ein französischer Tochterverlag stand auf dem Wunschzettel. Also ging Matthias nach dem Volkswirtschaftsstudium nach Paris, lernte à la vitesse de l´éclair Französisch und gründete genauso blitzschnell die Editions Ulmer.  Ich erinnere mich mit Zähneklappern an das winzige, unbeheizbare, aber sehr charmante Büro in Paris mit den beiden liebenswerten, ebenfalls zähneklappernden französischen Kollegen Emmanuelle und Antoine.  Nach 5 Jahren machte Matthias Ulmer dort das, was zu seinen größten Stärken gehört: Er überließ das französische Start-up vertrauensvoll seinem kleinen französischen Team – es ist bis heute ein florierendes Tochterunternehmen, jetzt geführt von Emmanuelle.

Nadja Kneissler

Nadja Kneissler

Cheftrainer

Während sein Vater als Vorsteher im Börsenverein viel Zeit in Frankfurt verbrachte, analysierte er den Verlag. Und startete mit dem Umbau des Fachverlages zu einem modernen Medienhaus inklusive Ratgebersegment und Digitalgeschäft. Ich konnte live miterleben, welch visionäre Kraft er hatte: ob Gartenbauredaktionen oder modernes Lehrbuch in der UTB, ob neues Verlagsbranding oder digitale Geschäftsfelder – er setzte nicht nur neue Impulse, sondern nutzte auch gern die gerade angesagtesten Techniken und Methoden, um gemeinsam mit seiner Belegschaft, die er als große Verlagsfamilie betrachtet, kreative Ideen zu entwickeln und neue Wege zu gehen. Dabei ist es ihm immer wichtig, dass alle eingebunden werden. Unvergessen bleibt die basisdemokratische Abstimmung über die Farbe des neuen Teppichbodens im Verlag – eine Aktion, die die Belegschaft über Wochen beschäftigte und erstaunlicherweise in der Farbe Ochsenblutrot mündete (ich gestehe, ich gehörte zur Meerblau- Minderheit, aber in gelebten Demokratien schreitet man dann auch gelassen über das Ochsenblut).

Die logische Konsequenz aus dieser Sichtweise auf Führung: Heute ist der Ulmer Verlag ganz neu aufgestellt mit agilen Strukturen, in denen Führungskräfte vor allem Coaching-Funktionen wahrnehmen und selbstorganisierte Teams neue Ideen und Marktzugänge entwickeln.  Der Fußballfan Matthias Ulmer, dem wir bei der Fußball-WM 2006 ein firmeninternes Public-Viewing-Sommermärchen mit Großleinwand und Freistunden zum Gucken im Verlag zu verdanken hatten, ist der Cheftrainer.

Visionär

Seine Aktivitäten im Börsenverein begannen vergleichsweise harmlos mit der Gründung der IG Ratgeber – ein Segment, das vorher deutlich zu wenig im Fokus der Branche stand. Doch dann zog er alle Register: Zusammen mit Martin Spencker – und vermutlich einigen Flaschen guten Rotweins – formulierte er 55 Thesen zur Zukunft der Branche und des Börsenvereins. Ich glaube, er hätte sie gern wie Martin Luther an die Tür des Haus des Buches in Frankfurt genagelt – stattdessen wurden sie ordnungsgemäß von den drei Fachausschüssen im Juni 2011 auf den Buchtagen in Berlin vorgestellt. Das Resultat war die erste Zukunftskonferenz des Börsenvereins: 100 Menschen aus der Branche überlegten unter Einsatz damals modernster Szenariotechnik auf dem Mediacampus Frankfurt, wie die Buchbranche 2025 aussehen wird und was das für den Verband bedeutet. Lesenswert – zumal 2025 jetzt vor der Tür steht. So einige der Thesen passen heute noch perfekt. Die Ergebnisse gibt es auf hier auf Youtube.

Natürlich wurde er zum Vorsitzenden des Ausschusses für Verlage gewählt. Er machte auch hier das, was er so wunderbar beherrscht: Strukturieren, klare Ressorts entwickeln, gemeinsam Ziele formulieren, Delegieren, dem Team vertrauen, – und wenn nötig, auch mal hart kämpfen in den Vorstandssitzungen. Zum Beispiel für den Fortbestand der Mitgliedschaft in den internationalen Verbänden und in der Fachpresse oder für intensivere Lobbyarbeit. Der Ausschuss hat durch ihn eine völlig neue Qualität gewonnen.

Medienbauer

Einen Verlag führen, ein intensives Familienleben, Ehrenämter, der Aufbau einer beispielhaften Bildungspartnerschaft zwischen Verlag und Geschwister-Scholl-Gymnasium – das alles reichte offensichtlich nicht aus, um die Tage zu füllen. Oder waren es die Nächte, in denen das Buch "Medienbauer" entstand? Zum 150-jährigen Jubiläum des Eugen Ulmer Verlages beleuchtet er die Wechselwirkung von Medien, Wirtschaftsbranchen und gesellschaftlicher Entwicklung – fesselnde 792 Seiten, ein fulminantes Werk. Nicht nur der Buchtitel verrät, dass er das Prinzip Säen, Pflegen, Ernten in allen Bereichen des Lebens erkennt und umsetzt. 150 Jahre Landwirtschafts- und Gartenverlag zeigen da fast schon epigenetische Wirkung.

Lieber Matthias, bei jedem unserer Treffen bin ich tief beeindruckt – denn immer hast du dir zu den aktuellen Themen der Branche – und denen der Welt –  schon Gedanken gemacht, immer kannst du schon mit Hintergrundwissen glänzen, immer hast du spannende Thesen parat oder Sätze wie diesen aus einem Buchreport-Interview (2023), die einen zwingen, mal kurz innezuhalten und darüber nachzudenken: "Die Moderne ist charakterisiert durch die Industrialisierung, aber die Digitalisierung bedeutet Individualisierung, Das heißt, die Digitalisierung ist das Ende der Moderne und damit auch der Industrialisierung." Solche Formulierungen sind Einladungen zu intensiven Diskussionen, auf die du dich immer gerne einlässt. Ich habe viel gelernt durch dich und von dir – dafür bin ich dir zutiefst dankbar. Doch am meisten beeindruckt mich dein Umgang mit Menschen: Du eröffnest ihnen Möglichkeiten, du unterstützt – und du vertraust auf ihre Fähigkeiten. Du vermittelst ihnen Selbstwertgefühl. Du schenkst Ihnen Freiheit – ein unschätzbar hohes Gut. Und wenn man sich zu deinen Freunden zählen darf, weiß man, dass man sich immer auf dich verlassen kann. Ein Leben lang.  Ein gutes Gefühl.

Gemeinsam mit all deinen Freunden und Wegbegleitern aus der Branche gratuliere ich dir von ganzem Herzen,

Nadja Kneissler