Festabend zu 150 Jahren Ulmer Verlag

Der Großfamilienverlag

11. Juni 2018
Redaktion Börsenblatt

Mit einem Bankett in der Stuttgarter Alten Reithalle feierten Gesellschafter und Mitarbeiter des Verlags Eugen Ulmer das 150-jährige Bestehen ihres Unternehmens. Gut 350 Gäste, Freunde und Geschäftspartner, Prominenz der Buchbranche, Vertreter aus Verbänden der Landwirtschaft und des Gartenbaus waren am vergangenen Freitagabend der Einladung gefolgt.

Dass hier ein Fachverlag seine thematische Zuständigkeit ernst nahm, blieb an keiner Stelle undeutlich: Den Empfang auf dem Vorplatz der Alten Reithalle begleiteten Hirten und Bäuerinnen in historischer Tracht, verteilten frische Äpfel (keine so schlechte Idee bei 32 Grad im Schatten) und trieben die Herde der Gäste beizeiten ins kühle Innere. 

Auf die Erkundigung nach dem Dresscode hatte der Verleger Matthias Ulmer im Vorfeld die Ansage parat: „So wie die Bauern zur Kirche gingen.“ Im Sonntagsanzug nämlich, wie denn sonst! Und der Versammlungsort, die architekturgeschichtlich bedeutende Alte Reithalle, die 1888 (nur 20 Jahre nach der Gründung des Verlags) zur Belebung des städtischen Pferdemarkts erbaut worden war, hat seinerseits insoweit auch landwirtschaftliche Wurzeln. 

Alles stimmte also, passte, fügte sich ineinander für diesen festlichen Abend zum 150-jährigen Bestehen eines Familienunternehmens, dessen Gesellschafter bis heute alle Ulmer heißen.

Dass hier ein Familienunternehmen zu Tisch bat, zeigte sich in den Wortbeiträgen des Abends. Mehrfach kam die Rede auf ein familiäres Ethos der Pflicht gegenüber Verlag und Mitarbeitern. Wiederholt war zu hören von „Eigensinn“ und „Hartnäckigkeit“ in der Führung des Hauses durch die Wechselfälle der Geschichte. Für entschiedenes Arbeiten an der Zukunft stand schon der Gründer des Verlags, Eugen Ulmer; die Haltung galt fort für dessen Sohn Richard Ulmer, der zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts in das Unternehmen eintrat; sie galt nicht minder für Roland Ulmer, den Enkel Richards, der 1960 im Alter von 23 die Verantwortung übernahm.

Und sie gilt weiter für den heute geschäftsführenden Gesellschafter Matthias Ulmer, der in seiner Begrüßung betonte, wie wichtig ihm und der Familie in geschäftlichen wie in persönlichen Beziehungen die Nachhaltigkeit sei: Seit 150 Jahren Mitglied im Börsenverein! Seit 144 Jahren alle Firmenkonten bei der Deutschen Bank, „und hoffentlich noch ein paar Jahre länger“ (ermunternder Beifall, spürbar dem Bankhaus zugedacht). Seit Jahrzehnten verbunden mit manchen Autoren – Ulmer nannte den Gartenexperten Edgar Gugenhan, der seit erstaunlichen 67 Jahren für den Verlag schreibe.

Als Gesellschafterin unterstrich Matthias Ulmers Schwester Constanze Ulmer-Eilfort, welch hoher Rang im Unternehmen der Zusammengehörigkeit zukomme. „Der Verlag käme auch ohne Gesellschafter aus“, vermutete die Rechtsanwältin und Partnerin der internationalen Kanzlei Baker McKenzie, „aber nicht ohne seine Mitarbeiter.“ Diese wiesen im Durchschnitt, inklusive Auszubildende, eine Betriebszugehörigkeit von 13 Jahren auf. Auch für sie selbst, so Ulmer-Eilfort, sei der Verlag lange Zeit „mein Zuhause gewesen: die Ulmer-Großfamilie eben“. Sehr offen fügte sie jedoch hinzu, dass eine Führungsaufgabe im Verlag für sie damals nicht in Betracht gezogen worden sei – für die Tochter, das Mädchen, hatte die Familie andere, vermeintlich „weiblichere“ Ziele im Sinn. Das „Role Model“ Verlagschefin war noch nicht verfügbar. Was sich später dann grundlegend änderte: „Vier von acht Mitgliedern der Ulmer-Geschäftsleitung sind heute Frauen.“

Börsenvereinsvorsteher Heinrich Riethmüller blickte aus der Sicht eines Interessenvertreters der Buchbranche auf die vergangenen 150 Jahre zurück, um festzustellen: „Im Grunde geht es immer wieder um die gleichen Themen.“ Der Chef der Osianderschen Buchhandlung erinnerte an das „ausufernde Kopierwesen“, das schon den Buchhändlern aus der Gründerzeit des Verlags Kummer bereitet habe. Er erwähnte die Krönersche Reform, mit welcher der Verleger Adolf Kröner in den 80er Jahren des 19. Jahrhundert gegen die „Schleuderei“ im Buchhandel seine Idee der Buchpreisbindung setzte. Und Riethmüller dankte der Verlegerfamilie Ulmer, die sich durch die Generationen in den Debatten um sinnvolle buchhändlerische Rahmenbedingungen „stets profund eingebracht“ habe.

Die Festrede hielt Martin Spencker. Der Verlagsleiter Medizin bei Thieme, ein enger Freund der Familie, war zu Beginn seiner eigenen Berufslaufbahn Assistent des Verlegers Roland Ulmer. Spencker erinnerte an das Geschick der Altvorderen und an ihren liberalen Geist, der geholfen habe, den Verlag „durch die europäischen Katastrophen des 20. Jahrhunderts“ zu führen. Er erinnerte an den Neustart Ende 1945 mit einer Verlagslizenz von der amerikanischen Militärverwaltung für Richard Ulmer. Er erinnerte an das (in Worten Roland Ulmers) „magische Dreieck des Fachverlags: Autoren – Berufsverbände – Fachgesellschaften“, das bis heute als Koordinatensystem für das Business-Netzwerk der Stuttgarter funktioniere.

Spencker erinnerte auch an eine Voraussetzung für gelingende verlegerische Unternehmungen: den Mut, Neues auszuprobieren, auch mal Rückschläge einzustecken. Diesen Mut habe Roland Ulmer bewiesen, als er 1992 seinen damals 27-jährigen Sohn Matthias nach Paris geschickt habe, damit der dort die Chancen für einen französischen Verlagsableger prüfen konnte: „Es gab kein Netzwerk, keine Handelsbeziehungen, keine Autoren – niemand kannte Ulmer.“ Heute produzierten Les Editions Eugen Ulmer unter der Leitung ihres Verlegers Antoine Isambert erfolgreiche Programme und seien auf dem französischen Markt ein führender Verlag beim Thema Garten.

Ein Augenblick der Rührung ergab sich, als Verlegersenior Roland Ulmer ans Rednerpult trat, um – für viele zunächst rätselhaft klingend – „über den Belser-Ring“ zu sprechen: Es sei dies der Ring, den Eugen Ulmer einst, als er in Stuttgart in die Buchhändlerfamilie Belser einheiratete, von seinem Schwiegervater Christian Belser geschenkt bekommen habe. Seither wandere der Belser-Ring von Generation zu Generation weiter, er selbst, Roland, habe ihn 50 Jahre getragen. „Jetzt ist es an der Zeit, diesen Ring an meinen Sohn Matthias weiterzugeben“, sagte der Altverleger, und er war da nicht der einzige, der sich in dem Moment unter den schweren, schönen Kronleuchtern der Alten Reithalle ein paar Tränen verdrücken musste.

So zog sich ein Motiv durch das Fest, das allen, die zugegen waren, in Erinnerung bleiben wird: das Motiv von der Gegenwart der Vergangenheit. Vor Wochen bereits prägte dieses Motiv den Text einer Karte, auf der Eugen Ulmer persönlich zur Feier „des von mir gegründeten Verlages“ einlud. Aus dem Off quasi. Aber was heißt schon „Off“ für ein Familienunternehmen mit so lebendiger Erinnerungskultur…