Geringfügige Nutzungen sollen im Umfang von 160 Zeichen erlaubt sein, bei Tondokumenten dürfen es 15 Sekunden sein. Ist das eine für Verlage vertretbare Regelung?
Susanne Barwick: Hier liegt die Problematik – jedenfalls was den Text betrifft – nicht unbedingt in der erlaubten Zeichenanzahl, die ja zum Glück erheblich gesenkt worden ist. Die Regelung stellt aber urheberrechtliche Prinzipien auf den Kopf. Urheber*innen haben – wenn keine gesetzlichen Schrankenregelungen eingreifen – das Recht zu entscheiden, ob, wo und wie ihr Werk veröffentlicht bzw. verwertet wird. Dieses Recht wird ihnen im Hinblick auf Plattformen wie Youtube nun genommen. Die in Frage stehende Regelung ist zwar nicht mehr wie noch im Vorentwurf als Bagatellschranke ausgestaltet, die die Nutzung generell erlaubt, aber im gesamten Regelungszusammenhang hat sie im Endeffekt die gleiche Wirkung. 160 Zeichen oder 15 Sekunden Tonspur dürfen in nutzergenerierten Inhalten auf Plattformen solange genutzt werden, bis über die Beschwerde eines Rechteinhabers entschieden wurde. Das kann bis zu einer Woche dauern – und paradoxerweise muss der Rechteinhaber in diesem Verfahren erst die Vermutung widerlegen, dass die Nutzung unter eine Schrankenregelung (Zitat, Parodie, Pastiche etc.) fällt. Sollte sich dann im Beschwerdeverfahren herausstellen, dass die Nutzung nicht unter eine urheberrechtliche Schrankenregelung fällt, so haften weder Plattform noch Nutzer für die zwischenzeitliche illegale Nutzung der Werkteile. Dies privilegiert die Plattformen gegenüber allen anderen Nutzern, die zum Beispiel eine eigene Webseite, einen Verlag oder eine Filmproduktionsgesellschaft betreiben. Denn solche Unternehmen müssen allesamt auch für geringfügige Nutzungen Lizenzen einholen oder dafür haften, wenn sie dies nicht getan haben.
Der Regelungsentwurf für die Verlegerbeteiligung sieht vor, dass Urheber*innen künftig generell zwei Drittel der Vergütungsansprüche zustehen. Ist das für Verlage unbefriedigend?
Christian Sprang: Ja. Hier wird ohne Grund in die Autonomie der Verwertungsgesellschaften eingegriffen. Weder gibt die EU-Richtlinie eine solche Aufteilung vor, noch gibt es andere Länder, die ähnliche Regelungen treffen. Es ist kein Grund ersichtlich, warum der Gesetzgeber in seit Jahrzehnten bewährte interne Prozesse in den Verwertungsgesellschaften eingreifen sollte. Dass die Verwertungsgesellschaften jetzt theoretisch von der gesetzlichen Vorgabe abweichen können, ist nur auf dem Papier ein Fortschritt. Denn warum sollten die Autor*innen auf Anteile verzichten, die ihnen der Gesetzgeber zuspricht?
Der Entwurf muss jetzt noch in drei Lesungen den Bundestag passieren. Wie realistisch ist es, dass die Urheberrechtsreform noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet wird?
Christian Sprang: Das hängt davon ab, wie intensiv sich Bundestag und Bundesrat mit dem Gesetz beschäftigen und ob es Abgeordnete gibt, die für Änderungen offen sind. Es gibt ja seit mehr als einem Jahr erhebliche Kritik von Seiten der Rechteinhaber, die allerdings – das muss man leider sagen – bisher kaum gehört wurde. Aus unserer Sicht wäre es sinnvoll, die hochumstrittenen Regelungen zur Plattformhaftung aus dem Regierungsentwurf herauszulösen und sich dazu erst noch einmal mit allen Beteiligten an einen Tisch zu setzen. Dafür spricht auch, dass die EU-Kommission die amtlichen Leitlinien zum Verständnis der Plattformhaftung noch nicht veröffentlicht hat. Auch der Europäische Gerichtshof wird erst in den nächsten Monaten über zwei Gerichtsverfahren entscheiden, die für die richtige Umsetzung von erheblicher Bedeutung sein werden. Realistisch ist aber wohl eher, dass das parlamentarische Verfahren schnell durchgezogen wird und es nur noch geringfügige Änderungen an dem von der Bundesregierung beschlossenen Entwurf gibt.