Interview mit Christian Sprang und Susanne Barwick

"Die Kritik der Rechteinhaber wurde kaum gehört"

11. Februar 2021
Michael Roesler-Graichen

Der Regierungsentwurf für das neue Urheberrecht hat aus der Sicht von Urheber*innen und Verlagen Schwachstellen. Börsenvereinsjustiziar Christian Sprang und seine Stellvertreterin Susanne Barwick analysieren die kritischen Punkte der Vorlage, die noch die parlamentarische Beratung durchlaufen muss.

Plattformen sollen künftig urheberrechtlich geschützte Inhalte blockieren, wenn keine Lizenzierung vorliegt. Gibt es jetzt also „Upload-Filter“?
Christian Sprang: Upload-Filter gibt es schon immer und es wird sie auch weiterhin geben. Sinn und Zweck der jetzt vom deutschen Gesetzgeber umzusetzenden EU-Richtlinie war nie die Verpflichtung zum Einsatz von Upload-Filtern, sondern etwas ganz anderes. Plattformen wie YouTube erzielen Werbeeinahmen in Milliardenhöhe, weil ihre Nutzer*innen Werke hochladen, die Rechte von Urheber*innen, Kreativen und ihren Marktpartnern – wie zum Beispiel Verlagen – verletzen. Deswegen soll durch die Richtlinie und ihre Umsetzung erreicht werden, dass die Plattformen, die von den Uploads finanziell profitieren, Lizenzen für die Nutzung geschützter Werke einholen. Damit soll die Wertschöpfungslücke geschlossen werden, unter der alle Angehörigen der Kreativwirtschaft seit vielen Jahren im Internet leiden.
Die Diskussion um Uploadfilter war und ist eine Stellvertreterauseinandersetzung. Eigentlich geht es um die Frage, wer für urheberrechtlich geschützte Inhalte haftet, die von Nutzer*innen ohne Zustimmung der Rechteinhaber auf Internetplattformen hochgeladen werden. Die EU-Richtlinie hat dies zu Recht im Sinne einer grundsätzlichen Haftung der Plattformen entschieden. Sie will die Betreiber der Plattformen damit zwingen, bei den Rechteinhabern Lizenzen einzuholen. Würde eine Plattform wie Youtube für die Verwendung aller Werke Dritter, mit deren Nutzung sie Werbeeinnahmen erzielt, zuvor Lizenzen einholen, könnte sie auf den Einsatz von Uploadfiltern vollständig verzichten.

Die Diskussion um Uploadfilter war und ist eine Stellvertreterauseinandersetzung. Eigentlich geht es um die Frage, wer für urheberrechtlich geschützte Inhalte haftet, die von Nutzer*innen ohne Zustimmung der Rechteinhaber auf Internetplattformen hochgeladen werden.

Christian Sprang

Um nutzergenerierte Inhalte auf Plattformen nicht zu blockieren, soll das Hochladen im Rahmen der geltenden Schrankenregelungen erlaubt bleiben, auch wenn fremde Werkteile genutzt werden. Wie hoch ist das Risiko, dass es hierdurch zu Urheberrechtsverstößen kommt?
Susanne Barwick: Diesen Regelungsvorschlag halten wir für problematisch. Natürlich sollen für Plattformen und ihre Uploader unbedingt die urheberrechtlichen Schrankenregelungen gelten, die ja in bestimmten Fällen die Nutzung fremder Werke für zulässig erklären. Auch bislang hatte noch nie ein Rechteinhaber etwas dagegen, wenn zum Beispiel ein Uploader Teile eines fremden Textes zum Beleg eigener Aussagen zitiert. Problematisch ist es aber, wenn vollständige Texte und Hörbücher oder große Teile davon auf Youtube oder anderen Plattformen abrufbar sind. Bisher musste der Verlag solche Verstöße bei jeder neuen Datei neu melden. Häufig kam es dann zu einer Art urheberrechtlichen Hase-und-Igel-Spiels, das für die Rechteinhaber nicht zu gewinnen war. Nach dem jetzigen Entwurf der gesetzlichen Regelungen können ganze Werke nicht hochgeladen bzw. müssten von der Plattform blockiert werden. Das ist ein kleiner Fortschritt. Anders sieht es aber schon aus, wenn nur etwas weniger als die Hälfte eines Werkes, z.B. eines Hörbuches, hochgeladen und zugleich mit eigenen Inhalten kombiniert wird. Oder wenn mehrere Hörbücher mit eigenen Inhalten kombiniert werden. In beiden Fällen ist kaum vorstellbar, dass die Nutzung unter eine Schrankenregelung fällt. Obwohl in diesen Fällen auch keine geringfügige Nutzung vorliegt, kann der Nutzer den Upload dennoch als gesetzlich erlaubt kennzeichnen („flaggen“), um so von der Regel „mutmaßlich gesetzlich erlaubt“ profitieren zu können. Der Nutzer kann also theoretisch wider besseres Wissen behaupten, dass die fremde Werknutzung unter eine gesetzliche Schranke wie Zitat, Parodie, Pastiche etc. fällt. Die Plattform haftet in diesen Fällen nicht, der Nutzer anscheinend schon, wobei sich hier die Frage stellt, ob die Plattform die Nutzerdaten herausgeben muss. Eine entsprechende Vorschrift fehlt bisher. Nur wenn ein Nutzer öfters durch den missbräuchlichen Gebrauch des „Flaggens“ auffällt, kann die Plattform ihm für eine gewisse Zeit diese Möglichkeit nehmen. Der Rechteinhaber muss jedenfalls bis zum Abschluss des Beschwerdeverfahrens den Upload dulden, es sei denn, er kann nachweisen, dass die offensichtlich illegale Nutzung ihm erheblichen wirtschaftlichen Schaden zufügt. Die gesetzliche Vergütung, die die Plattform dafür zahlen muss, ist hier nur ein geringer Trost, zumal davon – nach jetzigem Stand des Gesetzgebungsverfahrens – nur die Urheber*innen profitieren, nicht aber die ebenfalls geschädigten Verlage.

Problematisch ist es aber, wenn vollständige Texte und Hörbücher oder große Teile davon auf Youtube oder anderen Plattformen abrufbar sind.

Susanne Barwick

Geringfügige Nutzungen sollen im Umfang von 160 Zeichen erlaubt sein, bei Tondokumenten dürfen es 15 Sekunden sein. Ist das eine für Verlage vertretbare Regelung?
Susanne Barwick: Hier liegt die Problematik – jedenfalls was den Text betrifft –  nicht unbedingt in der erlaubten Zeichenanzahl, die ja zum Glück erheblich gesenkt worden ist. Die Regelung stellt aber urheberrechtliche Prinzipien auf den Kopf. Urheber*innen haben – wenn keine gesetzlichen Schrankenregelungen eingreifen – das Recht zu entscheiden, ob, wo und wie ihr Werk veröffentlicht bzw. verwertet wird. Dieses Recht wird ihnen im Hinblick auf Plattformen wie Youtube nun genommen. Die in Frage stehende Regelung ist zwar nicht mehr wie noch im Vorentwurf als Bagatellschranke ausgestaltet, die die Nutzung generell erlaubt, aber im gesamten Regelungszusammenhang hat sie im Endeffekt die gleiche Wirkung. 160 Zeichen oder 15 Sekunden Tonspur dürfen in nutzergenerierten Inhalten auf Plattformen solange genutzt werden, bis über die Beschwerde eines Rechteinhabers entschieden wurde. Das kann bis zu einer Woche dauern – und paradoxerweise muss der Rechteinhaber in diesem Verfahren erst die Vermutung widerlegen, dass die Nutzung unter eine Schrankenregelung (Zitat, Parodie, Pastiche etc.) fällt. Sollte sich dann im Beschwerdeverfahren herausstellen, dass die Nutzung nicht unter eine urheberrechtliche Schrankenregelung fällt, so haften weder Plattform noch Nutzer für die zwischenzeitliche illegale Nutzung der Werkteile. Dies privilegiert die Plattformen gegenüber allen anderen Nutzern, die zum Beispiel eine eigene Webseite, einen Verlag oder eine Filmproduktionsgesellschaft betreiben. Denn solche Unternehmen müssen allesamt auch für geringfügige Nutzungen Lizenzen einholen oder dafür haften, wenn sie dies nicht getan haben.

Der Regelungsentwurf für die Verlegerbeteiligung sieht vor, dass Urheber*innen künftig generell zwei Drittel der Vergütungsansprüche zustehen. Ist das für Verlage unbefriedigend?
Christian Sprang: Ja. Hier wird ohne Grund in die Autonomie der Verwertungsgesellschaften eingegriffen. Weder gibt die EU-Richtlinie eine solche Aufteilung vor, noch gibt es andere Länder, die ähnliche Regelungen treffen. Es ist kein Grund ersichtlich, warum der Gesetzgeber in seit Jahrzehnten bewährte interne Prozesse in den Verwertungsgesellschaften eingreifen sollte. Dass die Verwertungsgesellschaften jetzt theoretisch von der gesetzlichen Vorgabe abweichen können, ist nur auf dem Papier ein Fortschritt. Denn warum sollten die Autor*innen auf Anteile verzichten, die ihnen der Gesetzgeber zuspricht?

Der Entwurf muss jetzt noch in drei Lesungen den Bundestag passieren. Wie realistisch ist es, dass die Urheberrechtsreform noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet wird?
Christian Sprang: Das hängt davon ab, wie intensiv sich Bundestag und Bundesrat mit dem Gesetz beschäftigen und ob es Abgeordnete gibt, die für Änderungen offen sind. Es gibt ja seit mehr als einem Jahr erhebliche Kritik von Seiten der Rechteinhaber, die allerdings – das muss man leider sagen – bisher kaum gehört wurde. Aus unserer Sicht wäre es sinnvoll, die hochumstrittenen Regelungen zur Plattformhaftung aus dem Regierungsentwurf herauszulösen und sich dazu erst noch einmal mit allen Beteiligten an einen Tisch zu setzen. Dafür spricht auch, dass die EU-Kommission die amtlichen Leitlinien zum Verständnis der Plattformhaftung noch nicht veröffentlicht hat. Auch der Europäische Gerichtshof wird erst in den nächsten Monaten über zwei Gerichtsverfahren entscheiden, die für die richtige Umsetzung von erheblicher Bedeutung sein werden. Realistisch ist aber wohl eher, dass das parlamentarische Verfahren schnell durchgezogen wird und es nur noch geringfügige Änderungen an dem von der Bundesregierung beschlossenen Entwurf gibt.