Meinungsfreiheit: Interview mit Helga Frese-Resch (KiWi)

"Der Grat, auf dem wir uns bewegen, wird immer schmaler"

12. August 2024
von Sabine Cronau

Mehr Austausch, mehr Praxisnähe: Die IG Meinungsfreiheit im Börsenverein will sich neu aufstellen – und bietet im September einen Impulsvortrag zum Umgang mit Shitstorms an. Helga Frese-Resch, Co-Sprecherin der IG, über die Pläne für den Herbst und eigene Shitstorm-Erfahrungen bei KiWi.

Helga Frese-Resch sitzt im grünen Anzug zwischen zwei Bücherstapeln

Helga Frese-Resch, stellvertretende Verlegerin bei Kiepenheuer & Witsch und seit März Co-Sprecherin der IG Meinungsfreiheit

Ein Shitstorm gegen einen Verlag ist immer auch ein konkreter Angriff auf Menschen, auf einzelne Mitarbeiter:innen, die erst mal mit diesen Aggressionen und Drohungen klarkommen müssen.

Helga Frese-Resch

Das Thema Meinungsfreiheit kann Verlage und Buchhandlungen ganz konkret betreffen – etwa in Form von Shitstorms. Die IG Meinungsfreiheit will hier künftig mehr praktische Unterstützung liefern. Wie kann diese Unterstützung aussehen?

Bisher hat die Interessengruppe vor allem Zeichen nach außen gesetzt – etwa mit der Woche der Meinungsfreiheit im Mai oder politischen Podiumsrunden auf den Buchmessen. Das wollen wir weiterhin tun, aber wir möchten auch Plattform werden für den Austausch innerhalb der Branche, denn es wird immer wichtiger, voneinander zu lernen, Best-Practice-Beispiele weiterzutragen und die gesellschaftlichen Mechanismen rund um Meinungsbildung und Meinungsmache zu verstehen.

Warum sind die Fronten so verhärtet, warum sind die Stimmen an den Rändern so laut, warum werden alle immer radikaler – und wie können sich Verlage und Buchhandel dazu verhalten? Darüber wollen wir in der IG mit Expert:innen und Kolleg:innen sprechen und uns über Erfahrungen und Strategien austauschen.  

Im September geht es mit der Praxishilfe los: Dann bietet die IG Meinungsfreiheit einen digitalen Impulsvortrag zum Thema Shitstorm an. Stehen Verlage und Buchhandlungen immer öfter im Auge des Sturms?

Viele Verlage und Buchhandlungen sind von dem Thema betroffen – oder haben Angst davor, dass es sie treffen könnte. Der springende Punkt dabei ist: Ein Shitstorm gegen einen Verlag ist immer auch ein konkreter Angriff auf Menschen, auf einzelne Mitarbeiter:innen, die erst mal mit diesen Aggressionen und Drohungen klarkommen müssen.

Ihre wichtigste Erkenntnis auf eigenen Shitstorm-Erfahrungen?

Dass die gründliche Analyse der Situation immer an erster Stelle stehen sollte: Sind hier nur Bots am Werk – oder ist die Kritik ein Stück weit gerechtfertigt? Wurden Fehler gemacht? Muss jemand geschützt werden? Wichtig ist: Man darf sich nicht von außen treiben lassen. Denn wenn man sich überhaupt dazu entschließt, auf einen Shitstorm zu reagieren, dann muss die Antwort auf Anhieb sitzen. Eine zweite Chance gibt es meistens nicht.

Um mit Shitstorms besser umgehen zu können, haben wir bei KiWi ein internes Seminar gemacht, das sehr hilfreich war. Auf der Basis dieses Seminars bietet die IG Meinungsfreiheit am 18. September nun einen digitalen Impulsvortrag mit Thomas Zorbach an. Das Credo des Referenten zum Umgang mit Shitstorms lautet übrigens: „Don’t panic“. Das kann ich im Rückblick nur bestätigen.

Der Zeitaufwand für die Mitarbeit in der Interessengruppe ist nicht groß, der Erkenntnisgewinn hoffentlich schon.

Helga Frese-Resch

Gibt es noch weitere Pläne, um die inhaltliche Arbeit der IG neu auszurichten?

Ja! Wir wünschen uns vor allem, dass die IG größer und diverser wird – und sich auch mehr jüngere Kolleginnen und Kollegen für das Thema Meinungsfreiheit engagieren und ihre Ideen und Gedanken einbringen. Der Zeitaufwand für die Mitarbeit in der Interessengruppe ist nicht groß, der Erkenntnisgewinn hoffentlich schon.

Denn durch die radikalen Ränder, also den linken Aktivismus und den rechten Populismus, gerät die Meinungsfreiheit auch in Deutschland immer stärker unter Druck. Der Grat, auf dem wir uns bewegen können, wird immer schmaler – obwohl wir in einer Demokratie leben. Das sollte uns zu denken geben.

Haben Sie Beispiele aus Ihrem eigenen Verlagsalltag?

Nehmen Sie die großen Online-Plattformen: Da finden sich in der Sekunde, in der sie erscheinen, negative Rezensionen unter KiWi-Büchern, deren Autor:innen keinen deutschen Namen tragen. Aus welcher Ecke das kommt, ist klar. Schwierig finde ich es aber auch, wenn Aktivist:innen zum Beispiel versuchen, eine KiWi-Veranstaltung mit Alice Schwarzer zu verhindern. Das ist eine ungute Entwicklung und kann auch nicht im Interesse der Branche sein, die ja für Meinungsvielfalt steht. Mit Sprechverboten kommen wir nicht weiter. Es geht um konstruktive Auseinandersetzung, einen Fortschritt kann es doch nur geben, wenn man sich auch die Argumente der vermeintlich anderen Seite anhört.

Mit Sprechverboten kommen wir nicht weiter. Es geht um konstruktive Auseinandersetzung, einen Fortschritt kann es doch nur geben, wenn man sich auch die Argumente der vermeintlich anderen Seite anhört.

Helga Frese-Resch

Seit März sind Sie Co-Sprecherin der IG Meinungsfreiheit – zusammen mit Michael Lemling von der Buchhandlung Lehmkuhl in München. Ist die Arbeit an der IG-Spitze so, wie Sie sich das vorgestellt haben?

Ja, das habe ich mir so oder zumindest so ähnlich vorgestellt. In der ersten Jahreshälfte lag unser Hauptaugenmerk auf der Woche der Meinungsfreiheit, die immer im Mai stattfindet. Jetzt beschäftigen wir uns mit Plänen für den Herbst, etwa mit den neuen Impulsvorträgen und den Veranstaltungen auf der Frankfurter Buchmesse.

Ich freue mich, wenn ich beim IG-Treffen am Messefreitag möglichst viele neue Gesichter sehe. Frauke Rostalski wird bei uns als Impulsgeberin zu Gast sein und sich mit den IG Mitgliedern über Diskursvulnerabilität austauschen. Alle, die sich für das Thema Meinungsfreiheit interessieren, sind jedenfalls herzlich dazu eingeladen.

Seit Ende 2023 gibt es die neue Stiftung Freedom of Expression, deren Stifter der Börsenverein ist . Sie soll Projekte rund um die Meinungsfreiheit anstoßen und nachhaltig sicherstellen. Wie sieht die Arbeitsteilung mit der IG aus?

Die Stiftung kann und soll uns bei der Finanzierung von Projekten helfen. Denn alles, was wir machen, kostet ja auch Geld – von der jährlichen Woche der Meinungsfreiheit bis zu den Diskussionsrunden auf den Buchmessen. Außerdem holt die Stiftung neue Partner mit ins Boot, was unser Netzwerk vergrößert und für frische Ideen sorgt.

Gerade in der aktuell sehr aufgeheizten Stimmung müssen wir uns auf die Stärke vom Büchern besinnen, die den Raum bieten, tiefer zu gehen, zu analysieren, abzuwägen. Wir als Buchbranche haben da fast schon eine Gatekeeper-Aufgabe.

Helga Frese-Resch

Warum engagieren Sie sich persönlich in der IG?

Weil einfache Antworten zwar sehr verlockend sind, aber die Welt nun mal ausgesprochen komplex ist. Und weil wir uns diese Komplexität auch in der Debattenkultur erhalten müssen. Wir müssen uns gegenseitig zuhören, statt Menschen mit anderer Meinung einfach niederzubrüllen oder Veranstaltungen zu canceln, obwohl sie auf dem Boden des Grundgesetzes stehen.

Wir müssen wieder lernen, zwischen Meinungsäußerung und Hetze zu unterscheiden. Gerade in der aktuell sehr aufgeheizten Stimmung müssen wir uns auf die Stärke vom Büchern besinnen, die den Raum bieten, tiefer zu gehen, zu analysieren, abzuwägen und eben nicht mit schrillen Sätzen Aufmerksamkeit zu generieren. Wir als Buchbranche haben da fast schon eine Gatekeeper-Aufgabe.

Wer die politische Bühne betritt, lebt gefährlich. Das zeigt unter anderem der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke 2019, aber auch das Attentat auf Donald Trump im Juli. Gibt es eine Lehre, die sich daraus ziehen lässt?

Polarisierung und Radikalisierung enden in Gewalt. Das ist das, was man an solchen Attentaten sehen kann. Und was uns alle davon abhalten sollte, komplexe gesellschaftliche Streitthemen auf einfache Lösungen zu reduzieren. Denn in letzter Konsequenz kann das zum vermeintlich einzigen Ausweg führen: Eliminierung.

Termin: So zähmt man einen Shitstorm

  • Was tun, wenn ein Shitstorm über die eigene Buchhandlung oder den Verlag hereinbricht? Jedenfalls nicht in Panik verfallen, meint Thomas Zorbach.
  • Der Gründer und geschäftsführende Gesellschafter der Berliner Agentur vm-people stellt in einem virtuellen Workshop der IG Meinungsfreiheit ein praxiserprobtes Handlungsschema zur Intervention und Prävention von Shitstorms vor.
  • Termin: 18. September 2024 von 13 Uhr bis 14.30 Uhr.
  • Die Teilnahme ist kostenlos.
  • Börsenvereinsmitglieder können sich hier anmelden.