Neue Berufe im E-Commerce

"Der Fachkräftemarkt ist leergefegt"

16. Februar 2023
von Christina Schulte

Um im E-Commerce-Dschungel zu bestehen, braucht es Expertise. Monika Kolb, Geschäftsführerin des mediacampus frankfurt, erläutert, welche Rolle hierbei Aus- und Weiterbildung spielen und wie die Branche Expert:innen gewinnen kann.

Monika Kolb, Geschäftsführerin des mediacampus frankfurt

E-Commerce und Omnichannel-Erfolgsstrategien gehören zu den Buzzwords der Stunde. Wie bewerten Sie aus Ihrer Berufsbildungsperspektive die aktuellen Entwicklungen?

Wie die Menschen einkaufen, hat sich stark gewandelt, was zur Folge hat, dass sich die Grenzen zwischen On- und Offline immer mehr auflösen. Eine starke Omnichannel-Strategie in den Buchhandlungen und Verlagen muss heute Standard sein. Dazu muss ein echtes Kundenverständnis im Mittelpunkt stehen und für verschmolzene Erlebniswelten aus On- und Offline bedarf es konsequenter Weise eines kanalübergreifenden Verständnisses. Und natürlich braucht es ein technisches und ein umfassendes Prozessverständnis.

Vor allem aber braucht es Mitarbeiter:innen, die kanalübergreifende Prozesse und Anforderungen verstehen und sie auf allen Ebenen bedienen und weiterentwickeln können.

Wie unterstützt der mediacampus frankfurt die Unternehmen bei einer erfolgreichen Umsetzung?

In den vergangenen Jahren haben wir uns eine starke Kompetenz im Bereich E-Commerce und Omnichannel aufgebaut. Seit der Entwicklung des Ausbildungsberufs «Kaufmann/-frau im E-Commerce» und der Aufstiegsfortbildung «Fachwirt:in im E-Commerce» im Jahr 2020 haben wir zunächst die Aufstiegsfortbildung als «Fachwirt:in im E-Commerce» am Campus erfolgreich umgesetzt.

Seit Dezember 2022 liegt uns auch die staatliche Schulgenehmigung vor. Wir dürfen nun auch den Ausbildungsberuf «Kaufmann/-frau im E-Commerce» als Berufsschule in unser Programm aufnehmen. Eine große Chance, denn allein in Hessen gibt es nur zwei Berufsschulen, die den Ausbildungsberuf im Programm haben.

Wie versuchen Sie, Buchhandels- oder Verlagsunternehmen für eine Ausbildung, eine Aufstiegsfortbildung oder auch ein Abiturientenmodell im Bereich E-Commerce zu begeistern?

Auf der inhaltlichen Seite liegen die Argumente auf der Hand: Omnichannel-Fachkräfte und Expert:innen brauchen Fachkenntnisse aus beiden Welten: Was brauchen Kund:innen heute und wie können diese Bedürfnisse in allen Wertschöpfungsstufen der Customer Journey umgesetzt werden? Welche Kommunikationskanäle braucht es und wie vernetzt man diese? Wie sieht eine medienbruchfreie Customer Journey aus, natürlich auch technisches, betriebswirtschaftliches und rechtliches Know-how.

Das alles lernen unsere «Kaufleute im E-Commerce» und «Fachwirt:innen im E-Commerce» von der Pike auf.

Es gibt aber nicht nur inhaltliche Argumente. Der gravierende Fachkräftemangel, den wir alle aktuell erleben, zwingt alle Unternehmen neue Wege in der Personalbeschaffung zu gehen: An der eigenen Entwicklung von Fach- und Führungskräften führt heute kein Weg vorbei. Für den Bereich des E-Commerce gilt das noch stärker. Der Fachkräftemarkt ist leergefegt.  

Welche Modelle helfen den Unternehmen dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken?

Für junge und gut qualifizierte Menschen ist ein Abiturientenmodell ein äußerst attraktives Angebot. Im Rahmen von maximal dreieinhalb Jahren absolvieren sie sowohl eine Ausbildung als auch die Aufstiegsfortbildung als Fachwirt:in. Zusätzlich absolvieren sie die Ausbildereignungsprüfung und können so zum Ende der Ausbildung sofort in eine Führungsaufgabe entwickelt werden.

Da unser Ausbildungssystem gemeinsam mit der Aufstiegsfortbildung als Fachwirt:in völlig modular ist, lassen sich aber auch unterschiedliche Ausbildungsberufe mit unterschiedlichen Fachwirtangeboten kombinieren. Konkret heißt das: Ausgebildete Buchhändler:innen oder ausgebildete Medienkaufleute können beispielsweise jederzeit eine Aufstiegsfortbildung als «Fachwirt:in im E-Commerce» absolvieren. So lässt sich durch das Absolvieren der Aufstiegsfortbildung im E-Commerce Wissen aus Ausbildung und Berufserfahrung um die Kanäle im Onlinehandel und die entsprechenden Tools erweitern. Teil der Fachwirtausbildung sind ebenfalls Führungsthemen und der Ausbildereignungsschein.

Es braucht Mitarbeiter:innen, die kanalübergreifende Prozesse und Anforderungen verstehen und sie auf allen Ebenen bedienen und weiterentwickeln können.

Monika Kolb

In welchen Bereichen können die Absolvent:innen anschließend in der Branche tätig werden?

Es gibt vielseitige Einsatzmöglichkeiten für Menschen mit dem Know-how im E-Commerce/Omnichannel. Durch die enge Verzahnung etablierter Geschäftsmodelle mit dem E-Commerce entstehen an nahezu jeder Stelle in der Customer Journey Stellenprofile: Im Marketing, im stationären Handel selbst, im Direktvertrieb der Unternehmen, in der Beschaffung, in der Portfoliogestaltung, in den digitalen Anwendungen oder in der Logistik.

Welchen Mehrwert hat es für Buchhandels- oder Verlagsmitarbeiter:innen, sich zum/zur Fachwirt:in im E-Commerce fortbilden zu lassen?

Der Fachwirtabschluss ist einem Bachelorabschluss gleichgestellt, die Absolvent:innen erwerben daher einen attraktiven Abschluss, ohne den Arbeitsplatz aufgeben zu müssen. Mit der berufsbegleitenden Aufstiegsfortbildung erwerben sie hochrelevante Zukunftskompetenzen und können sich sowohl für Fach- als auch für Führungsfunktionen empfehlen.

Bei der Aufstiegsfortbildung überzeugen weitere Argumente wie die Förderung von 75% der Kosten, die Möglichkeit berufsbegleitend zu studieren, eine starke Mischung von Dozierenden aus der Praxis und Theorie-Expert:innen, der mediacampus als optimaler Lernort und das Rund-um-sorglos-Paket bezüglich der Organisation (das gilt im Übrigen für alle unsere Fachwirtformate) überzeugen darüber hinaus.

Wie versuchen Sie junge Menschen für den Beruf «Kaufmann/-frau im E-Commerce» zu begeistern?

Darauf nehmen wir keinen direkten Einfluss. Die Schulabgänger:innen sind selbst auf der Suche nach neuen frischen Berufen, nach guten und passenden dualen Systemen. Ähnlich wie bei Kaufleuten im Einzelhandel sind E-Commerce Kaufleute spartenübergreifend einsetzbar und das Anbieten des immer noch recht neuen Berufsbildes macht Arbeitgeber attraktiver. Als tollen Nebeneffekt holen sich Buchhandel, Verlage und Zwischenbuchhandel das doch sehr spezielle Wissen bezüglich der Online-Vertriebswege inhouse in ihre Unternehmen. Wir versuchen vor allem Unternehmen zu begeistern, damit diese den Nutzen dieses Ausbildungsberufs und des damit einhergehenden Wissens erkennen.

Auf welche Resonanz stößt das noch recht junge Berufsbild der E-Commerce Kaufleute in unserer Branche?

Auf sehr viel Resonanz. Der/die E-Commerce Kaufmann/-frau ist als einer von wenigen Berufen im herstellenden und im vertreibenden Teil der Buchbranche von großer Wichtigkeit. Die Frage «Welches Berufsbild bilden wir aus» kommt immer häufiger vor und die Prüfung von E-Commerce Kaufleuten kann ich nur wärmstens empfehlen.

Wir sehen an den Ausbildungszahlen, dass der Beruf Jahr für Jahr wächst, und die Handelszahlen zeigen die Wichtigkeit des Vertriebskanals. Wie dynamisch ist das Berufsbild? Die Entwicklung im E-Commerce verläuft ja sehr rasant …

Das wirklich besondere an dem Berufsbild war, dass in einer sehr kurzen Zeit der gesamte Entwicklungsprozess (und hier sind sehr viele Parteien wie das BIBB, das KdDW, verschiedene Ministerien, der DIHK, natürlich die Arbeitgeber und Arbeitnehmervertreter:innen involviert) erfolgreich umgesetzt wurde. Das lag am klar erkennbaren Bedarf. Novellierungen aller Berufsbilder finden in regelmäßigen Zeitabständen statt. Ich bin zuversichtlich, dass dies auch bei den E-Commerce Kaufleuten so sein wird.

Statement von Frau Dr. Scheuerle, IHK Frankfurt, zum neuen Ausbildungsberuf

Dr. Brigitte Scheuerle

«Mit dem Ausbildungsberuf «Kaufmann/-frau im E-Commerce» wurde ein modernes, innovatives und hochrelevantes Ausbildungsangebot entwickelt, das auf einen hohen Marktbedarf stößt. Bereits im ersten Jahr wurden 1.284 Ausbildungsverträge geschaffen. Aktuell liegen die Ausbildungsverträge bei 1.803. Bei kaum einem anderen Beruf können wir solche Wachstumsraten verzeichnen. Die Ausbildungsbetriebe finden sich in den unterschiedlichsten Branchen wieder: Im Handel, bei Verlagen, Baumärkten, Reiseveranstaltern, in Banken – um nur einige Branchen zu nennen. Der E-Commerce gehört zu einem großen Wachstumsmarkt. Ein eigenes Berufsbild zu entwickeln war daher eine konsequente Entscheidung, was die wachsenden Ausbildungsplätze bestätigen.»

AUFSTIEGSFORTBILDUNG: FACHWIRT:IN IM E-COMMERCE

Beginn des nächsten Kurses: Juni 2023

Voraussetzungen: Ausbildung, Studium, Berufserfahrung (wir helfen gerne weiter bei der Prüfung)

Dauer: Ca. 17 Monate

Kosten: 4.950 € Kursgebühr zzgl. Übernachtung/Verpflegung (Förderung von drei Viertel der Lehrgangsgebühr möglich)

Weitere Informationen: https://bit.ly/FachwirtEC

AUSBILDUNG: KAUFMANN/-FRAU IM E-COMMERCE

Beginn des nächsten Kurses: Herbst 2023

Voraussetzungen: Ausbildungsplatz in einem Betrieb

Dauer: Je nach Ausbildungsvertrag / schneller Übergang zur Aufstiegsfortbildung «Fachwirt:in im E-Commerce» möglich oder im Abiturientenmodell

Kosten: 9.200 € inkl. Lehrgangsgebühren, Verpflegung und Übernachtung

Weitere Informationen: https://bit.ly/ECK-ausbildung

INFOS ZUM BERUFSBILD E-COMMERCE-KAUFMANN/-FRAU

Firmen, die gern im E-Commerce-Bereich ausbilden wollen, können sich von der Abteilung Berufsbildung des Börsenvereins und dem mediacampus frankfurt in einem Info-Webinar beraten lassen. Termine:
Dienstag, 21. März, 12 – 13 Uhr 
Donnerstag, 30. März, 18.30 – 19.30 Uhr 

Anmeldung und weitere Informationen
unter den Kurzlinks https://bit.ly/2103_Infowebinar und https://bit.ly/3003_Infowebinar