"Viel Gluck mit die Bücher!"
Mehr als ein begehbarer Kurt-Wolff-Katalog: In Berlin hat der Verleger Peter Graf eine Buchhandlung eröffnet, die die Vielfalt unabhängigen Verlegens sichtbar machen will.
Mehr als ein begehbarer Kurt-Wolff-Katalog: In Berlin hat der Verleger Peter Graf eine Buchhandlung eröffnet, die die Vielfalt unabhängigen Verlegens sichtbar machen will.
Als Peter Graf, lang ist’s her, sein erstes Verlagspraktikum in Berlin absolvierte, wohnte er in der Danziger Straße in einer WG mit einem Studenten aus den USA. Zum Abschied steckte der ihm einen Zettel an die Tür: „Viel Gluck mit die Bücher!“ Nun wird der orthografisch nicht ganz astreine Gruß zum Namen einer Buchhandlung für unabhängiges Verlegen, die Graf mit Unterstützung der Kurt Wolff Stiftung in Berlin eröffnet. Das Ladenschild aus Emaille, ein echter Hingucker über dem Schaufenster, wurde in einer Traditionswerkstatt in Angermünde gefertigt. Noch während im Laden fleißig Buchpaket um Buchpaket geöffnet wird, stauen sich draußen, unter den Herbstlaub tragenden Bäumen, neugierige Passanten.
Als Graf (Das kulturelle Gedächtnis, Walde+Graf) vor drei Jahren neue Verlagsräume suchen musste, wurde er zwischen Prenzlauer Allee und Greifswalder fündig, wo der Rollkofferwahnsinn noch nicht Kollwitzplatz-Niveau erreicht hat. Das Ladenlokal mit den hohen Stuckdecken, in dem zuvor ein Maler aus Dublin domizilierte, ließ seine Phantasie heiß laufen: „Eine Buchhandlung, die die Vielfalt unabhängigen Verlegens abbildet, das war die erste Idee. Inzwischen sind viele weitere dazugekommen.“
Das Ganze soll mehr sein als ein begehbarer Kurt-Wolff-Katalog: Graf denkt an Lesungen, Präsentationen und Diskussionen, gar eine ganze „Woche des unabhängigen Verlegens“ in der zweiten Hälfte des kommenden Jahres; irgendwann sollten auch Auftritte von Kolleginnen und Kollegen aus Österreich und der Schweiz folgen. Im Spätsommer erst hatten Birgit Schmitz und Erik Spiekermann mit dem um den kreativen Prozess des Büchermachens gestrickten Projekt „Wir machen Bücher“ in der Berliner Galerie p98a gezeigt, dass es ein Bedürfnis für solch übergreifende Ansätze gibt. Bücher und Ideen entdecken, von denen man vorher gar nichts wusste: In Zeiten, in denen man mit zwei, drei Mausklicks scheinbar überall hinkommt, ist die Sehnsucht nach solchen gemeinschaftsstiftenden Phantasie-Generatoren offensichtlich gewachsen.
Die Kurt Wolff Stiftung unterstützte bei der Kontaktaufnahme mit den Verlagen und half mit sachdienlichen Basis-Infos. „Damit war das Fundament gelegt“, freut sich Graf, der sich einen Ausbau der Zusammenarbeit gut vorstellen kann. Aktuell sind knapp 80 Verlage mit jeweils zehn Büchern vertreten, je zur Hälfte Novitäten und wichtige Backlisttitel. „Mir geht es darum, auch die Programmarbeit der letzten Jahre zu zeigen.“ Bei der Einrichtung des Ladens ließ sich Graf vom Bauchgefühl leiten. „Ich bin Verleger – und weit davon entfernt zu wissen, wie eine perfekte Buchhandlung aussieht. Ich werde in den Gesprächen mit Leserinnen und Lesern sicher ganz viel dazulernen.“ Warenkunde by doing.
Die Möbel des vorderen Raums, der – neben einem Kinderbuchregal – fast vollständig der Belletristik vorbehalten ist, stammen von einem Herrenausstatter aus Regensburg; Graf hat sie, ebenso wie die hölzernen Warenträger im Schaufenster, die im ersten Leben Businesshemden präsentierten, günstig via Ebay ersteigert. Im schlauchförmigen Hinterraum, der von einem deckenhohen, maßgeschneiderten Metallregal dominiert wird, finden sich politische Sachbücher, Architektur und Kunst, Film- und Theaterliteratur, ein wenig Kulinarik und eine Hörbuch-Auswahl von Labels wie supposé, speak low oder Tacheles. Ab Mitte November sollen die rund 850 Titel auch über einen Online-Shop erhältlich sein. Den Kollegen in der Nachbarschaft, von Einar & Bert bis zur Buchbox, will der Verleger keine Konkurrenz machen. „Wer einen Reiseführer sucht, den verweise ich weiter; ich verkaufe nur die Titel, die ich im Sortiment habe.“
Wer den Raum betritt, wird vom Gemälde einer lesenden Frau („Das wichtigste Objekt im Raum“) an der Stirnseite angezogen, das Graf auf einem Berliner Flohmarkt erstanden hat. Im winzigen, nach hinten abzweigenden Flur hängen weitere sepiafarbene Fotos oder Zeichnungen, die Lesende zeigen. Ebenfalls Zufallsfunde, keines teurer als fünf Euro. Fast scheint es, als wollten sie den Arno-Schmidt-Satz von einer weiß getünchten Seitenwand illustrieren: „Es gibt keine Seligkeit ohne Bücher.“ Und der Verleger, der nun an drei Tagen in der Woche Publikumsverkehr hat? Momentan muss sich Peter Graf wohl wie ein Torten-Connaisseur vorkommen, der in einer Konditorei Quartier genommen hat. Kann das gut gehen? „Es fühlt sich großartig an. Das ‚Kulturelle Gedächtnis’ lastet ja nicht allein auf meinen Schultern. Und wer weiß? Vielleicht fange ich ja Feuer und verbringe irgendwann die Hälfte meiner Zeit als Buchhändler?“
Viel Gluck mit die Bücher
Buchhandlung für unabhängiges Verlegen
Heinrich-Roller-Straße 7
10405 Berlin
Öffnungszeiten: Donnerstag bis Samstag jeweils 10 bis 19 Uhr
peter.graf@walde-graf.de