Interview mit Joachim Merzbach

"Ohne ordentliches Zahlenwerk funktioniert kein Unternehmen"

27. Dezember 2024
Christina Schulte

Berater Joachim Merzbach ist seit fast fünf Jahrzehnten in der Buchbranche unterwegs. Am 28. Dezember feiert er seinen 75. Geburtstag. Im Interview spricht er darüber, warum die Wirtschaftlichkeit im Buchhandel maßgeblich ist, wo die Fallstricke bei Übergaben liegen und warum der Austausch unter Buchhändler:innen so wichtig ist.

Achim Merzbach

Was motiviert Sie, mit 75 Jahren noch als Berater tätig zu sein?

Joachim Merzbach: Es sind die Begegnungen, es sind die Menschen, mit denen ich täglich zu tun habe, die mich immer wieder motivieren. Ehemalige Schüler, die ich in Frankfurt mit Buchführung "gequält" habe und die ich geschäftlich in den Buchhandlungen und Verlagen wieder getroffen habe. Und aus diesen seit über zum Teil 40 Jahren langen Beziehungen Freundschaften entstanden sind. Die vielen Erfa-Gruppen (in der "Hochkonjunktur" meiner Tätigkeit waren es sieben), die ich betreuen durfte. Viele dieser Mitglieder genießen schon selbst das Rentenalter und stehen doch immer noch in Kontakt zu mir. Das ist zutiefst befriedigend.

Sie engagieren sich sehr bei der Vermittlung von Nachfolger:innen im Buchhandel. Vor welchen Herausforderungen stehen Sie dabei?

Joachim Merzbach: Auf Grund der Corona-Pandemie gab es in den letzten Jahren bei der Nachfolgesuche eher eine starke Zurückhaltung. Nun gehen die geburtenstarken Jahrgänge (Baby-Boomer-Jahre) in Rente; dies gilt auch für viele Buchhändlerinnen und Buchhändler. Es "reicht" vielen Inhabern und Inhaberinnen, sie wollen "altersbedingt" ihre Buchhandlungen endlich übergeben.

Das Börsenblatt ist leider voll mit Anzeigen "Wir schließen". Die Gewinne liegen im Durchschnitt bei fünf bis zehn Prozent vom Umsatz. Wobei laut Buch und Buchhandel in Zahlen ca. 70 Prozent aller Buchhandlungen (Einzelhandel mit Büchern) weniger Umsatz als 500.00 Euro im Jahr erwirtschaften; ca. 40 Prozent aller Buchhandlungen liegen sogar unter einer Umsatzgröße von 250.000 Euro.

Die Wirtschaftlichkeit einer Buchhandlung ist maßgebend. "Buchhandel" besteht aus 10 Buchstaben: 40 Prozent Buch, aber 60 Prozent Handel!

Hört sich für potenzielle Käuferinnen und Käufer nicht gerade attraktiv an …

Joachim Merzbach: Ja, folglich ist es schwer, Nachfolger zu finden, die solche Buchhandlungen übernehmen wollen. Die Bezeichnung "unternehmerische Selbstausbeutung" ist darüber hinaus angebracht. Oft verdienen die Beschäftigen mehr als die Inhaberinnen und Inhaber. Hinzu kommt, dass die Banken eher restriktiv mit Kreditvergaben umgehen und hohe Sicherheiten fordern, die gerade bei jüngeren Existenzgründern und Existenzgründerinnen nicht vorhanden sind.

Bei der rechtzeitig zu beginnenden Suche nach einem potenziellen Käufer, einer Käuferin (das können die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sein, die Buchhandelskollegen in der Stadt oder Region, Quereinsteiger, aber auch Filialisten), muss der Berater neben rechtlichen, steuerrechtlichen und wirtschaftlichen Aspekten auch die psychologisch-emotionalen Folgen einer solchen Übergabe beachten. Und letztlich auch einen "geordneten Rückzug" (die Liquidation der Buchhandlung) der Verkäuferin bzw. dem Verkäufer nahebringen.

Sie führen Kolleg:innen in Erfa-Gruppen zusammen. Warum ist der Austausch so wichtig?

Joachim Merzbach: Der Austausch von Buchhändlern in Erfa-Gruppen, die oft schon seit mehr als 25 Jahren bestehen, nicht in Konkurrenz miteinander stehen, keine Scheu haben, ihre betriebswirtschaftlichen Zahlen zu offenbaren, ihre jeweiligen Konzepte für ihre Buchhandlungen in der Gruppe auf den Prüfstand bringen, Kritik immer als etwas Konstruktives verstehen, aber auch das Gesellschaftliche schätzen, ist immens wichtig, richtig und gut.

Viele Buchhändler:innen haben nach wie vor wenig oder kein Interesse an betriebswirtschaftlichen Themen. Was raten Sie ihnen?

Joachim Merzbach: Es nützt ja nichts! Ohne ordentliches Zahlenwerk, ohne das Kennen der wichtigsten Kennzahlen, das richtige Lesen der Bilanzen, der Gewinn- und Verlustrechnungen, der Einnahmen-Überschussrechnungen, ohne wirtschaftliches Denken und Handeln funktioniert kein Unternehmen.

Und es gibt Hilfen: Die Steuerberater, die Unternehmensberater (Betriebsberater), die Banken, den Börsenverein mit Fachgremien und hervorragend besetzten, betriebswirtschaftlich handelnden Referenten und Referentinnen, die Broschüre "Buch und Buchhandel in Zahlen", die weiterführende spezielle Branchenliteratur vom Bramann Verlag.

Welches ist Ihre größte Freude am Beratersein?

Joachim Merzbach: Nichts ist erfolgreicher als der Erfolg! Eine Beratung, die zielführend zu Ende gebracht wurde. Eine Übergabe mit zufriedenen Veräußerern und Erwerbern. Eine Existenzgründerin, einen Existenzgründer mit leuchtenden Augen in ihrem/seinem neuen Laden agieren zu sehen. Ein strahlendes "Danke" zu erhalten.

Würden Sie sich als junger Mensch heute nochmals für den Buchhandel entscheiden?

Joachim Merzbach: Nach nunmehr 46 Jahren: Aber JA!