Studierende überfordert

Kann Gen Z kein ganzes Buch mehr lesen?

16. Dezember 2024
Jaqueline Weigl

Zunehmend berichten Professor:innen, dass junge Studierende Probleme damit haben, ganze Bücher zu lesen, auch Forscher:innen befassen sich mit mit dem Phänomen. Welche Ursachen hat das unangenehme Gefühl beim Lesen eines kompletten Buchs – und welche Konsequenzen drohen?

 

Immer mehr junge Menschen beginnen ihr Studium und sind überfordert davon, ganze Bücher zu lesen: Auf diesen Umstand hat ein Artikel der US-Zeitschrift The Atlantic aufmerksam gemacht. In "The Elite College Students Who Can't Read Books" ("Elite-Studenten, die keine Bücher lesen können") beschreibt Autorin Rose Horowitch, sie habe mit 33 US-Professor:innen gesprochen, von denen die meisten den beunruhigenden Trend bestätigten, dass Studierende immer schlechter lesen können. Sie beschreiben, dass Studierende nicht in der Lage seien, mehrere Bücher pro Semester zu lesen. Mit langen und/oder schwierigen Texten konfrontiert, würden sie resignieren; manche hätten sogar Schwierigkeiten, sich auf ein Sonett zu konzentrieren.  

Die Behauptung, dass die Lesekompetenz der jüngeren Generation immer schlechter werde, ist nicht neu. Doch wie einer der Professoren im Atlantic-Artikel beschreibt, läge es nicht daran, dass seine Studierenden die Bücher nicht lesen wollen, sondern daran, dass sie nicht wüssten, wie sie lesen sollen. Studierende hätten in der Schule nur Ausschnitte, Gedichte und Artikel, nie ein ganzes Buch lesen müssen.

Liegt das Problem also bei der fehlenden Motivation der Studierenden, oder bei der mangelnden Bildung ihrer Lesekompetenz? Laut Rüdiger Maas, der in Augsburg am Institut für Generationenforschung zur Gen Z und der Nachfolge-Generation Gen Alpha forscht, ist es eine Mischung aus beidem. "Ein ganzes Buch zu lesen, ist eine untrainierte Aufgabe", sagt er BuzzFeed News Deutschland. "Wenn ich untrainiert bin, bin ich langsamer. Die Studierenden könnten das schon, aber es ist sehr unangenehm, weil sie es so selten trainieren", führt er aus. 

Ein ganzes Buch zu lesen, ist eine untrainierte Aufgabe

Rüdiger Maas, Institut für Generationenforschung

BookTok bleibt zu oberflächlich

Einige mögen von diesen Beobachtungen überrascht sein. Schließlich hat BookTok das Lesen innerhalb kürzester Zeit wieder angesagt gemacht und vor allem junge Menschen tauschen sich auf der Plattform TikTok über ihre Lieblingsbücher aus. Wie der TikTok-Jahresrückblick 2024 zeigt, gehört BookTok mit mehr als 41 Millionen Beiträgen zu den größten Communities und hat massiven Einfluss auf Bestsellerlisten. Wieso hat die Gen Z also Lust aufs Lesen, fühlt sich an der Uni aber überfordert mit dem Lesematerial?

Maas zufolge mache es einen Unterschied, ob junge Menschen ein Buch lesen wollen oder müssen. Das Studium sei für manche eher "Mittel zum Zweck" und freiwilliges Lesen daher häufig die Ausnahme, sodass es eine Community wie BookTok brauche, weil ein Austausch mit dem näheren Umfeld über Bücher nicht möglich sei. Außerdem gehe es in vielen Videos auf BookTok eher um Werbung für die Bücher. "Die meisten Posts beschreiben oft nur sehr oberflächlich den Inhalt, wir können in den 20 Sekunden nicht erfahren, ob die Person es wirklich gelesen hat", erklärt Maas. Es gebe auch einige gute Buchkritiker:innen, "aber das ist nicht die Mehrheit." 

"Wir trauen jungen Menschen weniger zu"

Der Hang zu leicht konsumierbaren Inhalten zeige sich auch darin, dass Studierende häufig Apps benutzten, die Bücher zusammenfassen. Langfristig beeinflusst das ihre Lesekompetenz stark. Wenn Studierende nur noch Zusammenfassungen von Büchern und auch Studien lesen, könnten sich "Verzerrungsfehler" einschleichen, wenn Dinge z.B. falsch zusammengefasst werden. "Wir brauchen Akademiker, die die Inhalte auch bewerten können. Dafür ist tiefgründiges Wissen notwendig“, sagt Maas. Auch die LMU-Professorin Sabine Anselm bestätigt in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung, dass die Fähigkeit zur Einordnung von Informationen essentiell ist, gerade aufgrund der Digitalisierung: "Denn das bringt immer Leseunterbrechungen mit Werbung, Bildern und Links. Da muss ich eine gewisse Grundfähigkeit haben, um einen längeren Text gründlich zu lesen. Das ist im Analogen einfacher, weil es da weniger Ablenkungen gibt."

Dabei haben nicht nur junge Menschen Probleme mit dem gründlichen Lesen. Wie eine neue PIAAC-Studie (Programme for the International Assessment of Acult Competencies) zeigt, hat sich die Lesefähigkeit der Erwachsenen verschlechtert. Die beunruhigende Entwicklung, die sich schon in den PISA-Jugendstudien offenbarte, setzt sich also scheinbar fort.

Maas zufolge stehen die älteren Generationen in der Verantwortung, zum Lesen zu motivieren. "Wir nehmen die Gen Z und Gen Alpha zu schnell in Schutz. Wir trauen jungen Menschen weniger zu, in einem Buch zu lesen und gehen davon aus, dass alles angenehm sein muss", sagt er BuzzFeed News Deutschland. Problematisch betrachtet er Bilderbücher für die Gen Alpha mit Stiften, die dem Kind alles vorlesen. "Das wirkt erstmal klasse, weil das Kind sich selbst beschäftigen kann, aber tatsächlich ist es etwas Passives. Das Buch soll unterhalten und der Stift sagt, was ich in dem Buch zu sehen habe", erklärt er.