Frankfurter Buchmesse

Harmonie und Streit

16. Oktober 2024
von Nils Kahlefendt

Die Frankfurter Buchmesse ist eröffnet: Mit Bekenntnissen zur Freiheit der Worte und den Zwängen der Finanzen. Und es gab nur einen kleinen Eklat.

die Skulptur eines goldenen Handschuhs ist Teil des Ehrengastauftritts Italien

Die Skulptur eines goldenen Handschuhs ist Teil des Ehrengastauftritts Italien

Es geht darum, einander zuzuhören. Um respektvolle Wahrnehmung der anderen Position. Das ist die Idee von Frankfurt.

Juergen Boos

Erwarten wir in Zeiten geopolitischer Krisen und immer unversöhnlicher werdenden politischen Debatten womöglich zu viel von Literatur? Juergen Boos, als Frankfurter Buchmessedirektor das 20. Jahr im Amt und bei der letztjährigen Eröffnung nach Slavoj Žižeks Rede gleich in hartem Wetter, hält es lieber mit Salman Rushdie, der, ebenfalls letztes Jahr in Frankfurt, festhielt, dass das Besondere an Literatur sei, dass sie keinen Nutzen habe – und auch keinen haben muss: „Literatur bringt das Menschliche in uns hervor. Sie bringt uns mit anderen Menschen näher zusammen – leider auch manchmal weiter auseinander.“ Boos stellte, wie fast alle der neun Rednerinnen und Redner nach ihm, die Freiheit des Wortes als den Grundstein heraus, auf dem unsere Branche aufbaut. „Ohne diese Freiheit kann kein Buch geschrieben, kein Übersetzungsrecht verkauft, kein Streit über Bücher geführt werden.“

Italiens Kulturminister Alessandro Giuli am Rednerpult

Italiens Kulturminister Alessandro Giuli 

Italien, das heuer unter dem Motto „Verwurzelt in der Zukunft“ als Ehrengast antritt, eröffnete 1988 den Reigen der Gastländer. Italiens Kulturminister Alessandro Giuli betonte, dass er auch als Mitglied der Meloni-Regierung für den Schutz der freien Meinungsäußerung eintrete. Das italienische Verlagswesen sei eine „pluralistische Persönlichkeit“, die Zahl der ins Ausland verkauften Rechte hätte sich in den letzten Jahren vervierfacht. Der in der radikalen politischen Rechten sozialisierte frühere Journalist Giuli, der auch Chef des Museums für zeitgenössische Kunst Maxxi war, ist seit September im Amt und steht Giorgia Meloni persönlich und ideologisch nahe. In seiner Rede rief Giuli Carlo Levi („Christus kam nur bis Eboli“), Goethes „Italienische Reise“, die Zauberberg-Gestalten Hans Castorp und Settembrini, am Schluss sogar Botho Strauß auf. Er schlug einen weiten Bogen und bezog sich auf das Erbe der Antike, des Humanismus und der Renaissance. "Wir Italiener denken schon immer über Grenzen hinaus, ohne die Grenzen des Nationalstaates aufzugeben."

Zuvor musste sich Alessandro Giuli allerdings Seitenhiebe des Hessischen Ministerpräsidenten Boris Rhein gefallen lassen. Überall in Europa stünden die liberalen Demokratien unter Druck – Gleichgültigkeit sei da Gift: "Wir müssen auf der Hut sein. Die Geschichte zeigt uns, dass Demokratien nicht mit einem Knall sterben. Demokratien siechen langsam dahin. Das ist viel gefährlicher, weil viele erst dann aufwachen, wenn es schon viel zu spät ist." Als Beispiel für die Macht des Wortes führte er die Werke des italienischen Mafia-Enthüllungsautors Autors Roberto Saviano an. "Sein Buch ist mächtig, denn sonst wäre er nicht in Gefahr". Unmittelbar vor seiner Rede musste sich Giuli einen Zwischenruf des Frankfurter Stadtverordneten Nico Wehnemann (Die Partei) gefallen lassen. „Nach solchen Reden einen rassistischen Populisten aus Italien einzuladen ist eine Farce“, rief der Politiker, während er den Saal verließ. Wie er auf der Plattform X schrieb, habe die Frankfurter Buchmesse ein Hausverbot gegen ihn ausgesprochen.

Es ist immer ein schlechtes gesellschaftliches Zeichen, wenn man an der Kultur spart.

Mike Josef

Mit einiger Spannung war der Auftritt von Kulturstaatsministerin Claudia Roth erwartet worden. Im Vorfeld der Buchmesse war bekannt geworden, dass ihr Ministerium Fördermittel für den Deutschen Übersetzerfonds um rund 30 Prozent kappen will. Die massiven Einschnitte treffen insbesondere kleinere Verlage, die auf die Zuschüsse angewiesen sind. Rund 14 Prozent der jährlichen Neuerscheinungen sind Übersetzungen – in der Belletristik ein Viertel, im Comic-Sektor sogar über 80 Prozent. Der Frankfurter Oberbürgermeister Mike Josef, der sich über die Vertragsverlängerung zwischen der Frankfurter Buchmesse und der Messe Frankfurt freut, hatte vor Roths Rede für heftigen Applaus gesorgt, als er die Kultur als einigendes Band in einer auseinanderdriftenden Gesellschaft bezeichnete. „Es ist daher immer ein schlechtes gesellschaftliches Zeichen, wenn man an der Kultur spart.“  

Kulturstaatsministerin Claudia Roth ist bei der Eröffnungsfeier der Frankfurter Buchmesse auf einem Bildschirm zu sehen

Begeisterung für italienische Literatur: Kulturstaatsministerin Claudia Roth

Die Ministerin gab ihrem Vorredner recht: „Helfen Sie mit, dass das auch bei den Entscheidenden ankommt, dann tun Sie was Gutes!“ Sie wisse sehr wohl, dass die Zeiten für Literaten und Übersetzer, viele kleine Verlage, für den Buchhandel und den Buchmarkt insgesamt „überhaupt nicht einfach“ seien, und garantierte das Festhalten der Ampel an ermäßigtem Mehrwertsteuersatz und Buchpreisbindung. „In unserer sehr, sehr schwierigen Haushaltssituation habe ich für die Kultur gekämpft. Ich konnte dabei bei weitem nicht das erreichen, was für Buchkultur und Verlagsbranche nötig gewesen wäre. Aber ich werde in den anstehenden parlamentarischen Haushaltsberatungen weiterkämpfen, um mehr möglich zu machen.“ Mit einer engagiert vorgetragenen, an Lautpoesie erinnernden Aufrufung vieler Säulenheiligen der italienischen Literatur, brachte Roth das Auditorium ihrerseits zum Kochen, ein gut an die Rampe gebrachter Temperamentsausbruch. Der Physiker Carlo Rovelli, die Bestseller-Autorin Susanna Tamaro und der Philosoph Stefano Zecchi gaben an diesem langen, langen Eröffnungsabend noch einen Vorgeschmack auf die kommenden Tage. Aber wie sagte Tamaro: „In Italien ist alles zu viel, zu viel Kunst, zu viel Geschichte und Architektur, zu viel Schönheit, zu viel Desorganisation – und zu viel gute Küche.“ Sprachs, und endete mit den letzten Worten von Dantes Göttlicher Komödie: „Doch Wunsch und Willen, wie der Himmelsferne / Urewig kreisend Rad, führt' ihre Bahn / Die Liebe, die in Gang hält Sonn und Sterne.“

In unserer sehr, sehr schwierigen Haushaltssituation habe ich für die Kultur gekämpft. Ich konnte dabei bei weitem nicht das erreichen, was für Buchkultur und Verlagsbranche nötig gewesen wäre.

Claudia Roth

Man kann ziemlich sicher sein, dass wir in den nächsten fünf Tagen engagierte, auch höchst kontroverse Debatten erleben werden. Aber wie sagte Buchmesse-Direktor Boos so schön: „Es geht nicht darum, wer die Stimme am Lautesten erhebt – sondern darum, einander zuzuhören. Um respektvolle Wahrnehmung der anderen Position. Das ist die Idee von Frankfurt.“