Alfred-Kerr-Preis für Literaturkritik 2005

Eleganter Rezensent

10. Februar 2005
von Börsenblatt

Hubert Spiegel verknüpft Anschauung und Analyse. 2005 erhält er den Alfred-Kerr-Preis für Literaturkritik.

Wenn Hubert Spiegel von einem Buch begeistert ist, bringt er es in seiner Rezension zu einer Anschaulichkeit, die für den Zeitungsleser fast schon zum Lektüre-Ersatz wird. Bisher aber scheint Spiegels Stil den Verkaufszahlen seiner Favoriten nicht geschadet zu haben – es sind sehr erfolgreiche Bücher da- runter, und natürlich wünscht sich jeder Verleger den eigenen Autor von Spiegel rezensiert.

Woher aber rührt dieses Gefühl von Literatur-Ersatz, das die Besprechungen des 42-Jährigen so häufig erzeugen? Nicht, dass der Leiter der FAZ-Literaturredaktion in seinen Kritiken zu viel verriete, ganz im Gegenteil, am Anfang seiner Rezensionen, die oft mit multiperspektivischen Mitteln arbeiten, fühlt man sich oft durch vor- weggenommene Thesen gerade- zu überrumpelt. Dann aber klart sich alles auf, die Handlungsstränge der Vorlage werden kunstvoll verknüpft, einleuchtende Vergleiche geben Orientierung, und Spiegels Montagetechnik lässt ein Gesamtbild entstehen, das jedes Mal derart individuell wirkt, dass es wesentlich erscheint. Seine großen Rezensionen sind im Grunde Buch-, manchmal auch Autorenporträts. Voll »eigener Eleganz und Prägnanz«, wie die Kerr- Preis-Jury jüngst befand.

Neben Verständlichkeit und Klarheit strebe er Literarizität zumindest an, sagt Spiegel verschmitzt lächelnd und nennt Mar- cel Reich-Ranicki und Georg Hensel als prägende Kollegen. Spiegel, der 1962 in Essen geboren wurde, studierte nach einer lektürereichen Jugend zunächst in Tübingen Politologie, Soziologie und Geschichte, bevor er in Freiburg erstere gegen die Germanistik eintauschte. Dass ein politischer Aktivist an ihm verloren gegangen ist, kann man sich bei dem im Gespräch freundlich-differenzierten Spiegel kaum vorstellen. Wohl aber merkt man seinen Artikeln die Verbindung von Literaturwissenschaft und Soziologie an. Denn Spiegel schreibt nicht nur über besonders gute, sondern immer auch über besonders zeittypische Bücher. Wobei er sich in solchen Fällen aber weniger als Trendscout denn als kühl analysierender Seismograf betätigt. Die große provokative Geste meidet er; sein vielleicht charakteristischster Gesichtszug ist ein verstecktes Lächeln um den Mundwinkel, das ihn in einer lauter gewordenen Branche zum Gegenpol prädestiniert, aber auch als einen – abseits der Rezension zu entdeckenden – fein- sinnigen Humoristen ausweist, der Coups wie die Gewinnung Elke Heidenreichs als »FAZ«-Rezensentin eher still zu genießen scheint. Den Alfred-Kerr-Preis für Literaturkritik erhält er am 18. März 2005 während der Buchmesse in Leipzig.

Uwe Ebbinghaus 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

betätigt. Die große provokative Geste meidet er; sein vielleicht charakteristischster Gesichtszug ist ein verstecktes Lächeln um den Mundwinkel, das ihn in ei- ner lauter gewordenen Branche zum Gegenpol prädestiniert, aber auch als einen – abseits der Re- zension zu entdeckenden – fein- sinnigen Humoristen ausweist, der Coups wie die Gewinnung Elke Heidenreichs als »FAZ«-Re- zensentin eher still zu genießen scheint. Den Alfred-Kerr-Preis für Literaturkritik erhält er am

 

18. März während der Buchmes- se in Leipzig