Künstliche Intelligenz in der Verlagsbranche

Effizienz steigern, Kosten sparen?

6. Mai 2024
Sven Stollfuß

Wird KI zum Jobkiller? Welche Tätigkeiten lassen sich delegieren?  Über die Potenziale und Herausforderungen von KI-Anwendungen im Verlagswesen und der Buchbranche wird aktuell viel und kontrovers diskutiert. Sven Stollfuß, Professor für Medienwandel an der Universität Leipzig, hat die Lage mit Blick auf aktuelle Studien fürs Börsenblatt eingeschätzt.

eine natürliche und eine künstlicher Hand berühren sich, Motiv nach Art Michelangelos

Chancen und Risiken

Wo und wie helfen KI-Anwendungen im Arbeitsalltag? Welche Vorteile haben die unterschiedlichen Tools? Welche Effekte einer Effizienzsteigerung sind mit ihnen verbunden? Wo und welche Kosten können mit KI reduziert werden? Welche Arbeitsbereiche sind durch KI mittel- oder langfristig teilweise oder gar vollständig substituierbar?

Auf der Positivseite stehen vor allem die Effekte der Produktivitätssteigerung durch Zeitersparnis, ressourcensensibles und kosteneffizientes Arbeiten im Vordergrund. Routinearbeiten, Aufgabenmanagement, Delegationen u.v.m. sollen durch KI dynamisiert, also beschleunigt werden können, damit die freiwerdenden Kapazitäten anderweitig einsetzbar sind. Das ist zumindest der Anspruch.

Auf der Negativseite wird die Kritik am Abbau von personellen Kapazitäten angeführt; also die Angst vor dem, was durch KI ersetzt zu werden erscheint.

Trendumfragen: KI-Einsatz in fast allen Tätigkeitsfeldern im Verlag sehr wahrscheinlich

Die Studien- und Zahlenlage ist in Hinblick auf langfristige Veränderungen hierzu jedoch noch vorsichtig zu interpretieren. Erste Trendumfragen, die bei der Abschätzung von weiteren Entwicklungen allenfalls erste Eindrücke vermitteln, legen nahe, dass u. a. in Verlagsredaktionen bereits in rund 19% der Tätigkeitsbereiche KI-Tools zum Einsatz kommen sollen. Die Prognose für einen gesteigerten Einsatz wird mit rund 64% ausgewiesen.

Schreibende Tätigkeiten automatisieren?

Besondere Aufmerksamkeit kommt für die Bewertung solcherart Trendentwicklungen sicherlich dem Working Paper von OpenAI, OpenResearch und der University of Pennsylvania zu GPTs im Arbeitsmarkt zu. Die Autor:innen Tyna Eloundou, Sam Manning, Pamela Mishkin und Daniel Rock haben hier im Prinzip eine Simulation über potenzielle Effekte der Effizienzsteigerung in verschiedenen Berufen bei Zuhilfenahme von KI-Anwendungen – allen voran natürlich ChatGPT – aufgestellt.

Im Bereich von Berufen mit einem hohen Anteil von Schreibtätigkeiten (namentlich werden u.a. Autor:innen, Übersetzer:innen und Journalist:innen, aber auch Lyriker:innen und Creative Writers angeführt) wird davon ausgegangen, dass mindestens 50% der Tätigkeiten im Umfang von 68,8 bis 82,5 % durch KI beeinflusst werden könnten. Die Autor:innen heben also hervor, dass GPTs oder GPT-basierte Softwareanwendungen zu einer erheblichen Zeitersparnis im Alltagsalltag führen könnten, wobei damit nicht impliziert ist, dass Aufgaben auch vollständig durch automatisierte Prozesse erledigt werden können (Eloundou et al. 2023, insb. S. 16).

Der Hinweis ist deshalb nicht unwichtig, da im Working Paper ansonsten keine weiteren Differenzierungen mit Blick auf die Auswirkungen der prognostizierten Effizienzeffekte vorgenommen werden können. Die diskutierten Exposure-Werte sind allgemein als Stellvertreterzahlen (Proxy) für die Diskussion um ökonomische Auswirkungen ausgearbeitet. Das heißt, dass dabei explizit nicht unterschieden werden kann nach arbeitsoptimierenden (labor-augmenting) oder arbeitsverdrängenden (labor-displacing) Effekten (Eloundou et al. 2023, insb. S. 2).

Solcherart Trendentwicklungen suggerieren also erhebliche Auswirkungen für die Optimierung von Wertschöpfungsprozessen. Allerdings nicht nur für ökonomisch bewertbare Produktivitätsverbesserungen für spezifische Tätigkeiten und Prozesse (u.a. was geht schneller und günstiger?), sondern auch für den Wert der dort zu leistenden Arbeit (z. B. wo können Arbeitswerte und Expertisen durch einen effizienteren, fachlich sinnvolleren Einsatz gesteigert werden; aber auch, welche Fähigkeiten sind mittel- oder langfristig tatsächlich ersetzbar).

Annahmen fürs Verlagswesen

Gegenwärtig lässt sich noch nicht ausreichend abschätzen, unter welchen auch jeweils unterschiedlich lokalen Bedingungen solche Prognosen verifizierbar sein können und vor allem, inwiefern das auf andere Bereiche im Verlagswesen und insbesondere in der Buchbranche nachvollziehbar übertragbar ist. In den einzelnen Arbeitsfeldern kann im Detail auch noch nicht valide evaluiert werden, welche Tätigkeiten unter Prämissen der Effizienzsteigerung durch KI-Tools ohne Qualitätsverlust substituiert werden können, um komplexere Arbeitsbereiche durch einen gezielteren Einsatz von Personal bzw. Fachexpertise qualitativ entsprechend auszubauen.

Angesichts der aber anhaltend herausfordernden Situation im Buchmarkt u. a. durch Kostendruck, tendenziell abnehmendes Konsumverhalten (selbst inklusive der Steigerungen bei den Pro-Kopf-Ausgaben und der Konsumzunahme bei den 16- bis 29-Jährigen) und den Wandel infolge digitaler Medien lässt sich daraus vorerst ableiten:

  1. Der Einsatz von KI-Anwendungen verändert Wertschöpfungsprozesse und -strukturen im Verlagswesen. Arbeitsbereiche und Tätigkeitsfelder können dadurch ressourcenorientiert neu geordnet werden, um Auslastungen effizienter zu verteilen. Zu empfehlen ist dabei ggf. eine Spezifikation und begleitende Evaluierung derjenigen Tätigkeitssegmente, die (a) qualitätsfrei an KI-Anwendungen delegierbar erscheinen, um dadurch (b) auch tatsächlich Expertisen fachlich effizienter und ressourcenoptimierender einzusetzen.
  2. Das schon im Working Paper zu GPTs im Arbeitsmarkt aufgerufene unklare Verhältnis von arbeitsoptimierenden und arbeitsverdrängenden Effekten wird sich realiter absehbar als ein ähnlich problematisches erweisen. Entlang der wirtschaftlichen Entwicklungen im Buchmarkt und den damit verbundenen Herausforderungen werden sich Jobprofile dergestalt verändern, das bestimmte Arbeiten gerade durch KI-basierte Unterstützungen erforderlich und nachgefragt werden. Für eine nachhaltige, zielgerichtete Einbindung erscheint hierbei u.a. empfehlenswert: (a) die jeweiligen Tätigkeiten sollten in qualitativer Differenzierung gemäß der Ausprägung einer Übertragung an KI spezifiziert werden, (b) ineinandergreifende Prozesse und Routinen mit KI sollten entsprechend der Optimierbarkeit der vorhandenen personellen Ressourcen gefördert und (c) die notwendigen Fachkenntnisse und -fertigkeiten ausgebaut werden.