Phänomen BookTok

"Book-Boyfriends prägen unsere Wertevorstellungen!"

3. April 2025
Jona Piatkowski

Lesen als Lifestyle und Bücher als Fetisch – wie tickt die BookTok-Fankultur? Autorin Josi Wismar und Wissenschaftler:innen analysieren, wie New-Adult-Leser:innen Erzählungen mit der eigenen sozialen Realität verknüpfen.

 

Attraktiver, junger Mann mit kurzem, lockigem Haar lehnt lässig an einem Türrahmen und blickt hinaus.

Ein KI-generierter Book-Boyfriend - sieht so der Traumpartner aus?

 

"New Adult reißt im Publikumsmarkt alles weg. Das ist der Gamechanger", sagte Gerhard Lauer auf der Leipziger Buchmesse über die Relevanz des jungen Genres. "Die Etablierten reagieren verwirrt – die meist alten Männer verstehen die jungen Frauen nicht", schmunzelt der Mainzer Buchwissenschaftler.

Neben ihm saß eine Vertreterin des Trends: Josi Wismar, TikTok Book Award Autorin des Jahres 2024. Sie kennt die Vorwürfe gegen New-Adult-Romane – zu einfach, zu repetitiv, zu spicy. Darauf antwortet sie: "Hier rein, da raus. Diese Kritik kommt meist von oben herab und ist nicht neu. Ich schreibe Unterhaltungsliteratur – na und?"

"Wenn sich plötzlich viele junge Frauen für etwas begeistern, gilt es häufig als schlecht. Früher wurde auch Jane Austen vorgeworfen, dass sie Frauen lesesüchtig mache", vergleicht Josi Wismar. Heute ist es TikTok, das junge Menschen in die Buchläden zieht. Oder in die Messehallen – die Leipziger Buchmesse stellte einen neuen Besucherzahlenrekord auf: insgesamt mehr als 296.000.

Community-Building

"Das physische Buch liegt nicht nur im Trend, es ist ein Fetisch-Objekt. Farbschnitte und Bücherregale werden kultiviert, gefilmt, gepostet – Lesen wird zum Fan-Verhalten", so Lauer. "Das hat mit Lifestyle zu tun. Bookshelfing oder der IKEA-Rollwagen mit dem SUB (Stapel ungelesener Bücher) – das ist eine Inszenierung von Lebensstil und der Ausdruck von Gemeinschaft. Übrigens kein neues Phänomen, man denke an Werther oder Kloppstock."
Im Fachtalk der HTWK Leipzig am Messefreitag analysierte auch Sven Stollfuß, Professor für Medienwandel an der Universität Leipzig, das Phänomen: "Die Plattform ermöglicht den Austausch mit Gleichgesinnten. Es gibt einen Eindruck der unmittelbaren Verbindung zu den Verlagen und Autor:innen, die auch auf den Plattformen agieren."

Für Josi Wismar als Autorin ist die ständige Social Media Begleitung ihrer Arbeit Alltag: "Man nimmt die Leute die ganze Zeit mit. Ein Buch zu schreiben ist manchmal sehr anstrengend, aber wenn du weißt, da draußen ist eine Community, die wartet, motiviert das." Leser:innen hätten so eine Bindung zu dem Buch, wenn es im Laden steht. "Sie erinnern sich dann ‘Ah, ich weiß noch, mit diesem Kapitel hatte Josi im Lektorat Schwierigkeiten.’ Das entmystifiziert den Beruf Autor:in – ich zeige, was vor der Veröffentlichung alles passiert." Lauer ergänzt: "Auch das ist nicht neu, sondern ein historisches Phänomen. Schon Lord Byron hat seine Griechenlandfahrten inszeniert – nur das Tempo kannten wir so bisher nicht."

Farbschnitte und Bücherregale werden kultiviert, gefilmt, gepostet – Lesen wird zum Fan-Verhalten.

Gerhard Lauer

"Book-Boyfriends!"

"Zwei Meter groß, braunhaarig, lehnen mit gehobenem Arm am Türrahmen-", Lauer reagiert auf das Publikum: "Ja, Sie lachen, aber ich suche immer noch nach den Book-Girlfriends, die gibt es noch kaum. Aber Sie sehen: Social Media und die Bücher, die gelesen werden, prägen unsere Wertevorstellungen in der echten Welt", führt der Professor für Buchwissenschaften aus. In diesem Fall: was New-Adult-Leser:innen von einem Partner erwarten. Sven Stollfuß formuliert: "Nutzer:innen verknüpfen die Erzählungen mit der eigenen sozialen Realität – das macht die Emotionalität des Lesens aus."

Darin, ob sich das Medium der Publikation auf die Lesegewohnheiten auswirkt, sind sich die Expert:innen nicht ganz einig. Stollfuß argumentiert, dass Texte bereits inhaltlich mit Blick auf ihre Plattform verschieden konzipiert und verfasst werden: "Die digitalen Endgeräte tragen dazu bei, dass wir mehr und schneller lesen. Inhalte für diese Techniken sind schon auf skimming, also das flotte Überfliegen, ausgelegt."

Anke Vogel von der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz geht davon aus, dass die Lesetechnik, ob skimming oder deep reading, nicht vom Medium abhängt, sondern Gewohnheitssache ist: "Ich kann mir bewusst machen, wie ich lese und auch beim digitalen Lesen Störfaktoren ausstellen."
Sie beobachte derzeit, wie Immersion und das Abtauchen in Geschichten zelebriert würden und Leser:innen sich dem Druck zum Multitasking entziehen. "Es hängt davon ab, welche Zeitinseln ich zur Verfügung habe. Lese ich auf der Couch oder in der Bahn?" Lauer ergänzt erneut historisch einordnend, dass auch Fontane zunächst episodisch in Heften veröffentlicht wurde.

Fachtalk auf der Leipziger Buchmesse: "New Adult und digital lesen" beim Stand Unibund Halle-Jena-Leipzig
(v.l.n.r. Sven Stollfuß, Anke Vogel, Josi Wismar und Gerhard Lauer)

Wo soll das hinführen?

Lesecounter, Bücherstapel, Monats-Wrap-Ups – Stollfuß wirft einen Konsumdruck als Kehrseite des TikTok-Hypes in die Diskussion ein. Gerhard Lauer sieht kostenlos zugängliche Plattformen wie Wattpad und Archive Of Our Own als ausgleichende Entwicklung seitens der Leser:innenschaft dazu und verweist zudem auf die Entwicklung von Online-Gebrauchthändlern wie Momox. Mit Bezug auf Fanfiction führt Stollfuß auch Trends wie die zunehmend kleinteilige Differenzierung in Sub-Sub-Sub-Genres auf Foren zurück: "In den sozialen Medien entsteht ein eigener Soziolekt der Literaturkritik, der sich in Ratings und Tropes ausdrückt."

Josi Wismar geht davon aus, dass die Genrevielfalt auf BookTok zunehmen wird: "Leute entdecken das Lesen für sich. Nicht alle lesen seit ihrer Kindheit und auch wir haben nicht mit Hölderlin angefangen. Man wächst, denke ich, auch in andere Genres hinein." Immer mehr Menschen, mit Interessen über New Adult hinaus, kämen auf die Plattform. "BookTok wird sich verändern - die Formate, die Genres und die Leser:innen."