Es diskutierten die US-Autorin Vendela Vida (Ehefrau des „Circle“-Autors Dave Eggers), der Ressortchef für Literatur der „Zeit“, Ijoma Mangold, die Autorin und Journalistin Sieglinde Geisel, der „Perlentaucher“-Chef Thierry Chervel sowie die Programmleiterin für deutschsprachige Literatur bei Suhrkamp, Doris Plöschberger.
Mit einem Manko musste die Gesprächsrunde allerdings leben: die einzige Bloggerin hatte ihre Teilnahme kurzfristig abgesagt. Für den wie immer gewitzten und gewandten Moderator Andreas Platthaus ("FAZ") kein größeres Problem, wie der Gesprächsverlauf zeigte. Ohnehin gingen die Ansichten darüber, was mit dem so wabernden Begriff der Blogosphäre gemeint ist, auseinander. Zwischen Blog und Blog können Welten liegen: vom ursprünglichen Weblog bis zu einem Rezensionsblog, der regelmäßig Bücher bespricht und einen quasi-institutionellen Charakter angenommen hat, ist es mitunter ein weiter Weg.
Zunächst aber der diagnostische Blick auf die klassische Literaturkritik, deren angestammtes Revier die gedruckten Feuilletons und die Literaturzeitschriften waren. „Seit 2000 hat sich die Zahl der Literaturkritiken halbiert“, sagte Thierry Chervel. Um die Jahrtausendwende habe die „FAZ“ noch Literaturbeilagen publiziert, die 64 Seiten umfassten, so Chervel. (Zum Vergleich: die Beilage zur Leipziger Buchmesse 2016 war 16 Seiten dünn.) Die Reduzierung der Umfänge habe eine Beschränkung auf wenige Themen zur Folge gehabt, so Chervel. Die Ursache für diese Entwicklung sei in der unterversorgten Informationsökonomie zu suchen : „Fehlendes Geld ist das Problem aller Medien, die nicht öffentlich-rechtlich oder durch Stiftungen finanziert werden.“
Das sah Ijoma Mangold anders. Es gebe doch auch eine Knappheit an Aufmerksamkeit für Information. „Ich glaube nicht, dass eine Welt mit mehr Literaturkritiken eine bessere Welt wäre.“ Natürlich sieht auch der „Zeit“-Redakteur die Zahl der Literaturzeitschriften und Feuilletonbesprechungen schrumpfen, sieht auch er die Fokussierung auf wenige große Namen und Bücher. Deshalb brauche man dringend die Erweiterung ins Digitale.
Weshalb sollte der nicht refinanzierte Gedanke der langweiligere sein?
Den wesentlichen Unterschied zwischen meist unbezahlten Literaturblogs und etablierten Zeitungen sieht Mangold im Grad der Institutionalisierung. Kreativität auf der einen und Verlässlichkeit auf der anderen Seite stünden in einem Spannungsverhältnis. „Aber ich kann keinen Grund dafür erkennen, weshalb der nicht refinanzierte Gedanke der langweiligere sein soll.“
Dass die Grenzen zwischen Blog und Online-Magazin verschwimmen, zeigt Sieglinde Geisels neues Projekt „tell“, das heute (18.3.) online geht (www.tell-review.de). Ihr sei schon länger der Gedanke bewusst gewesen, dass die Zeit reif für ein neues Medium sei. „Es gibt das Bedürfnis nach einem Raum, in dem es keine Unterscheidung zwischen Kritikern, Autoren und Bloggern gibt.“ Einen Unterschied zu Literaturblogs gibt es allerdings: Alle eingehenden Texte werden redigiert, wenn auch nicht umgeschrieben.
Von ganz anderem Zuschnitt sind die Blogs, die seit einigen Jahren von Verlagen betrieben werden – zum Beispiel das Suhrkamp Logbuch, über das Doris Plöschberger sprach. Auch wenn sich der Erfolg dieses Mediums nicht quantifizieren lasse, schaffe es doch wichtige Kontakte in die Online- und Bloggerszene. Suhrkamp habe Kontakt zu rund 500 Bloggern, die pro Woche zwischen 30 und 40 Bücher anforderten. Aber auch auf dem Feld der klassischen Literaturkritik hat Suhrkamp trotz schrumpfender Rezensionsumfänge noch eine sehr komfortable Medienpräsenz: Jährlich erschienen etwa 3.500 Besprechungen zu Suhrkamp-Büchern, so Plöschberger.
In einer ganz anderen, haptischen Sphäre, ist Vendela Vida zu Hause. Als Mitherausgeberin des Kulturmagazins „The Believer“ (das bei McSweeneys in San Francisco erscheint) plädiert sie dafür, die Stärken klassischer Printmagazine auszuspielen. „Es ist meine persönliche Leidenschaft, unser Magazin so schön wie möglich zu gestalten.“ Sie liebe es, physische Bücher zu lesen, Bücher, die man in Regale stellt. Bei allem blogosphärischen Rauschen eine Botschaft, die das Herz manchen Buchmesse-Besuchers erfreut haben mag. Und dies aus dem Munde einer Frau, die nur wenige Meilen von der Zone entfernt lebt, in der die „Cycles“ des 21. Jahrhunderts geschmiedet werden.