Margarete Stokowski sagt Lesung bei Lehmkuhl ab

Lemling: "Wer sich gegen Rechts engagiert, sollte wissen, was Rechte denken"

5. November 2018
Redaktion Börsenblatt
Die "Spiegel"-Kolumnistin Margarete Stokowski sagt eine Lesung bei Lehmkuhl ab – weil die Buchhandlung in ihrem Sortiment rechte Primärtexte aus rechten Verlagen führt. Michael Lemling nimmt diesen Schritt mit Unverständnis zur Kenntnis, wie seine folgende Stellungnahme erläutert.

Boersenblatt.net dokumentiert die "Stellungnahme der Buchhandlung Lehmkuhl zu Margarete Stokowskis Absage ihrer Lesung am 28. November" im Wortlaut:

"Margarete Stokowski hat ihre bereits ausverkaufte Lesung bei Lehmkuhl am 28.11. abgesagt und erklärt, dass sie zu einem späteren Zeitpunkt an einem anderen Ort in München lesen wird. Dazu von uns das Folgende:

Frau Stokowski hat abgesagt, nachdem ihr zugetragen wurde, dass sich in unserer Auswahl an Büchern, die sich mit der Neuen Rechten beschäftigen, auch einige rechte Primärtexte aus dem Antaios Verlag befinden. Das macht Lehmkuhl für sie zu einem Ort, an dem sie nicht auftreten möchte.

Frau Stokowskis Absage wirft wichtige Fragen auf: Wer darf rechte Bücher lesen? Dürfen Buchhändler Bücher aus rechten Verlagen verkaufen? Wenn ja: an wen? Und nicht zuletzt: Wie steht es um die Debattenfähigkeit der streitbaren SPIEGEL-Kolumnistin Margarete Stokowski, die einen linksliberalen Veranstaltungsort wie Lehmkuhl zur No-go-Area erklärt, weil er nicht in ihr 'Antifa-ist-Handarbeit'-Konzept passt?

Wer auch immer sich mit Rechtspopulisten in all ihren Spielarten beschäftigen möchte, findet dazu bei Lehmkuhl die größte Auswahl an Titeln in München. Wir haben sie unter der Rubrik 'Neue Rechte, altes Denken' zusammengestellt. Die große Auswahl ist kein Zufall, halten wir doch die Auseinandersetzung mit den Rechten für eine der wesentlichen politischen Herausforderungen der Gegenwart.

Wer sich gegen Rechts engagiert, sollte wissen, was Rechte denken und lesen, wie sie argumentieren. Das kann man sich alles aus der vorhandenen Sekundärliteratur erschließen. Stimmt. So haben wir es hier praktiziert, bis 'Finis Germania' von Rolf Sieferle erst zum Skandal auf der NDR-Sachbuchbestenliste und dann zum SPIEGEL-Bestseller wurde. Es waren die bürgerlichen Feuilletons mit ihren namhaftesten Kritikern, die einen rechten Text zur Debatte stellten, dem eine nennenswerte Nachfrage im Buchhandel folgte. Dürfen nur Journalisten, Historiker und Politologen Sieferle lesen? Es hätte an diesem Punkt nicht von der 'Haltung' des Buchhändlers sondern von seiner Arroganz gezeugt, wenn er seinen interessierten Kunden diesen Text verweigert hätte.

Wir haben in der Folge zwei weitere Publikationen von Antaios aufgenommen, deren Kenntnis wir jedem Antifaschisten empfehlen möchten: Götz Kubitscheks Essaysammlung 'Die Spurbreite des schmalen Grats' und die von Caroline Sommerfeld und Martin Lichtmesz publizierte Polemik 'Mit Linken leben'. Diese Bücher und ihre Autoren erfreuen sich ebenfalls starker Debatten auf den Politik- und Feuilleton-Seiten der Tages- und Wochenzeitungen unseres Landes. Diese Berichterstattung ist notwendig, da sie sehr genau die tektonischen Verschiebungen in der politischen Kultur unseres Landes beobachtet.

Es ist leider so: Bessere Einführungen in rechtes, identitäres Denken als die Bücher der Genannten gibt es nicht. Das ist Aufklärung im O-Ton. Gefährden wir damit unser Publikum? Müssten wir nicht jeden, der mit Kubitschek an die Kasse kommt, fragen, wes Geistes Kind er ist? Nun: Wir glauben an die intellektuelle Spannkraft unserer Kunden und sind überzeugt, dass das Lesen rechter Publizistik nicht wehrlos macht. Im Gegenteil! Und um auch das klarzustellen: Es geht hier nicht um die Präsentation der gesamten Verlagsproduktion von Antaios & Co. im Schaufenster und die Auslage rechter Stapeltitel an der Kasse. Einen Rechtsruck bei Lehmkuhl muss niemand befürchten.

Ein einziger Blick auf unsere zeitgeschichtlichen Veranstaltungen in diesem Jahr hätte Margarete Stokowski zeigen können, welche Fragen uns und unserem politisch interessierten Publikum wichtig sind: Im Frühjahr diskutierten wir u.a. mit dem Publizisten Thomas Wagner über die Neue Rechte und mit Karl-Heinz Meier-Braun über die Doppelmoral der bundesdeutschen Flüchtlingspolitik. Im laufenden Herbst referierte Hartmut Wächtler in unserer Buchhandlung über Vergangenheit und Gegenwart politischer Justiz in Bayern und der amerikanische Politologe Corey Robin darüber, wie sehr der amerikanische Rechtspopulismus aus dem Ideenbestand des europäischen Konservatismus schöpft.

Was wir mehr denn je brauchen, sind offene und streitbare Debatten über die kontroversen politischen Themen unserer Gegenwart. Schade, dass Margarete Stokowski es vorzieht, lieber in ihrer eigenen Echokammer zu verbleiben.

Michael Lemling/ Geschäftsführer der Buchhandlung Lehmkuhl"