Boersenblatt.net dokumentiert die "Stellungnahme der Buchhandlung Lehmkuhl zu Margarete Stokowskis Absage ihrer Lesung am 28. November" im Wortlaut:
"Margarete Stokowski hat ihre bereits ausverkaufte Lesung bei Lehmkuhl am 28.11. abgesagt und erklärt, dass sie zu einem späteren Zeitpunkt an einem anderen Ort in München lesen wird. Dazu von uns das Folgende:
Frau Stokowski hat abgesagt, nachdem ihr zugetragen wurde, dass sich in unserer Auswahl an Büchern, die sich mit der Neuen Rechten beschäftigen, auch einige rechte Primärtexte aus dem Antaios Verlag befinden. Das macht Lehmkuhl für sie zu einem Ort, an dem sie nicht auftreten möchte.
Frau Stokowskis Absage wirft wichtige Fragen auf: Wer darf rechte Bücher lesen? Dürfen Buchhändler Bücher aus rechten Verlagen verkaufen? Wenn ja: an wen? Und nicht zuletzt: Wie steht es um die Debattenfähigkeit der streitbaren SPIEGEL-Kolumnistin Margarete Stokowski, die einen linksliberalen Veranstaltungsort wie Lehmkuhl zur No-go-Area erklärt, weil er nicht in ihr 'Antifa-ist-Handarbeit'-Konzept passt?
Wer auch immer sich mit Rechtspopulisten in all ihren Spielarten beschäftigen möchte, findet dazu bei Lehmkuhl die größte Auswahl an Titeln in München. Wir haben sie unter der Rubrik 'Neue Rechte, altes Denken' zusammengestellt. Die große Auswahl ist kein Zufall, halten wir doch die Auseinandersetzung mit den Rechten für eine der wesentlichen politischen Herausforderungen der Gegenwart.
Wer sich gegen Rechts engagiert, sollte wissen, was Rechte denken und lesen, wie sie argumentieren. Das kann man sich alles aus der vorhandenen Sekundärliteratur erschließen. Stimmt. So haben wir es hier praktiziert, bis 'Finis Germania' von Rolf Sieferle erst zum Skandal auf der NDR-Sachbuchbestenliste und dann zum SPIEGEL-Bestseller wurde. Es waren die bürgerlichen Feuilletons mit ihren namhaftesten Kritikern, die einen rechten Text zur Debatte stellten, dem eine nennenswerte Nachfrage im Buchhandel folgte. Dürfen nur Journalisten, Historiker und Politologen Sieferle lesen? Es hätte an diesem Punkt nicht von der 'Haltung' des Buchhändlers sondern von seiner Arroganz gezeugt, wenn er seinen interessierten Kunden diesen Text verweigert hätte.
Wir haben in der Folge zwei weitere Publikationen von Antaios aufgenommen, deren Kenntnis wir jedem Antifaschisten empfehlen möchten: Götz Kubitscheks Essaysammlung 'Die Spurbreite des schmalen Grats' und die von Caroline Sommerfeld und Martin Lichtmesz publizierte Polemik 'Mit Linken leben'. Diese Bücher und ihre Autoren erfreuen sich ebenfalls starker Debatten auf den Politik- und Feuilleton-Seiten der Tages- und Wochenzeitungen unseres Landes. Diese Berichterstattung ist notwendig, da sie sehr genau die tektonischen Verschiebungen in der politischen Kultur unseres Landes beobachtet.
Es ist leider so: Bessere Einführungen in rechtes, identitäres Denken als die Bücher der Genannten gibt es nicht. Das ist Aufklärung im O-Ton. Gefährden wir damit unser Publikum? Müssten wir nicht jeden, der mit Kubitschek an die Kasse kommt, fragen, wes Geistes Kind er ist? Nun: Wir glauben an die intellektuelle Spannkraft unserer Kunden und sind überzeugt, dass das Lesen rechter Publizistik nicht wehrlos macht. Im Gegenteil! Und um auch das klarzustellen: Es geht hier nicht um die Präsentation der gesamten Verlagsproduktion von Antaios & Co. im Schaufenster und die Auslage rechter Stapeltitel an der Kasse. Einen Rechtsruck bei Lehmkuhl muss niemand befürchten.
Ein einziger Blick auf unsere zeitgeschichtlichen Veranstaltungen in diesem Jahr hätte Margarete Stokowski zeigen können, welche Fragen uns und unserem politisch interessierten Publikum wichtig sind: Im Frühjahr diskutierten wir u.a. mit dem Publizisten Thomas Wagner über die Neue Rechte und mit Karl-Heinz Meier-Braun über die Doppelmoral der bundesdeutschen Flüchtlingspolitik. Im laufenden Herbst referierte Hartmut Wächtler in unserer Buchhandlung über Vergangenheit und Gegenwart politischer Justiz in Bayern und der amerikanische Politologe Corey Robin darüber, wie sehr der amerikanische Rechtspopulismus aus dem Ideenbestand des europäischen Konservatismus schöpft.
Was wir mehr denn je brauchen, sind offene und streitbare Debatten über die kontroversen politischen Themen unserer Gegenwart. Schade, dass Margarete Stokowski es vorzieht, lieber in ihrer eigenen Echokammer zu verbleiben.
Michael Lemling/ Geschäftsführer der Buchhandlung Lehmkuhl"
Vermitteln die erwähnten Titel aus dem Antaios Verlag tatsächlich hinreichend Informationen über ein Milieu, das sich als Neue Rechte bezeichnet? Schließlich möchte jene die Deutungshoheit über den politischen Diskurs erringen.
Der gemeinnützige Förderverein PRO LESEN in Frankfurt-Sachsenhausen, der im dortigen städtischen Bibliothekszentrum neben Literaturveranstaltungen auch über politische Bewegungen informiert, die in der Tradition der Bücherverbrennung von 1933 stehen, hat trotz beschränkter Möglichkeiten mehrfach größere Ausschnitt aus dem rechten Spektrum präsentiert.
Beispielsweise über „Compact -Magazin für Souveränität“, „Der III. Weg“, Jürgen Elsässer, Alexander Gauland, „Gemeinsame Erklärung 2018“, Björn Höcke, „Identitäre Bewegung“, „Institut für Staatspolitik“, Wochenzeitung „Junge Freiheit“ und deren Verleger Dieter Stein, „Konservative Revolution“, Götz Kubitschek, Vera Lengsfeld, Armin Mohler, PEGIDA, André Poggenburg, „Querfront“, Carl Schmitt, Martin Sellner, Zeitschrift „Sezession“, Beatrice von Storch, „Studienzentrum Weikersheim“, Uwe Tellkamp, „Verlag Antaios“, Alice Weidel, Karlheinz Weißmann oder „Zuerst“. Die nächste Aufklärung dieser Art wird im Januar 2019 stattfinden.
Die bisherigen Versuche einer entlarvenden Aufklärung führten nicht zu Absagen von Autoren, die zu Lesungen eingeladen waren. Vielmehr gingen anonyme Briefe ein wie dieser: „Heute schützt Euch noch die regimedevote Justiz, morgen nicht mehr!!! Wenn der AfD-inspirierte Volkszorn erwacht, werdet Ihr hinweggefegt + zur Verantwortung gezogen!“ Die verunglimpfenden Schriftstücke – insgesamt 21 zwischen August 2016 und Juni 2018 – waren mit Zitaten aus Äußerungen prominenter AfD-Politiker, „Junger Freiheit“, Antaios-Publikationen etc. kalligrafisch „verziert“.
Der Verfasser dieser Schmähungen konnte durch den Staatsschutz ermittelt werden und er wurde am 28. Juni 2018 wegen dieser und ähnlicher Beleidigungen Andersdenkender vom Amtsgericht Frankfurt am Main zu einer Geldstrafe von 9.000 Euro verurteilt. Doch selbst im Gerichtssaal bekräftigte er, was er wenige Wochen vorher in einem anderen Pamphlet dem Vorsitzenden des Vereins unterstellt hatte:
„KPD-Freund, Hasser, Hetzer, Bolschewisten-Poussierer, Heuchler, Lügner, Patriotenbesudler, Verfassungsfeind, Nationalverräter, Hochverräter, Freund von Mördern und Drecks-Kommunisten, Demokratiefeind, Rotnazi, Schreibtischtäter".
Welche Schlüsse können engagierte Buchhandlungen aus den Erfahrungen von PRO LESEN ziehen? Vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Entwicklung ist ein „braunes Regel“ mit Original- und Sekundärtexten notwendig, um die Kunden umfassend zu informieren. Dann findet auch Margarete Stokowski keinen Grund mehr, eine Lesung abzusagen.
Der eigentliche Skandal der letzten Wochen war doch, dass in vielen Buchhandlungen (vor allem bei großen Filialisten) der unsägliche Sarrazin stapelweise am "POS" ausgelegt wurde. Sicher nicht bei Lehmkuhl.
1968 waren kontroverse Diskussionen noch möglich, aber 2018 halten sich alle die Ohren zu und rufen laut "LA-LA-LA!", wenn der jeweils Andere spricht.
"Revisionisten", die den Holocaust und Hitlers Vernichtungskriege wegdiskutieren
möchten. Ohne einen umfangreichen "Giftschrank" wäre meine Arbeit gar nicht
möglich. Deshalb bin ich dankbar für öffentliche Bibliotheken, die mir die
entsprechenden braunen Quellen zur Verfügung stellen, und ich habe - sofern der
Kontext stimmt, was hier offenbar gegeben ist -, auch kein Problem damit, wenn
ich einige dieser Bücher im Buchladen finde.
Was oben schon anklang, ist meiner Ansicht nach völlig richtig: Eine fundierte
Auseinandersetzung mit Neonazis und braunen Ideologen ist nur möglich, wenn man
bei Bedarf die fragwürdigen Thesen auch mal im Orginal nachlesen und sich
vergewissern kann.
In dieser Hinsicht neige ich ohnehin zu den sehr weit gefassten Vorstellungen
von "free speech", wie sie etwa in der amerikanischen Verfassung verankert
sind. Das geht für mich allerdings zwingend mit der Selbstverpflichtung einher,
die braune Agitation nicht unwidersprochen stehen zu lassen.