Kommentar zu Stokowski versus Lehmkuhl

Die Furcht vor dem verstrahlten Grund

7. November 2018
Redaktion Börsenblatt
Die Autorin Margarete Stokowski hat eine Lesung in der Buchhandlung Lehmkuhl abgesagt, weil sie nicht an einem Ort auftreten wollte, an dem Bücher rechter Autoren und Verlage angeboten werden. Was sagt das über unsere Debattenkultur aus? Ein Kommentar von Börsenblatt-Redakteur Michael Roesler-Graichen.

Was darf politische Aufklärung, und was muss sie ertragen? Darf ein Buchhändler Bücher rechter Autoren anbieten? Die Autorin Margarete Stokowski wollte nicht bei Lehmkuhl in München auftreten und sagte eine Lesung ab, eben weil dort auch rechte Bücher im Laden liegen. Man dürfe nicht zur Normalisierung rechten Denkens beitragen und für Gewinne rechter Autoren und Verlage sorgen, so Stokowski.

"Wer sich gegen Rechts engagiert, sollte wissen, was Rechte denken und lesen, wie sie argumentieren", hält Lehmkuhl-Geschäftsführer Michael Lemling der Autorin entgegen. Womit er zweifellos recht hat: Aufklärung ohne Publizität und ohne Auseinandersetzung mit den Primärinhalten findet nicht statt. Die öffentliche Debatte auch über strittige und unerwünschte Posi­tionen ist gelebte Meinungsfreiheit und damit zugleich das Fundament einer offenen Gesellschaft.

Muss man deshalb aber die Bücher von Antaios & Co. zum Verkauf anbieten? Kann man die nicht auch in einer Bibliothek entleihen? Oder gehören die nicht sowieso in den Giftschrank? Das wäre die Antwort eines autoritären Systems. Eine offene Diskussion über Rechts erfordert mehr, auch um den Preis intellektueller und moralischer Zumutungen. Dazu gehört zum Beispiel auch die Wahlkampfkostenerstattung für rechte Parteien, die den Staat ablehnen.

Was die offene Gesellschaft zudem gefährdet, ist eine Un­kultur der Absage, die symptomatisch ist für eine Armut der Argumente. Künstler, die befürchten, nicht im richtigen Umfeld aufzutreten, weil ein anderer Künstler auftritt, der etwa mit Israel sympathisiert, boykottieren Festivals. Und Margarete Stokowski sagt ab, weil hier ein Linksliberaler – unter dem Rubrum "Neue Rechte, altes Denken" – Bücher rechter Autoren anbietet. Die Furcht, vermeintlich verstrahlten Boden zu betreten, wiegt bei ihr offenbar schwerer als der Verlust der offenen Aussprache. Ohne diese gleitet eine Gesellschaft jedoch in die »Aktion« ab; wie man weiß, eine Sackgasse, die in Gewalt endet.