Auf der Website des Institute for Strategic Dialogue (ISD), für das Sie in London arbeiten, findet man zwar eine Kurzbiografie von Ihnen, aber im Gegensatz zu den Kollegen kein Bild. Ist das eine Vorsichtsmaßnahme?
In der Vergangenheit bin ich schon mehrmals Hassangriffen ausgesetzt gewesen – vor allem, nachdem im Oktober 2017 unsere jüngsten Berichte über die Strategie von Rechten im Netz veröffentlicht wurden. Danach kam es zu einer Welle von Online-Angriffen, die auch Morddrohungen und sexuelle Drohungen enthielten. Das Institut hat dann entschieden, auf der Website kein Bild von mir zu veröffentlichen. Verstecken kann ich mich angesichts meiner Medienpräsenz allerdings nicht.
In ihrem Buch decken sie erstaunliche Parallelen zwischen rechtsextremen und islamistischen Gruppierungen auf. Wie haben diese darauf reagiert?
Islamisten wie Rechtsextremisten reagieren nach dem gleichen Muster: Die Rechtsextremen stimmen dem, was ich über den Islamismus schreibe, voll zu, leugnen aber, dass es überhaupt so etwas wie Rechtsextremismus gibt. Umgekehrt teilen die Islamisten die Einschätzung des Rechtsextremismus, sehen aber bei sich überhaupt kein Problem. Jede Gruppierung nimmt die jeweils andere als Extrem wahr.
Welches Schlüsselerlebnis brachte Sie dazu, die Ähnlichkeit von Islamismus und Rechtsextremismus näher zu untersuchen?
Vor der Arbeit beim ISD war ich für die Organisation Quilliam tätig, die von ehemaligen Islamisten gegründet wurde. Dort stand natürlich die Bekämpfung des Islamismus im Fokus. Ich begann dann, mich mit rechtsextremen Reaktionen auf jihadistische Angriffe und dem Anstieg rechtsextremer Bewegungen in Europa im Vorfeld des Brexit-Votums zu beschäftigen. Eine Woche vor der Abstimmung wurde die Labour-Abgeordnete Jo Cox von dem rechtsextremen Terroristen Thomas Mair ermordet. Da habe ich mir genauer seine Hintergründe und seine Motivation angeschaut und bin auf zahlreiche Parallelen gestoßen. Mir wurde klar, dass man Präventionsmethoden auf unterschiedliche Formen des Extremismus anwenden kann. Gleichzeitig habe ich auch ein Defizit bei der Prävention von Rechtsextremismus gesehen, wo gern mal ein Auge zugedrückt wird.
Jihadisten und Neonazis haben eine konträre Agenda. Dennoch scheinen sie dasselbe Drehbuch zu schreiben …
Und dann tanzen die Politiker, Medien und Wähler genau nach dem Skript. Die beiden Extreme ergänzen sich gut und spielen denselben Film ab, der kein Happy End hat, sondern in einem Krieg zwischen Rassen, Nationen oder Kulturen enden soll. Dahinter steht die Vision eines Endkampfs, nach dem die Karten neu verteilt werden.
Glauben Sie, dass diese Strategie Erfolg hat?
Die Extremisten haben es tatsächlich geschafft, den politischen Diskurs zu bestimmen und politische Überreaktionen hervorzurufen – und längerfristig mit ihrer Rhetorik den Mainstream zu infiltrieren. Darin besteht die Hauptgefahr. Die Anschläge von beiden Seiten haben ja eine ganz klare instrumentelle Funktion: Sie besteht darin, unsere Strukturen, die unsere Demokratie stützen, Stück für Stück zu zerstören und die Solidarität auszurotten. Durch die Vernetzung im Internet und die beschleunigte Berichterstattung wird die Dynamik insgesamt noch einmal verstärkt.
Sie liefern mit Ihrem Buch eine Analyse, wollen aber keine guten Ratschläge erteilen. Trotzdem bleibt ja die Frage, wie eine freie Gesellschaft mit der extremistischen und terroristischen Bedrohung umgeht.
Das ist natürlich eine hochkomplexe Frage, und beim ISD erarbeiten wir viele Ansätze dafür. Der Schlüssel ist wirklich, dass man nicht das macht, was die Extremisten wollen: demokratische Strukturen abbauen und die Menschenrechte aushöhlen. Der Fokus sollte eher auf die Prävention gelegt werden: Dazu gehören Erziehungsprogramme und schulische Aufklärungsprogramme, die zu kritischem Denken und zu digitaler (Medien-)Kompetenz hinführen: Wie funktioniert Propaganda? Was sind Fake News? Daneben gibt es die Kampagnen-Ebene der Aktivisten, die aus der Zivilgesellschaft kommen. In Deutschland passiert relativ viel durch das Programm „Demokratie leben“ des Bundesfamilienministeriums und durch die Online Civil Courage Initiative von Facebook, wo gegen Hass im Netz vorgegangen wird und Kampagnen gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus unterstützt werden.
Die Politik beugt sich zunehmend dem Wählervotum und verlegt sich auf restriktive Lösungen, etwa in der Flüchtlingsfrage. Zudem wird gefordert, radikale Moscheen zu schließen, um den Salafismus zu bekämpfen. Kann das funktionieren?
Restriktive Maßnahmen haben immer zwei Seiten: Gegen salafistische Brutstätten oder extremistische Propaganda im Netz muss natürlich etwas getan werden. Aber die Schließung von radikalen Moscheen oder die Entfernung von Hass-Posts in sozialen Netzwerken ohne Begleitmaßnahmen kann dazu führen, dass Extremisten in den Untergrund gehen, wo es schwerer ist, sie zu beobachten – und auch dazu, dass radikalisierungsgefährdete Personen sich noch mehr in die Ecke gedrängt fühlen und sich dann mit höherer Wahrscheinlichkeit extremistischen Organisationen anschließen. Den nachhaltigeren Effekt in der Prävention liefern Initiativen, die versuchen, die gesellschaftliche Resilienz gegen extremistische Mobilisierungsversuche zu stärken.
Angesichts der extremistischen Bedrohung macht sich im Netz, aber auch in den Medien Schwarzmalerei breit. Wäre Gelassenheit nicht die bessere Haltung?
Es ist natürlich nicht immer einfach, gelassen zu bleiben, wenn man sich den ganzen Tag islamistische und rechtsextreme Propaganda ansieht oder mit Neonazis chattet. Dennoch ist es wichtig, eine Leichtigkeit zu behalten und sich nicht von den Online-Illusionen, die von den Filterblasen erzeugt werden, einschüchtern oder demotivieren zu lassen. Das bedeutet nicht, die Sorgen und Ängste der Bürger nicht ernst zu nehmen – was die Politik in den vergangenen Jahren verabsäumt hat.
Auf der Leipziger Buchmesse, auf der sie auch Veranstaltungen haben, stellen Verlage aus, die dem rechtsextremen Spektrum zuzuordnen sind. Beunruhigt Sie das?
Nein, ich habe ja schon in der Vergangenheit Konfrontation mit rechtsextremen Organisationen gehabt, deshalb bin ich persönlich nicht beunruhigt. Wichtig ist es, ihre Statements herauszufordern und mit guten Argumenten gegenzuhalten, wenn sie die Platform nützen wollen, um ihre Ideologien zu verbreiten. Es ist schwer, Ihnen nicht zu erlauben, dort aufzutreten. Umso wichtiger ist es, sich gut darauf vorzubereiten und sie daran zu hindern, Überraschungseffekte auszunutzen. Sie verstehen es auch gut, rassistische und antisemitische Ansichten hinter einer politisch akzeptableren Rhetorik zu verbergen, der man nichts vorwerfen kann. Man muss ihre Kommunikationsstrategie entlarven und zeigen, was sich unter dem Deckmantel ihrer kalkulierten Rhetorik versteckt.
Bibliographie
Julia Ebner, "Wut. Was Islamisten und Rechtsextreme mit uns machen", Theiss Verlag / WBG, 336 S., 19,95 Euro