Um die Frage direkt zu beantworten: es tut sich in Sachen Literatur erstaunlich viel auf SecondLife, nur beschränkt sich das Wissen um diese Veranstaltungen auf eine überschaubare Insider-Szene. Wir organisieren seit 2010 gemeinsam die Literaturgruppe Brennende Buchstaben – bereits 2008 von Kirsten Riehl gegründet – und lesen eigene Texte und Comedyprogramme. Vorrangig laden wir jedoch Schriftsteller/innen in den virtuellen Raum ein, die meistens keine Erfahrung mit Second Life oder ähnlichen Cyberwelten haben. Seit 2010 konnten wir insgesamt fast 120 Schriftsteller/innen für solche Online-Lesungen gewinnen, darunter auch bekannte Namen wie Arno Strobel, Karl Olsberg, Uwe Laub, Oliver Buslau, Thomas Thiemeyer, Jennifer B. Wind oder Michael Meisheit, der nicht nur Drehbuchautor der „Lindenstraße", sondern auch erfolgreicher Selfpublisher ist.
In den letzten zwei Jahren haben wir uns vor allem auf kleine Verlage und Selfpublisher spezialisiert, mit denen wir monatlich etwa zwei bis drei Lesungen veranstalten. A
Außerdem organisieren wir zwei "Großveranstaltungen": das BB E-Book Event 2016, bei dem über vier Wochen hinweg jeweils an den Wochenenden insgesamt etwa 20 Lesungen stattfinden und das Festival der Liebe, das traditionell im Oktober stattfindet, das an einem Wochenende stattfindet und rund 30 Lesungen, Ausstellungen und Live-Comedy bietet.
Wir experimentieren mit virtuellen Theaterstücken und konnten in letzter Zeit Comedians und Poetry Slammer wie David Grashoff, Michael Heide oder André Wiesler für Auftitte in Second Life gewinnen. Grundsätzlich sind wir für alle Genres offen, wobei ein leichtes Übergewicht in Richtung Fantastik, Science Fiction und Steampunk besteht, weil Thorsten Küper sich in dieser Szene besonders gut auskennt.
Virtuelle Lesungen haben einige bedeutende Vorteile. Große Distanzen stellen kein Hindernis dar, um die Lesung eines Autors zu besuchen. Man kann per Voice, also direkt übers Headset nach der Lesung auch direkt mit ihr oder ihm ins Gespräch kommen. Da wir Autoren auch gern mit unseren Stimmen unterstützen, entstehen regelrechte Live-Hörspiele, die oft wesentlich spannender sind als die gewöhnliche Ein-Mann-Autorenlesung. Durch beliebig herstellbare Bühnenbilder können wir die Kulissen passend zu jener Szene gestalten.
SecondLife bietet unendlich viel Gestaltungsspielraum
In vielen Berichten über Second Life werden ausgestorbene Geisterstädte erwähnt. Das ist das Problem vieler virtueller Welten. Es werden riesige Metropolen errichtet, aber es mangelt an Ideen, sie mit Leben zu füllen. Genau das gelingt uns aber an solchen Lesungsabenden. Gerade für Lesungen aus den Genres Science Fiction oder Steampunk bietet der freie Gestaltungsspielraum beeindruckende kreative Möglichkeiten. Lassen wir den Autor seinen Dieselpunkroman doch einfach in einem Luftschiff lesen, das gerade von einem riesigen dampfbetriebenen Roboter auf den Boden gezogen wird!
Wir werden oft gefragt, wie viele Zuhörer zu einer Lesung kommen. Im Schnitt sind bei unseren Veranstaltungen 25-30 Personen anwesend. Wer schon als Autor auf Conventions gelesen hat, weiß, dass das für viele eine fast utopische Zuschauerzahl ist. Vor einigen Monaten klagte ein bekannter Schriftsteller, dass er sich bei seiner Lesung in einer großen Buchhandlung in Süddeutschland gerade mal sechs Zuhörern gegenüber sah. Mit der regulären fünffach höheren Zuhöreranzahl stehen wir also ganz gut da. Den Rekord hält bei uns die Steampunk-Autorin Anja Bagus mit 50 Zuhörern bei einer Halloween-Lesung. Beim diesjährigen Festival der Liebe vom 7. bis zum 9. Oktober lag die durschnittliche Besucherzahl bei 30, der Spitzenwert bei 40 Gästen.
"Literatur hat den Cyberspace erfunden. Jetzt wird es Zeit, dass sie ihn benutzt"
Wir verlangen keinen Eintritt für Lesungen, noch müssen Autoren etwas für ihren Auftritt bezahlen. Es gibt auch keine anderen versteckten Einnahmen über Werbung oder sonstiges. Für uns sind Lesungen in Second Life ein rein nichtkommerzielles Projekt. Der Zeitaufwand für einen Gastautor liegt bei rund zwei Stunden. Eine Stunde brauchen wir, um ihm dabei zu helfen, den Client zu installieren und den Voice-Chat richtig einzurichten. (Nein, auch dabei fallen keine Kosten an.). Die zweite Stunde ist dann die eigentliche Lesung mit einem Interview von etwa 20 Minuten Länge. Danach hat das Publikum die Möglichkeit, dem Autor Fragen zu stellen. Die Zuhörer sind übrigens sehr diszipliniert. Wir haben noch nie erlebt, dass eine Lesung durch Zwischenrufe gestört worden wäre. Textchat während der Lesung ist allerdings erlaubt. Auf dieser Ebene hat das Publikum auch die Möglichkeit, zu reagieren. Die meisten unserer Gäste sind später überrascht, wie authentisch sich die Lesung angefühlt hat. Echtes Lampenfieber inklusive.
Über die Lesungen erfährt man über unsere Literaturgruppe Brennende Buchstaben in Second Life selbst, über unsere Facebook Gruppe oder unsere Blogs http://brennendebuchstaben.blogspot.de/ und www.kueperpunk.de.
Wir hoffen, dass in nächster Zukunft neue Online-Welten wie Sansar – auch oft als SecondLife 2.0 bezeichnet – oder High Fidelity zu Plattformen für Experimente mit Literatur werden. Die Möglichkeiten sind längst nicht ausgeschöpft. Literatur hat den Cyberspace erfunden. Jetzt wird es Zeit, dass sie ihn benutzt.
Ein sehr interessanter Artikel, der angesichts des geringen zur Verfügung stehenden Umfanges die wichtigsten Aspekte gut anreißt.
Die Schilderungen kann ich völlig bestätigen. Meine unkommerzielle, deutschsprachige "Freie Bibliothek Pegasus in Second Life" kooperiert mit den "Brennende Buchstaben" letztlich seit ihrem Bestehen. Und das sehr zufrieden stellend.
Die große Vielfalt und die zahlreichen Kooperationen mit anderen "Anbietern" konnten im Artikel natürlich nur angedeutet werden.
Ergänzend wären z.b. noch beispielhaft Stichworte anzuführen wie etwa der Live - Vortrag eines Professors aus den USA, der zu Ernst Bloch referierte (und dessen Vortrag natürlich anschließend umgehend bei Pegasus kostenlos zur Verfügung stand).
Oder auch Lyriklesungen, thematische Ausstellungen (z. Zt. bei mir "Die 70er Jahr" bei der auch umfangreich auf die Literatur dieses Jahrzehnts hingewiesen wird) und einiges mehr.
Ich persönlich sehe z.b. Entwicklungsmöglichkeiten auch in Hinsicht auf kombinierte und interaktive Lesungen in "realen" Bibliotheken / virtuellen Lesungsorten.
Technisch wären wir mittlerweile so weit, dass derlei auch vom Equipment her durchaus bezahlbar wäre. Es fehlt lediglich noch der Mut und die Initiative der "realen Bücherszene".
MfG
Burkhard Tomm-Bub, M.A.
aka
BukTom Bloch
- Freie Bibliothek Pegasus in SL -
Dank für die guten Wünsche.
Ansonsten verstehe ich die Frage nicht.
"Gepflegt" wird diese Welt technisch von der Betreiberfirma Linden Lab.
Erschaffen und weiterhin kreativ gestaltet und ausgebaut wird sie von den Bewohner*innen, von denen zu jedem beliebigen Zeitpunkt bis zu 50 000 aktiv inworld sind (und das sind natürlich nicht 24 Stunden am Tag immer dieselben).
Die literarische und kreative community im deutschsprachigen Bereich erfreut sich dabei bester Gesundheit, hinsichtlich der Vitalität.
MfG
Burkhard Tomm-Bub, M.A.
aka
BukTom Bloch
- Freie Bibliothek Pegasus in SL -