Es ist, wie es ist: Jemand kennt jemanden und dieser Jemand kennt wieder einen – und am Ende trifft man sich und … So beginnen Geschichten.
In unserem Fall war es so: Vor fast genau einem Jahr fand ein Frankfurter Architekt, dem unser Verlag durch Dieter David Seuthes "Frankfurt verboten" bekannt geworden war, den Weg zu uns. Unangemeldet stand er in der Tür und dabei hatte er die Briefe einer Anuta Sakheim, von der ich noch nie gehört hatte. Herr Dreysse, so der Name des Mannes, erzählte mir von einer Veranstaltung, die ein Verein mit diesen Briefen gemacht und deren Besucher sich einhellig gewünscht hätten, dass ein Verlag sich dieser Briefe annähme.
Nun gut, derlei Wünsche kennt man. Aber Herr Dreysse war überaus sympathisch, und so nahm ich die Briefe an mich. Schon beim ersten Brief, den ich sogleich las, war mir klar: Das muss man ernst nehmen, sehr ernst. Eine Frau schreibt ihrem Sohn Ruben – sie in Palästina in einer dauerhaft gefährdeten Lage, die nur zwei Dinge ihr eigen nennen konnte: ihr Auto, mit dem sie sich als erste Taxifahrerin von Tel Aviv verdingte, und ihren Sohn, der in New York lebte, nach dem sie sich sehnte und dem sie nur nah sein konnte, indem sie schrieb. Was für ein Schicksal! Ich las, wie man sagt, mit angehaltenem Atem, begleitete Anuta Sakheim auf ihren Fahrten mit ihrem Taxi, bei all ihren Versuchen, nicht in Not und Elend zu versinken, in ihrer grenzenlosen Einsamkeit, die sie am Ende in den Freitod trieb.
Beim Lesen reifte die Entscheidung: Anutas Briefe aus dem Gelobten Land (das damals wie heute ein von Tod und Terror heimgesuchtes Land war und ist) müssen gelesen – und also veröffentlicht werden. Ich übertreibe nicht, wenn ich sage: In 40 Jahren Verlagsarbeit war ich einem solchen Dokument nie begegnet, obschon mir in meiner Zeit bei Suhrkamp und dem Jüdischen Verlag wie auch bei weissbooks.w immer wieder wichtige Zeugnisse jüdischen Lebens begegnet waren, aus denen Bücher wurden.
Was folgte, waren beglückende Erfahrungen: die Zusammenarbeit mit D.W. Dreysse und Katharina Pennoyer, die federführend die Gestaltung des Buches übernahm, die Gespräche mit Freunden und Bekannten über dieses Projekt, das über viele Wochen im Zentrum unserer Verlagsarbeit stand, und nicht zuletzt die Begeisterung der Mitarbeiter, Praktikanten und Hospitanten. Besonders beeindruckend und tief berührend waren die Mails, die uns Anutas Sohn Ruben schrieb. Ruben, der heute George heißt, wäre mit seiner Frau Ilse gerne nach Deutschland gekommen, um als Erster das Buch seiner Mutter in Händenzu halten. Doch leider kann er sich, fast 94 Jahre alt, die weite Reise nicht mehr zumuten. Am 17. August, wenn wir die Buchpremiere von Anuta Sakheims Briefen im Frankfurter „Haus am Dom“ feiern, werden wir an ihren Sohn Ruben denken.