Can Dündar gibt Pressekonferenz auf der Frankfurter Buchmesse

"Die Türkei ist das größte Gefängnis für Journalisten"

19. Oktober 2016
Redaktion Börsenblatt
Der türkische Journalist Can Dündar fordert Europa dazu auf, die freiheitlichen Kräfte in seiner Heimat zu unterstützen. Er selbst will einen Fernsehsender im Netz etablieren. 

In seinen Aufzeichnungen aus dem Gefängnis "Lebenslang für die Wahrheit" (Hoffmann und Campe) hat Can Dündar über seine Haft geschrieben, vor allem aber darüber, wie sich die Türkei unter Staatschef Erdogan immer mehr in ein Land der Angst und der Willkür verwandelt hat. Dündar lebt im Exil, in der Türkei droht ihm neuerliche Verhaftung, weil er zu den Journalisten gehört, die sich nicht mundtot machen lassen.

Seine Frau wird derweil an der Ausreise gehindert. Sie werde als Geisel gehalten, sagte Dündar am Mittwochmorgen bei einem von Buchmessedirektor Juergen Boos moderierten Pressegespräch, das unter strengen Sicherheitsvorkehrungen stattfand.

"Die Türkei ist das größte Gefängnis für Journalisten", beschrieb Dündar die Situation in seinem Heimatland. 130 seiner Kollegen sitzen derzeit in Gefängnissen. Es sei der Preis, den sie bezahlten für ihre kritische Haltung gegenüber einer repressiven Politik. "Wir verlieren mehr und mehr unser Land, ein demokratisches Land, und gleiten hinüber in eine islamische Diktatur", umschrieb er die Entwicklung in der Türkei.

Seine Erwartung an Europa formulierte Dündar ebenso deutlich: "Stehen Sie uns bei, unterstützen Sie uns!" Die Türkei – das sei nicht nur der durch Erdogan repräsentierte Staat. Die Hälfte der Bevölkerung repräsentiere ein modernes, freiheitliches Land. Dündar forderte dazu auf, diese demokratischen Kräfte zu unterstützen und hielt sich mit Kritik an die Adresse europäischer Politiker nicht zurück: "Die europäischen Regierungen sind auf der falschen Seite."

Statt sich allein mit Staatspräsident Erdogan und Mitgliedern der AKP-Regierung zu verabreden, sollten hochrangige Türkeibesucher aus Europa  auch Oppositionspolitiker treffen und mehr noch, die Inhaftierten, Journalisten, Autoren, Andersdenkende, in den Gefängnissen. Europa habe seine Werte für machtpolitische Interessen geopfert, sagte der Journalist in Anspielung auf die Flüchtlings-Vereinbarung mit der Türkei.

Dündar kündigte an, vom Exil aus ein Web-TV zu starten. Man müsse das türkische Publikum erreichen in einer Zeit, da es nur noch einen unabhängigen Fernsehkanal und drei kritische Zeitungen gäbe. Korruption, der Krieg in Syrien, Menschenrechtsverletzungen, zählte Dündar auf, „jemand sollte darüber reden“. Er betont: "Ich möchte keine Welt, die bestimmt wird von den Erdogans, Putins und Trumps – alles werde ich weiter für eine andere Welt kämpfen."