"Die Blogger bleiben bei uns scharf im Blick", versicherte Oliver Zille, Direktor der Leipziger Buchmesse, bei der Eröffnung der diesjährigen buchmesse:blogger sessions. Er sei immer wieder beeindruckt von der Begeisterung, mit der sich die Buchblogger für die Literatur einsetzten. Aber man müsse sich "auch professionell aufladen" – und das sei das Anliegen dieser Konferenz. Wo genau da Bedarf besteht, ließ die Leipziger Buchmesse in diesem Jahr die Community entscheiden: Vorab gab es die Möglichkeit, Themen einzureichen und anschließend über die Sessions abzustimmen. Zille nannte das eine "Organisation von unten nach oben", von den Bloggern wurden die Möglichkeiten der Mitbestimmung gut angenommen.
Auch bei der Zielgruppenorientierung der Veranstaltung und den Kosten reagierte der Veranstalter auf Anregungen aus den Vorjahren: Panels für Einsteiger und Fortgeschrittene wurden entsprechend ausgewiesen, die Teilnahme an der Konferenz war dieses Jahr kostenfrei. Ebenso war der Veranstaltungsort ein neuer: Statt hinter verschlossenen Türen im Konferenzgebäude tagten die Blogger dieses Jahr in den Fachforen 1 und 2 der Halle 5, was für mehr Laufpublikum sorgte, gleichzeitig aber aufgrund der Bühnensituation die Kommunikationsmöglichkeiten zwischen Vortragenden und Publikum verschlechterte. Letzteres blieb aber interessiert: Über den Tag zählte die Buchmesse gut 150 Konferenzbesucher.
Politischer, kritischer
Auffällig in diesem Jahr war die Politisierung der Sessions: Elif Kavadar (lost-in-written-words.blogspot.de) und Mareike Hansen (crowandkraken.de) befassten sich mit der Frage "Warum Buchblogs politischer werden müssen" und verwiesen auf die Verantwortung öffentlicher Äußerungen – auch bei Buchbloggern. Beispiel: Das Besprechen von Titeln, in den Rape Culture verherrlicht werde, sei politisch, ob gewollt oder nicht. Hansen und Kavadar riefen dazu auf, mehr Haltung zu zeigen und sich klar zu positionieren. Linus Giese (buzzaldrins.de) sprach mit Wolfgang Tischer (literaturcafe.de) eingangs über das Thema "Mehr Mut beim Bloggen" und die Online-Reaktionen auf sein Trans-Outing, die von warmherziger Unterstützung bis zu menschenverachtender Hate Speech reichen – fünf Twitterer hat Giese inzwischen bei der Polizei angezeigt. In der Session "Die wilde Geschichte der Jahre 2015–2017 – Kommunikation und Reformen in der Gesellschaft 4.0" lieferten Jens Hirt und Tim Sarianidi (ausnahmezustand-neuzeit.blogspot.de) Thesen, Erklärungen und Reformvorschläge 4.0 zum Thema Krisen in den westlichen Gesellschaften.
Update Rechtsgrundlagen
Buchblogger (54books.de) und Rechtsanwalt Tilman Winterling sprach in seiner Session "#detox – Neues zu Influencermarketing und Schleichwerbung" über rechtliche Grundlagen für Blogger und erläuterte, wie man werbliche Beiträge von redaktionellen unterscheidet und korrekt kennzeichnet. Auch die Folgen falscher Kennzeichnung und die richtige Handhabung von Affiliate Links besprach Winterling in gewohnt witziger, kompetenter Manier. Die vielen Fragen aus dem Publikum zeigten, dass hier nach wie vor viel Redebedarf besteht.
Stachlig werden
Reden wollten auch Katharina Herrmann (54books.de), Jochen Kienbaum (lustauflesen.de) und Tobias Nazemi (buchrevier.com). "Hören wir auf zu kuscheln, lasst uns laut und stachelig werden!", nannten die drei ihre Session. Einzelne Gedanken – beispielsweise ein auszulobender Preis für den arrogantesten Bloggerbashing-Artikel seitens des Feuilletons oder die Frage "Gibt es überhaupt ein 'Wir' unter den Buchbloggern?" – waren durchaus spannend; auch die These, das Interesse an Blogs nehme stetig ab, ist bedenkenswert. Leider fehlte dem Gespräch etwas der rote Faden, hier wäre sicher mehr möglich gewesen.
Die Veranstaltung "Bücher als Einnahmequelle für Blogger und Influencer" musste leider entfallen, da die Macher aufgrund des Schneechaos die Leipziger Buchmesse nicht rechtzeitig erreichen konnten. Dass das Thema Finanzen es in diesem Jahr wieder in die Auswahl geschafft hat, zeigt, dass bestimmte Aspekte in der Bloggergemeinde wichtig bleiben: Monetarisierung, rechtliche Rahmenbedingungen und die eigene Position innerhalb des Literaturbetriebs bleiben Kernthemen, ebenso die Kommunikation mit Verlagen. Elemente wie Storytelling, gezielte Markenbildung und Vergleichbarkeit von Blogs kamen dazu. Für die nächste Bloggerkonferenz #bmb19 wären noch mehr frische Themen, Diskussionsrunden sowie ein wenig Input von außen (wieso gab es dieses Jahr keine Keynote?) wünschenswert. So wie sich die Blogs weiterentwickeln, werden es sicher auch die buchmesse:blogger sessions tun.
So sahen es Teilnehmer:
Elif Kavadar, lost-in-written-words.blogspot.de:
"Nach meinem Empfinden waren die Sessions sehr gelungen. Dadurch, dass im Vorfeld Votings stattfanden, waren die Themen vertreten, die die Zuhörenden wirklich interessierten.
Als Ort gefielen mir die Fachforen auch unglaublich gut, so war man nicht isoliert, sondern mitten im Geschehen. Der einzige Störfaktor war für mich eigentlich nur, dass wir aufgrund der vorherigen Session erst etwas später anfangen konnten und trotzdem nur bis 12 Uhr Zeit hatten. Die fünf Minuten haben uns am Ende gefehlt, aber ansonsten war auch die Organisation und die Kommunikation im Vorfeld sehr gelungen."
Jochen Kienbaum, lustauflesen.de:
"Als Forum des Austauschs und der Diskussion haben sich die Sessions durchaus bewährt. Leider standen die räumlich offenen und akustisch wenig abgeschirmten Foren einer konzentrierten Arbeit etwas im Wege. Ich kann die Absicht dahinter nachvollziehen: ein leichter Zugang für alle sollte gewährleistet werden, ohne Akkreditierung und andere Barrieren. Aber das minderte den Wert der Konferenz gleichzeitig. Etwas lieblos empfand ich den Umgang mit den Referenten: Viele haben Zeit und Arbeit in ihre Session und ihre Präsentation gesteckt. Entlohnt wurden wir mit einem Kaffeebecher, einem USB-Stick und einem Buchgutschein über 15 Euro, der obendrein eineinhalb Stunden nach Ende der Konferenz verfiel. Das war kein wertschätzender Umgang mit einer einflussreichen Gruppe von Literatur-, Lese- und Buchbotschaftern, von denen die Messe auch lebt.
Ich hätte meinen Vortrag, den ich zusammen mit Katharina Herrmann und Tobias Nazemi gehalten habe, sicher besser vorbereitet, pointierter vorgetragen und mehr Austausch mit den Zuhörern eingefordert. Auch die Verantwortlichen der Leipziger Buchmesse sollten wissen – was nichts kostet, ist wenig wert. Und: wer wenig bis nichts investiert, bekommt auch wenig bis nichts.
Ich wünsche mir, dass die Sessions fortgeführt werden, sie sind eine gute und zukunftsorientierte Initiative der Buchmesse. Vielleicht ließen sich für die kommenden Konferenzen wieder Räumlichkeiten finden, die konzentrierteres Arbeiten ermöglichen – und ein Budget für Referentenhonorare."
Das vollständige Programm: http://www.leipziger-buchmesse.de/bloggersessions/
Zum Nachhören finden Sie die Sessions bei den Afnahmen aus den Fachforen 1 und 2: https://voicerepublic.com/series/fachforum-1
https://voicerepublic.com/series/fachforum-2