Christian Schumacher-Gebler, CEO der deutschen Bonnier-Gruppe, hat einen etwas anderen Blick auf das Thema. „Ich bin skeptisch, dass es uns gelingen wird, eine Großveranstaltung auf dem Messegelände in gewohnter Form veranstalten zu können. Es wäre fatal, wenn uns das gleiche Schicksal wie in Leipzig ereilt und wir der Möglichkeit beraubt werden, unsere Autoren und deren Themen zu präsentieren.“
Der Chef der nach Umsatz zweitgrößten deutschen Verlagsgruppe wünscht sich in diesem Punkt „eine schnelle und klare Reaktion der Frankfurter Buchmesse, um die Zeit zu nutzen für gute Alternativkonzepte“. Die Frankfurter Buchmesse solle in Kooperation mit allen Branchenkollegen die Kräfte bündeln, um gemeinsam ein hybrides, physisch-digitales Konzept zu entwickeln. „Wir sind meines Erachtens gut beraten, uns in diesem Jahr gedanklich von den klassischen Messeständen zu verabschieden und über Alternativen nachzudenken. Leser werden im Herbst Orientierung suchen und nach einem halben Jahr, in dem viele kulturelle Veranstaltungen ausgefallen sind, offen sein für kreative neue Ideen. Wir sollten die Zeit, die uns dafür noch bleibt, nutzen, um uns mit diesen Ideen zu beschäftigen. Das gäbe uns eine gewisse Sicherheit, kein zweites Leipzig zu riskieren, bei dem uns das Virus in letzter Minute einen Strich durch die Rechnung gezogen hat.“
Die Koordinaten alternativer Idee könnten seiner Meinung nach sein: Lesungen, Diskussionen, Begegnungen, Preisverleihungen, durchaus mit Hotspot in Frankfurt, aber auch dezentrale Bücher- und Autorenbühnen an vielen Orten im Land – „und dann alles per Stream im Internet, im TV, im Hörfunk, in den sozialen Medien. Unsere Botschaft könnte lauten: Die Frankfurter Buchmesse 2020 kommt zu dir nach Hause.“ Jetzt gelte es, dafür Medienpartner zu begeistern. „Man stelle sich vor, wir bekämen, wie aktuell das Corona-Virus, direkt nach der Tagesschau um 20:15 Uhr ein allabendliches ARD-extra zu den täglichen Höhepunkten der Buchmesse.“
Gleichwohl betont Schumacher-Gebler: „Auch ich würde mir eine altbewährte Messe wünschen. Aber wir müssen uns vermutlich, so bedauerlich das ist, von der Vorstellung lösen, dass wir unser Publikum dieses Jahr durch Messehallen wandern sehen." Umso wichtiger sei es, etwas zu kreieren, "das dem Sog der physischen Messe durch ein neues Konzept mit tollen Veranstaltungen in Frankfurt und bundesweite möglichst nahe kommt. Veranstaltungen, die von Lesern besucht werden können, auch dann, wenn sich im Oktober die Rahmenbedingungen spontan ändern. Wir wären vorbereitet, um zu reagieren. All das eingerahmt vom Deutschen Buchpreis und der Verleihung des Friedenspreises.“
Die Gefahr, dass Buchmessen international zunehmend durch digitale Inszenierungen ersetzt werden könnten, sieht der Bonnier-Verantwortliche nicht. „Unsere Branche ist und bleibt ein People Business. Wir leben von der Begegnung miteinander. Wir Verlage präsentieren uns mit Ständen in den Messehallen schon seit vielen Jahren vor allem für das buchbegeisterte Publikum - und um Anlaufstationen für das Treffen von Lesern und Autoren zu haben. Das wird auch in Zukunft unersetzbar sein. Keiner möchte doch auf die unzähligen Leserinnen und Leser verzichten, die sich drei Tage lang begeistert durch die Messehallen treiben lassen.“ Mit Blick auf die weitere Messezukunft meint Schumacher-Gebler: „Wenn wir in diesem Jahr positive Erfahrungen durch die digitale Ergänzung machten, könnte das ein Gewinn für 2021 sein und die Konzepte der Folgejahre bereichern.“
Ich höre von verschiedenen Agentenkollegen, gerade auch von solchen, die vorher noch nie zu denen gehört hatten, die über ausbleibende Geschäfte klagen – und es auch kaum bislang mussten, dass deren Lizenzgeschäfte in bedenklichem Umfang weggebrochen sind, ich höre von 30%- bis 50%-igen Verlusten. Das alles mit den Folgen, die aus so vielen anderen Branchen zu hören sind, wie Personalentlassungen, Probleme mit den laufenden Betriebskosten etc., all das nicht nur auf das laufende Jahr bezogen, sondern auch rote bis tiefrote Zahlen aus den Lizenzerträgen des laufenden Jahres zu befürchten sind, also die ab Frühjahr 2021 abgerechnet werden.
Neben der inneren Ausrichtung der Messe, also ihrer Außenwirkung auf das deutschsprachige Publikum, Leser, Buchhändler und Presse, muss man das Schlimmste befürchten, welche fatalen Konsequenzen der Ausfall oder eine „abgespeckte“ Variante der Messe auf die globale publishing scene hätte, gerade nachdem schon die Annullierungen der anderen marginalen Messen, wie z.B. die Bologna oder London Book Fair, Riesenlücken gerissen haben.
Es bleibt nicht aus, dass man schwarzsieht, selbst wenn man sich normalerweise und immer zu den Optimisten dieser Welt und der Buchszene gezählt hat…