Protestwelle gegen Einstellung des "Bücherjournals"

"Es ist ein Skandal"

13. Mai 2020
Redaktion Börsenblatt

Vor einigen Tagen hatte der NDR angekündigt, dass sein Literaturmagazin "Bücherjournal" zum Jahresende eingestellt wird − nun hagelt es Kritik dagegen aus Buchbranche und Kulturszene. NDR-Intendant Joachim Kunth wird aufgefordert, die Entscheidung zu revidieren.

Börsenverein: "Unsere Gesellschaft braucht das öffentliche Gespräch über Bücher"

Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels kritisiert in einem Statement das kontinuierliche Verschwinden von Buchthemen im öffentlich-rechtlichen Programm und hat Stimmen von  Verleger*innen und Buchhändler*innen gesammelt.

Der Norddeutsche Rundfunk (NDR) hat angekündigt, im Zuge von Sparmaßnahmen ab 2021 die Literatursendung "Bücherjournal" einzustellen. Nach Streichungen in den letzten Jahren etwa beim BR Fernsehen ("Lesezeichen", "Lido", "Südlicht", "Gottschalk liest?"), SWR Fernsehen ("Lesenswert Sachbuch") und ZDF ("Lesen!", "Die Vorleser") gingen im Programm des öffentlich-rechtlichen Fernsehens vermehrt Sendeplätze für Buchthemen verloren, beklagt der Börsenverein.

Karin Schmidt-Friderichs, Vorsteherin des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels:

"Unsere Gesellschaft braucht das öffentliche Gespräch über Bücher. In den Programmen von ARD und ZDF aber haben Bücher in den vergangenen Jahren massiv an Sichtbarkeit eingebüßt. Seinem Auftrag einer kulturellen Grundversorgung kommt der öffentlich-rechtliche Rundfunk damit nicht mehr ausreichend nach. Dies ist gesellschaftlich besorgniserregend. Bücher stehen für solide recherchierte und differenzierte Informationen, sie vermitteln komplexe Zusammenhänge, geben dialektische Denkanstöße und tragen neue Themen ins Bewusstsein der Öffentlichkeit. Sie sind Teil unserer kulturellen DNA und leisten einen wesentlichen Beitrag zum Gelingen einer freien, demokratischen Gesellschaft. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen wirkt als Katalysator gesellschaftlicher Debatten in alle Bevölkerungsgruppen hinein. Bücher zunehmend aus der Wahrnehmung der Menschen zu rücken, ist nicht erst in Zeiten von Fake News und Verschwörungstheorien fatal. Literatursendungen abzusetzen und Zuschauer*innen literarischen Austausch vorzuenthalten, schmälert einmal mehr die Möglichkeit der kulturellen Teilhabe aller."

Stimmen von Verleger*innen und Buchhändler*innen

Philipp Keel, Verleger Diogenes Verlag:

"Warum ausgerechnet am Futter für den Geist sparen? Es war einmal Kultur im Fernsehen."

Florian Illies, verlegerischer Geschäftsführer Rowohlt Verlag:

"Wenn das öffentlich-rechtliche Fernsehen seinen Auftrag zur Grundversorgung weiter ernst nehmen will, dann sollte es wissen, dass Bücher und die Vermittlung von Büchern ein zentraler Bestandteil der mentalen Grundversorgung sind und dass es naiv ist, zu glauben, man könne ausgerechnet bei der Kultur unbemerkt und schadensfrei mit dem Sparen beginnen."

Felicitas von Lovenberg, Verlegerin Piper Verlag:

"Leser*in wird und bleibt nur, wer die passenden Bücher für sich findet. Bei dieser Entdeckungsreise durch die literarische Welt ist das Bücherjournal des NDR ein zuverlässiger Kompass, mit einer klugen, überraschenden, einleuchtenden Auswahl und guten Beiträgen. Fernsehen besteht darin, dass jemand irgendwo sitzt und hinschaut. Gutes Fernsehen regt dazu an, nach dem Schauen aufzustehen und weiter zu denken. Dass jetzt ausgerechnet wieder eine Sendung eingestellt werden soll, die dazu beiträgt, ist ein Skandal."

Tim Jung, Verleger Hoffmann und Campe Verlag:

"Bücher sind für den Erhalt einer demokratisch-aufgeklärten Gesellschaft unverzichtbar. Zugleich brauchen Bücher Öffentlichkeit. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen steht nicht nur über seinen Kulturauftrag in der dringenden Pflicht, Büchern diese Öffentlichkeit zu verschaffen und damit zum Erhalt unserer demokratisch-aufgeklärten Gesellschaft beizutragen."

Thomas Rathnow, CEO Verlagsgruppe Random House:

"Der Auftrag des NDR lautet nach Auskunft des Senders, dass ‚das Programm informieren, bilden, beraten, unterhalten und insbesondere Beiträge zur Kultur anbieten‘ soll. Das aktuelle Programmschema des NDR weist gewiss kein Übermaß an kulturellen Sendungen auf. Da Kultursendungen vermutlich nicht zu den besonders teuren Produktionen zählen, ist schwer nachzuvollziehen, dass ausgerechnet das Bücherjournal mit seiner 30-jährigen Geschichte den aktuellen Sparbemühungen zum Opfer fallen soll. Die Verantwortlichen sollten ihre Entscheidung überdenken und nach kreativen Lösungen suchen, um ihrem Selbstverständnis gerecht zu werden. Dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk wird bei der Vermittlung von Literatur und Kultur zurecht eine besondere Verantwortung zugewiesen. Hier sollte er seine Chancen wahrnehmen."

Björn Bedey, Geschäftsführer Bedey Media:

"Literatur ist ein fester und prägender Bestandteil unserer Kultur – seit Jahrhunderten. Gerade der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist aufgrund seines verfassungsrechtlich vorgegebenen Auftrages dazu verpflichtet, dies in seiner Berichterstattung zu berücksichtigen. Dieser Verpflichtung wird in den letzten Jahren immer unzureichender nachgekommen. Die angekündigte Einstellung der Literatursendung Bücherjournal des NDR stößt in diesem Kontext auf mein vollkommenes Unverständnis und stellt hierdurch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk an sich in Frage."

Nina Hugendubel, geschäftsführende Gesellschafterin Hugendubel:

"Wir wissen aus Umfragen, dass das Bücherlesen bei den Menschen an sich sehr positiv besetzt ist. Allein im Wettbewerb um Aufmerksamkeit kann es sich nicht immer durchsetzen. Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, die Menschen auf vielseitigen Wegen an das so wertvolle Medium Buch zu erinnern. Auch Fernsehformate wie das Bücherjournal sind solch ein Weg. Wir hoffen, dass der NDR als wichtiger öffentlich-rechtlicher Sender ein neues Format für das Buch entwickelt."

Robert Duchstein, Geschäftsführer Buchhandlung Reuffel, Koblenz:

"Literatur ist unser wichtigstes Kulturgut. Die Geschichten, mit denen Autor*innen uns Menschen bewegen, inspirieren und zum Nachdenken bringen, verdienen Aufmerksamkeit und Diskurs im öffentlichen Raum. Dafür brauchen wir neben Print- und digitalen Medien auch gute Literatursendungen im Fernsehen."

Offener Brief an den NDR-Intendanten Joachim Knuth

In einem Offenen Brief vom 13. Mai an den Intendanten protestieren 130 Kulturschaffende, darunter Verleger*innen und Autor*innen, gegen die Einstellung der NDR-Sendung "Bücherjournal". Initiiert wurde der Offene Brief von Rainer Moritz, Leiter des Literaturhauses Hamburg und Mitglied des deutschen PEN. Im Wortlaut heißt es:
 
"Mit Entsetzen haben wir die Ankündigung wahrgenommen, dass der Norddeutsche Rundfunk sein TV-Magazin 'Bücherjournal', die älteste Büchersendung im deutschen Fernsehen, einstellen will. Wir halten das für eine folgenreiche Fehlentscheidung, von der ein fatales Signal ausgeht. 
 
In den letzten Monaten wurde in der deutschen Öffentlichkeit allenthalben darum gekämpft, dass die Einschränkungen durch die Corona-Pandemie das kulturelle Leben nicht dauerhaft zerstören und der Wert von Bildung, Leseförderung, Kunst und Kultur anerkannt bleibt. 
 
In einer Zeit, da Buchhandlungen, Verlage und Kultureinrichtungen aller Art vor dem finanziellen Aus stehen, kommt es darauf an, den Stellenwert von Büchern stärker denn je herauszustellen und den Kulturauftrag der öffentlich-rechtlichen Anstalten ernst zu nehmen. Die von Ihnen angekündigte Einstellung des 'Bücherjournals' spricht diesen Anstrengungen hohn und trägt zur Zerstörung unseres kulturellen Lebens bei.
 
Wir verstehen, dass der Norddeutsche Rundfunk zu Einsparungen gezwungen ist, doch wir verstehen nicht, dass ein – wenig kostenaufwändiges – Format wie das 'Bücherjournal' ein erstes Opfer sein soll. 
 
Der Stellenwert der Literatur darf nicht weiter gemindert werden. Wir fordern Sie deshalb energisch auf, diese Entscheidung rückgängig zu machen."

Unterzeichnet haben unter anderem Isabel Bogdan, Rainer Moritz, Regula Venske (Präsidentin des PEN-Zentrums Deutschland), Zoë Beck, Julia Bielenberg, Kirsten Boie, Klaus von Dohnanyi, Kerstin Gleba, Florian Illies, Manfred Keiper, Karin Schmidt-Friderichs, Klaus Schöffling, Saša Stanišić, Ulrich Tukur und  Thedel von Wallmoden.