Als ich 1990 oder '91 Carsten Pfeiffer kennenlernte, war ich schon einige Tage in einem klapprigen Auto unterwegs, mit einem Kofferraum voller Bücher von Reclam Leipzig, die ich als junger Lektor westdeutschen Buchhändlerinnen anzupreisen versuchte. Oder denen ich doch - zunehmend verzagt - so tatendurstig wie ahnungslos über die Usancen des Buchhandels westlich der Elbe wenigstens von der Existenz eines Leipziger Reclam Verlags Kenntnis geben wollte. Und dann gab es in der Münchner Lyrikbuchhandlung einen jungen Mann, weit jünger als ich selbst, dem ich gar nichts erklären musste. Er wusste schlichtweg alles, kannte noch die bibliophilsten Kunstdrucke und Kleinstauflagen des Hauses, besaß sie gar. Es war nicht zu fassen! Seine Nachfragen brachten mich ins Schwitzen, sie betrafen nicht nur das lieferbare Programm, sondern Ausgaben von vor zig Jahren, die ich kaum vom Hörensagen kannte. Wir redeten über Lyrik, die wir beide schätzten. Kein ostdeutscher Geheimtipp, von dem er nicht sämtliche Titel zu nennen wusste, einzelne Gedichte zitieren konnte. Von dem, was man so normalerweise kennen konnte, nicht zu reden. Die großen Autoren (und Autorinnen) des ausgehenden zwanzigsten Jahrhunderts schien dieser imposante Mann sämtlich persönlich getroffen zu haben, nicht nur die deutschen.
Seitdem pflegten wir Kontakt, anfangs nur auf den Messen, bald freundschaftlich. Was ich damals nicht wusste: Carsten Pfeiffer, noch nicht Mitte zwanzig, war nicht nur angestellter Buchhändler hinter dem Ladentisch, sondern Mitgründer des Münchner Lyrikkabinetts oder jedenfalls seit der Gründung dabei, als Buchhändler, Antiquar, Organisator von Lesungen. Damit hatte der auf Gran Canaria Geborene schon als Schüler in München angefangen, immerhin mit so großen Namen wie Wolfgang Koeppen, Horst Bienek, Heinz Piontek. Dass er mit achtzehn noch als Schüler seinen ersten Verlag gegründet hat, zusammen mit Lutz Hagestedt, habe ich aus einem Artikel seines Freundes André Brenner gelernt, Verkaufsleiter des Beck Verlags. Der Verlagsname setzte sich aus den Vornamen beider Verlagsgründer zusammen: LUCCA (Lutz Cum Carsten), das Signet war die stilisierte Stadtmauer der Stadt in der Toscana. Immerhin zählte Wolfdietrich Schnurre zum Verlagsprogramm.