Die Sonntagsfrage vom 12. April 2020

Lesen ohne Honorar – überstehen Autor*innen so Corona, Frau Falkenhagen?

12. April 2020
Redaktion Börsenblatt

Rundfunksender, Literaturhäuser, Verlage – alle bieten jetzt kostenlose Netzangebote an. Mit großzügiger Unterstützung der Autor*innen. Wann ist die Grenze zwischen Marketing und Solidarität überschritten? Können sich die Schreibenden  in Corona-Zeiten all die unbezahlte Arbeit überhaupt leisten? Antworten von Lena Falkenhagen, Bundesvorsitzende des Verbands deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller (VS in ver.di).

Bücher wollen beworben werden. Das Frühjahrsprogramm ist durch die Coronakrise beinahe unsichtbar. Die Sichtbarkeit ihrer Werke ist ein gemeinsames Interesse von Verlagen, Buchhandlungen und Schriftsteller*innen. Und doch ist Marketing eine verlagsseitige Aufgabe, die ja oft auch vertraglich festgehalten wird.

Die Grenze zwischen Marketing und Solidarität ist hier ein fließender, man muss sich die einzelnen Fälle genau ansehen. Es kommt meines Erachtens sehr stark auf die Verlagsgröße einerseits und die Plattformen andererseits an. Liest eine Autorin, ein Autor eines Kleinverlags aus Eigeninititative selbst auf dem eigenen Twitch-Kanal oder per Instagram aus dem eigenen Werk, kann man dagegen kaum einen Einwand erheben. Besonders nicht, wenn dies geschieht, um Menschen in Zeiten des Kontaktverbots und abgesagter Kulturveranstaltungen in ihren Wohnungen Mut zu machen.

Die Grenze wird dort überschritten, wo die meist größeren Verlage die Lesungen selbst als Marketingmaßnahme anfragen oder gar für das Marketing einplanen. Diese Lesungen, die oft über die Verlagsseiten oder eine ähnlich große Plattform (Der Spiegel o.ä.) ausgestrahlt oder vor der Ausstrahlung aufgezeichnet werden, sollten unbedingt vergütet werden.

Man darf nicht vergessen, dass Präsenzlesungen und Online-Lesungen vorbereitet werden wollen. Das geht von der Auswahl und Einübung der entsprechenden Textstellen über die Selbstpräsentation und die Strukturierung eines solchen Auftritts bis hin zum technischen Aufwand. Die Lesung selbst kostet Zeit. Öffentliche Auftritte sind zudem anstrengend; ich kenne nur wenige Menschen, die danach ohne angemessene Pause sofort zur Arbeit zurückkehren können. Bei Präsenzlesungen kommen Reisekosten und -zeiten hinzu.

Eine Blitzumfrage im Verband deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller (VS in ver.di) nach dem 22. März hat ergeben, dass der Verlust durch Absagen von Lesungen sehr unterschiedlich ist. Besonders hart trifft es die Kinder- und Jugendbuchautor*innen, deren Schullesereisen abgesagt wurden, aber auch andere Autor*innen, von Genre bis Hochliteratur, haben Ausfälle, die fest für den Lebensunterhalt eingeplant waren.

Lesungen dienen immer auch dem Marketing des Buchs und damit seiner Sichtbarkeit. Im Bundesvorstand des VS haben wir uns entschieden, dass die Krisenzeit nicht der Augenblick ist, das Thema in großem Umfang zu diskutieren. Im Augenblick muss der Karren aus dem Dreck gezogen werden. Aber sobald sich die Branche wieder etwas stabilisiert, muss das Thema Lesungsvergütung allgemein, sowohl off- wie online, thematisiert werden.

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