Kritik an Till Lindemanns neuem Gedichtband

Helge Malchow bezieht Stellung

7. April 2020
Redaktion Börsenblatt
Kiepenheuer & Witsch ist am vergangenen Wochenende wegen der Veröffentlichung des neuen Gedichtbands von Rammstein-Sänger Till Lindemann in den Medien in Kritik geraten. Helge Malchow, Editor-at-large bei KiWi, bezog nun Stellung.

Der Band "100 Gedichte" von Rammstein-Sänger Till Lindemann, der im März bei Kiepenheuer & Witsch erschienen ist, traf am vergangenen Wochenende auf viel Kritik. Sowohl auf Instagram positionierten sich Menschen gegen die Lyrik – mit dem Vorwurf Vergewaltigung zu romantisieren –, aber auch der "Tagesspiegel" oder SWR2 kritisierten die Gedichte. 
Im Netz richtete sich die Kritik auch an Kiepenheuer & Witsch als Verlag. Helge Malchow, Editor-at-large bei KiWi, bezog auf Instagram und der Verlagswebsite im Namen des ganzen Verlags Stellung:

Zu der Kritik an Till Lindemanns Gedicht „Wenn du schläfst“ aus dem Gedichtband „100 Gedichte“:

Die moralische Empörung über den Text dieses Gedichts basiert auf einer Verwechslung des fiktionalen Sprechers, dem sogenannten „lyrischen Ich“ mit dem Autor Till Lindemann.

Die Differenz zwischen lyrischem Ich und Autor ist aber konstitutiv für jede Lektüre von Lyrik wie von Literatur allgemein und gilt für alle Gedichte des Bandes wie für Lyrik überhaupt. Andernfalls wären keine literarischen Fiktionen und Phantasien des Bösen, der Gewalt, wie wir sie zahlreich aus der Weltliteratur von Henry Miller über B. E. Ellis bis zu A. M. Homes kennen, möglich und die Freiheit der Kunst damit hinfällig.

Dass der im Gedicht dargestellte Vorgang unter moralischen Gesichtspunkten zutiefst verwerflich ist, ist eine Selbstverständlichkeit und erlaubt keine persönliche Diffamierung des Autors.

Helge Malchow, editor-at-large, für den Verlag Kiepenheuer & Witsch.