Ratgeber

Doppelte Reichweite

6. März 2020
Redaktion Börsenblatt

Blog und Buch, das passt gut. Verlage und Influencer*innen können voneinander lernen und Ratgeber gemeinsam groß machen. Paarläufe aus der Netz- und Printwelt.

Den Handel mitziehen

Aufgeschlossen durch die (Netz-) Welt gehen: Diese Empfehlung gibt Anja Schmidt, stellvertretende Verlagsleiterin im Bereich Körper, Geist & Seele bei Gräfe und Unzer. Den Lebenshilfe- und Motivationsguru Biyon Kattilathu etwa, der als Speaker ganze Säle füllt und Videocoachings postet, entdeckte das Verlagsteam bei einem Onlinekongress. Auf die Reichweite solcher Influencer greift  GU gern zurück: »Natürlich hilft das immens«, bestätigt Anja Schmidt. »Unser Vermarktungskonzept baut auf eine enge Verzahnung unserer Aktivitäten mit denen des Autors, vor allem hinsichtlich gut ausgesteuerter Onlinekampagnen.«

Der Wirbel, den Autor*innen im Netz machen (können),  wirkt sich auch auf den Buchhandel aus: Biyon Kattilathu etwa  trommelte schon vor dem Erscheinungstermin seines Buchs »Der Rikscha-Fahrer, der das Glück verschenkt« (192 S., 16,99 Euro, 2019) so laut im Netz, dass das Buch allein durch die E-Book- Verkäufe in den Charts landete. GU verstärkte das Echo mit einer Spotify-Kampagne. »Der Buchhandel, der beim Einkauf zunächst verhalten gegenüber einem ›unbekannten‹ Autor war, hat dann sehr schnell mitgezogen.« Schon im April folgt Kattilathus zweiter GU-Titel, »Weil jeder Tag besonders ist« (256 S., 24 Euro).Wie intensiv die Betreuung solcher Influencer im Vergleich zu »klassischen« Autor*innen ist, lässt sich nicht pauschal sagen. »Die YouTuberin Katharina Tempel, mit der wir sehr erfolgreich den Titel ›Gib dir die Liebe, die du verdienst‹ lanciert haben, hatte vorher bereits eigene E-Books veröffentlicht und war Profi«, so Schmidt. Mit manch anderen dagegen müsse intensiver an  Texten gearbeitet werden, denn: »Blogartikel folgen anderen Gesetzmäßigkeiten als Buchkapitel.«

Begehrlichkeiten wecken

Für interessante Buchthemen suchen Verlage entsprechende Expertise – und die ist heute eben ganz selbstverständlich auch in Blogs zu finden. Die Zusammenarbeit sehe in solchen Fällen nicht anders aus als bei jedem anderen Produkt, meint Andreas Hagenkord, Presseleiter im Münchner Callwey Verlag. »Letztlich geht es immer darum, das beste Buch zu entwickeln, mit starken Texten und noch stärkeren Bildern.« Hagenkord weiß, dass dabei auch Verlage von Influencer*innen lernen können: »Wir sind natürlich dahinter her, uns ein gewisses Know-how aufzubauen, gerade von Menschen, die sich mit Social-Media-Marketing bestens auskennen.«

Für das 2016 veröffentlichte Kochbuch »Burger Unser« (288 S., 39,95 Euro) beispielsweise hat das fünfköpfige Autorenteam nach Absprache mit Callwey eine eigene FacebookSeite aufgesetzt und vor allem in den ersten zwei Jahren regelmäßig bespielt. Glücksfall für Callwey: Nicolas Lecloux, einer der fünf »Burger Unser«-Autoren, ist Co-Gründer der Smoothiemarke True Fruits, die durch ihr provokantes  Onlinemarketing (#einhornkotze) auffällt und dafür im Netz ebenso gefeiert wie kritisiert wird. Lecloux’ erklärte Stra­tegie: »Begehrlichkeit statt Bekanntheit«. Dass Printprodukte heute noch Begehrlichkeit wecken können, davon ist Hagenkord überzeugt. Er beobachtet, dass auch jüngere Generationen gedruckte Bücher mit kuratierten Inhalten und ansprechender Aufmachung zu schätzen wissen. »Trotz Websites wie chefkoch.de laufen Kochbücher sehr gut. Es hat noch nie so viele Kochbuchverlage gegeben.« Auch die Blogger selbst würden sagen: »Ein Buch mit meinen Inhalten zu machen, ist das Größte!«

Immer schön authentisch bleiben

Carolin Engwert ist Grafikdesignerin, Hobbyfotografin und seit 2016 Hauptstadtgärtnerin mit eigenem Kleingarten in Berlin. Ihre Erfahrungen teilt sie auf der Seite hauptstadtgarten.de, beim deutschen Gartenbuchpreis 2019 als bester Gartenblog ausgezeichnet. Im Januar ist ihr Buch »Abenteuer Garten« (160 S., 20 Euro) bei Kosmos erschienen – ein Beispiel dafür, dass der Verlag auf den unterschiedlichsten Plattformen die Augen nach spannenden Autor*innen offen hält.

»Als diplomierte Gartenbauingenieure sind unsere Redakteur*innen Teil der Zielgruppe und können inhaltliche Aspekte genau beurteilen«, sagt Birgitta Barlet,  Verlagsleiterin Buch bei Kosmos. »In der Gartenszene gibt es die ›klassischen‹ Autor*innen oft gar nicht«, so Barlet. »Die meisten kommen aus der Praxis. Das unterscheidet sie ein Stück von den Bloggern, die vom Schreiben kommen und eine eigene Zielgruppenansprache haben.« Beim Erarbeiten eines Buchs gelte es, diese Authentizität, diese Augenhöhe mit der Zielgruppe zu erhalten – »und mit unserer Kompetenz im fachlichen Bereich sowie beim Büchermachen zu kombinieren«.

Der Bekanntheitsgrad der Blogger*innen ist ein wichtiges Verkaufsargument im Handel. »Viele von ihnen – und ihre Follower – sind sehr buchaffin«, weiß Barlet. Deswegen können die entsprechenden Printprodukte erfolgreich sein, trotz Gratisblogs im Netz: »Bücher sind ein völlig anderes Produkt. Sie sind umfassend und mit didaktischem Konzept, erfüllen die Funktion eines Nachschlagewerks und sind Inspiration«, sagt Barlet. Auch Haptik und Gestaltung spielten dabei eine Rolle – und so befruchten sich gerade bei »erdigen« Hobbys Buch und Blog gegenseitig.

Rezepte Geschenktauglich machen

Manchmal landen Autoren auf kuriosen Wegen bei Verlagen. Auf Lutz Geißler etwa, der unter ploetzblog.de übers Brot­backen schreibt, wurde Ralf Joest, Verleger von Becker Joest Volk, privat aufmerksam. »Ich selbst backe seit Jahren Brot – und habe in seinem Blog die Antwort auf eine Frage gefunden, die ich mir seit Ewigkeiten gestellt hatte.« Berufsbedingt hat er natürlich einen  Riecher dafür, welche Themen interessant sind und ob ein Blogger die notwendige Kompetenz mitbringt.

Inzwischen hat Becker Joest Volk schon drei Bücher mit Geißler veröffentlicht. Die ersten zwei waren Bestseller, das dritte, Ende November 2019 erschienen, läuft gut an (»Die besten Brotrezepte für jeden Tag«, 200 S., 24,95 Euro). Die Werbung, die Blogger wie Lutz Geißler für ihre Produkte machen, läuft meist unabhängig vom Verlag. »Wir bespielen unsere klassischen Medien und überlassen den Blogs die neuen. Sie können das besser«, meint Geißler. Die  Sorge, Blogger*innen könnten ihre Bücher primär im Internet über Affiliate-Links und damit am Buchhandel vorbei vertreiben, kann Ralf Joest nicht teilen. »Realistisch betrachtet, werden fünf Prozent der Auflage über den Blog vertrieben. Für den Autor ist das ordentlich, für den Buchhandel aber keine Bedrohung.«

Joest glaubt an eine friedliche Koexistenz von Blogs und Buch(-Handel). Bücher seien aufwendiger fotografiert und  geprüft. Sie würden frei verfügbare Bloginhalte »geschenkig« machen, meint der Verleger. »Ich persönlich würde, obwohl ich Lutz Geißler über den Blog kenne, seine Rezepte im Zweifelsfall auch lieber aus einem Buch nachbacken.«

Von Blogger*innen lernen …

... aber auch von Best-Practice-Beispielen der Branche. Rund um Social-Media-Themen, Crowdfunding und Reichweitenaufbau dreht sich das Whitepaper »Plattformökonomie der Buchbranche«, das die Arbeitsgruppe Unternehmensentwicklung der Börsenvereinsgruppe herausgegeben hat und das unter www.contentshift.de/know-how/ kostenlos heruntergeladen werden kann. Die Autorinnen sind Ilke Sayan – und Isabella Caldart, die auch diesen Börsenblatt-Artikel verfasst hat.

Mehr zum Thema Ratgeber finden Sie in unsererm Börsenblatt-Spezial »Ratgeber«, das am Donnerstag, 5.3.20 erschienen ist.