Menschenverachtende Rhetorik verbreitet sich nicht nur in sozialen Netzwerken rasant, sondern beeinflusst auch die Agenda der Medien. Kein Tag, an dem nicht ein Psychologe, eine Soziologin oder ein Kommunikationswissenschaftler zur Dynamik von Hass, Hetze und Gewalt befragt wird. Dabei wird zugleich die Erosion elementarer Werte und Tugenden offenbar. Zivilisatorische Errungenschaften wie der Respekt vor dem Gegenüber, ganz gleich wer er oder sie sei, werden im Sturm der Rachegefühle über Bord gespült. Und Misstrauen gegen jegliche Form obrigkeitlichen Handelns scheint der gesellschaftliche Minimalkonsens zu sein. In diesem Frühjahr erscheinen mehrere Publikationen, die eine Gegenerzählung zu Verrohung und Radikalisierung bringen und Möglichkeiten eines neuen, vertrauensvollen Miteinanders ausloten.
Philosophische PerspektiveDer in Luzern lehrende Philosoph Martin Hartmann beschäftigt sich in seinem Buch »Vertrauen. Die unsichtbare Macht« (S. Fischer, März, ca. 304 S., 22 Euro) mit der Vertrauenskrise, die unsere Gegenwart erfasst hat. Sei es der »Handschlag der Schande« (so die Titel-Schlagzeile der »Bild«-Zeitung am 6. Februar) zwischen dem Drei-Tage-Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich und seinem Gratulanten Björn Höcke, sei es die lautstarke Kritik an den chinesischen Behörden, die den Ausbruch des Corona-Virus unter den Teppich kehren wollten, sei es das ungenierte Lügen und Leugnen eines Donald Trump – das Vertrauen in Funktionsfähigkeit, Transparenz und Verlässlichkeit von Institutionen und Repräsentanten ist immens geschwächt.
Martin Hartmanns Analysen kommen ohne großen Überbau aus. Sie diagnostizieren den Vertrauensverlust im öffentlichen Raum wie im privaten Umfeld und setzen im Alltäglichen an: »Meine Perspektive ist die eines Philosophen, aber das Drängende des Themas Vertrauen entspringt nicht philosophischem Tiefsinn, sondern eher alltäglichen Fragen und Sorgen, die sich uns allen stellen.«
Zum Beispiel die Sorge, ob Ersparnisse bei einem Geldinstitut sicher angelegt sind oder nicht. Oder die Sorge, ob die eigenen Kinder den richtigen Umgang haben – Stichwort Helikoptereltern. Oder die Angst, in einer Beziehung zu viel »von sich« aufzugeben. Die Fallanalysen unterlegt Hartmann durchgängig mit eigenen oder herangezogenen philosophischen Überlegungen. Am Ende steht unter anderem die Einsicht, dass Vertrauensverlust in hohem Maße durch die Unfähigkeit zu vertrauen ausgelöst wird. Wenn es gelingt, die »Macht« des Vertrauens zu verstehen, lässt sich verloren gegangenes Terrain zurückgewinnen.
»Die Vertrauensfrage« (so der Titel ihres neuen Buchs im Dudenverlag) stellt auch die Soziologin Jutta Allmendinger, Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB), gemeinsam mit ihrem wissenschaftlichen Mitarbeiter Jan Wetzel (»Die Vertrauensfrage. Für eine Politik des Zusammenhalts«, März, 128 S., 16 Euro). Im Mittelpunkt steht dabei die Überlegung, wie Menschen mit gesellschaftlichen Entwicklungen wie Digitalisierung, Migration und Energiewende zurechtkommen und worauf sie ihre (persönliche) Zuversicht stützen. Dabei spielen Vertrauensnetzwerke, die sich in Familie, Beruf oder anderen Zusammenhängen ausbilden, eine entscheidende Rolle. Die (positiven) Erfahrungen in diesem Kontext befähigen Menschen dazu, auch Fremden zu vertrauen.
Die Thesen des Buchs basieren auf den Daten einer Umfrage: der sogenannten Vermächtnisstudie, die das WZB gemeinsam mit der »Zeit« und dem infas-Institut 2015 durchgeführt hat. 3 000 Personen wurden nach bestimmten Einstellungen gefragt, zum Beispiel nach der Rolle des Wir-Gefühls im Leben, und um drei Bewertungen gebeten: eine aktuelle Einschätzung, einen in die Zukunft gerichteten normativen Wunsch (»Wie wichtig sollte es nachfolgenden Generationen in Zukunft sein, ein Wir-Gefühl zu haben?«) sowie eine faktische Erwartung dessen, was tatsächlich eintreten wird. Die Ergebnisse sind aufschlussreich, weil sie die Diskrepanz zwischen Selbsteinschätzung und Fremdbild offenbaren. Während 75 Prozent der Befragten sich selbst ein Wir-Gefühl zuschreiben, attestieren sie dies allen anderen in der Gesellschaft nur zu gut 25 Prozent.
Gemeinsinn als HaltungWenn mehr Vertrauen in der Gesellschaft eingefordert wird, steht auch die Frage nach der Verantwortung im Raum. Gegen eine neoliberale Ich-Philosophie, so der Politologe Nils Heisterhagen, helfe nur eine Haltung, die in bester republikanischer Tradition den Gemeinsinn ins Zentrum der Politik rücke. Es gelte, die »Sprache des Wir« wiederzugewinnen und die Entsolidarisierung in der Gesellschaft zu stoppen (»Verantwortung. Für einen neuen politischen Gemeinsinn in Zeiten des Wandels«, J. H. W. Dietz, März, ca. 176 S., ca. 18 Euro).
Wie auch immer Vertrauen und Verantwortung gestärkt werden können – eine entscheidende Voraussetzung dafür ist, dass man mit Andersdenkenden und politischen Gegnern in den Dialog tritt. Es gilt, kommunikative Sackgassen und Fallen zu vermeiden, durch respektvolles, verständnisgeleitetes und beharrliches Brückenbauen. Dafür plädieren der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen und der Psychologe Friedemann Schulz von Thun in ihrem gemeinsamen Buch »Die Kunst des Miteinander-Redens. Über den Dialog in Gesellschaft und Politik« (224 S., 20 Euro).