Die Spielwarenmesse Nürnberg ist gerade zu Ende gegangen. Welche großen Trends beobachten Sie auf dem Spielwarenmarkt?
Ein großer Trend der letzten Jahre sind ganz klar die kooperativen Spiele im Brettspielbereich. Hier kommen Menschen auf ihre Kosten, die nicht gegeneinander spielen wollen, die nicht so wettbewerbsorientiert sind, sondern man knobelt zu viert, zu sechst gemeinsam an einer Aufgabe, zum Beispiel heil aus einem Kriegsszenario herauszukommen und eben nicht als Held zu sterben oder dass Spieler gemeinsam versuchen, einen tödlichen Virus auszurotten – die Spielreihe „Pandemic Legacy“ ist mit Blick auf China gerade sehr aktuell. Auch die Escape-Room-Games sind ein gutes Beispiel für diesen Spieletyp – der Kosmos-Verlag hat mit der „Exit“-Reihe einen Megaseller landen können.
Sie kennen die Arbeit der Spieleverlage nicht nur aus der Theorie. Welche Hürden machen dem Handel mit Spielen das Leben schwer?
Im Vergleich zu digitalen Spielen muss man ganz klar sagen, dass die digitalen Spiele ohne eine dicke Anleitung oder Regelwerk auskommen. Man klickt sich voran und lernt beim Klicken. Beim Brettspiel haben wir aber die große Herausforderung, dass jemand das Spiel schon einmal gespielt haben muss. Wir brauchen also eine Art Erklärbär, der uns an die Hand nimmt, wenn man sich nicht selbst durch das Regelwerk arbeiten will. Das ist ein grundsätzliches Problem der Branche Richtung Kunde: ich muss immer wieder erklären, wie das Spiel funktioniert. Das ist mit digitaler Unterstützung inzwischen natürlich einfacher. Vor allem YouTuber übernehmen das und versuchen, schon einmal den Spielspaß und grundlegende Spieltaktiken zu vermitteln.
Wie sieht es auf der Handelsseite aus?
Vor 30 Jahren erschienen im Jahr 200 bis 300 neue Spiele. Da konnte man sich noch einen gut einen Überblick verschaffen, zumal nicht jede Neuerscheinung für die Händler relevant ist. Heute ist der Markt viel heterogener mit gut 1.500 Spielen, die pro Jahr neu erscheinen. Das kann ein kleiner Einzelhändler gar nicht mehr überblicken. Er vertraut dann natürlich auf bestimmte Empfehlungen wie die Jury „Spiel des Jahres“, die eine Vorauswahl relevanter Titel nach Kategorien wie „Kennerspiel“ oder „Familienspiel“ trifft und auch ein „Kinderspiel“ kürt mit entsprechenden Empfehlungslisten. Wenn es aber darüber hinausgeht, fehlt ein Kristallisationspunkt für alle lieferbaren Spiele. Vor allem die kleinen Spielverlage funktionieren noch sehr analog und verfügen über keine Warenwirtschaft oder gepflegte digitale Kataloge.
Warum sind Spiele, insbesondere Gesellschaftsspiele, für den Buchhandel überhaupt interessant?
Spiele, insbesondere Gesellschaftsspiele sind darum für den Buchhandel besonders interessant, weil die Branche ja längst nicht nur für Kinder produziert. Die hohe Zahl der Novitäten wird insbesondere durch neue Spiele im Erwachsenenbereich getrieben. Insofern es für Buchhändler Sinn, hier ihr Sortiment zu erweitern. Besonders das klassische Karten- und Brettspiel ist zu einem komplexen Medium herangereift. Sowohl Simulationen als auch aktuelle Trends oder politische Fragestellungen bieten für den Handel immer wieder neue Anlässe. Neben den kooperativen Spielen gibt es auch nach wie vor natürlich eskapistische Spiele, mit denen ich die Sorgen des Alltags für einen Augenblick vergesse. Insbesondere merken wir, dass sich die Spieleverlage und Autoren immer häufiger narrative Elemente ausdenken, nicht nur bei den Rollenspielen, die natürlich sowieso irgendwie im Literaturbereich verankert sind. Insofern empfinde ich besonders diese Art von Spielen als eine passende Ergänzung, zumal auch viele Verlage mehr auf gute Gestaltung, auf tolles Layout, auf ordentliches Spielmaterial und ein interessantes Setting achten. Gerade im Erwachsenenspiele- und im Kennerspielebereich sind das dann nicht kleine Gelegenheitsspiele, sondern Spiele, die 50, 60 Euro und noch mehr kosten und richtig was bieten. Diese Spiele versprechen Spielspaß auch für größere Gruppen für zwei oder drei Stunden, so dass der Kunde sagt: „Das war eine gute Investition!“
Spielen und Games haben einerseits einen stabilen Markt. Auf der anderen Seite steht ein Sterben des reinen Spielefachhandels. Haben andere Einzelhändler, allen voran Buchhändler, überhaupt eine Chance von dieser Entwicklung zu profitieren?
Wenn Sie sehen, dass in der Brettspielbranche der Umsatz in den letzten Jahren jeweils um vier bis zehn Prozent gestiegen ist, ist klar, dass die Buchhändler hier auf einen Wachstumsmarkt setzen können. Bei den Spieleverlagen sehe ich inzwischen ein Einsehen, dass sie in eine Abhängigkeitsstruktur mit Amazon rutschen – zum Teil erzielen die Häuser 60 bis 70 Prozent ihres Umsatzes mit diesem Onlinehändler. Angesichts dieser Erpressbarkeit gibt es eine Rückbesinnung auf eine dezentrale Vertriebsstruktur. Da der reine Spielefachhandel sich aus vielen Mittelstädten zurückgezogen hat, ist das eine Chance für den Buchhandel, der insbesondere im Bereich Eventmanagent, also wirklichen Treffen oder Spieleabende, auf breite Unterstützung durch die Brettspielverlage hoffen darf. Um es klar zu sagen: Nur eine Schachtel ins Regal zu pferchen wird in den meisten Fällen nicht langen! Die Buchhändler sind aber pfiffig und wissen natürlich, dass Spiele einen Anlass bieten können, Menschen im Laden zusammenkommen zu lassen. In vielen Fällen gibt es Spielekreise, die sich regelmäßig treffen und die man durch Unterstützung als Stammkunden aufbauen kann. Hier muss der Händler das Gespräch suchen, weil die einzelnen Spielkreise sich ein ganz anderes Sortiment wünschen, zum Beispiel Strategiespiele oder Fantasyrollenspiele. Sich thematisch zu spezialisieren, kann für den Händler durchaus Sinn machen. Seine Zielgruppe vor Ort und deren Bedürfnisse kennt der Händler aber natürlich am besten.
Die Spieleflut ist groß: Wie gehen Buchhändler das Thema am besten an? Wie trifft man eine vernünftige Auswahl?
Es muss einfach ein bekanntes Gemisch sein aus Klassikern, die auch Erwachsene ansprechen (wie „Die Siedler von Catan“) und Novitäten. Ich empfehle als Faustformel zwei Drittel Novitäten und ein Drittel Klassiker. Erweiterungen lassen sich auf Kundenwunsch bestellen, zumindest das Basisspiel sollte aber verfügbar sein. Eine sehr hilfreiche Orientierung bieten die Listen „Spiele des Jahres“, die typische Familienspiele, Erwachsenenspiele und Kennerspiele auflisten. Natürlich kennen die Buchhändlerinnen und Buchhändler ihre Kundenstruktur am besten und werden das bei ihrer Auswahl berücksichtigen.
Haben Sie selbst denn auch ein aktuelles Lieblingsspiel?
Da habe ich gleich mehrere im Auge! Wenn ich mich an Silvester erinnere, dann habe ich sehr gerne „Exploding Kittens“ gespielt, das im Prinzip ein modifiziertes „Schwarze-Peter“-Spiel von anno dazumal ist, aber mit viel mehr Aktionskarten, Interaktion und Grübelei. Aber auch Gemeinschaftsspiele für eine größere Runde wie „Tabu“ haben es mir angetan – also Spiele, die Menschen dazu bringen mal etwas anderes als „Mensch, ärgere dich nicht!“ zu spielen. Digital, vor allem im Mobile-Bereich, probiere ich natürlich schon berufsbedingt allerhand aus von den neuesten Features bei Pokemon Gó bis „Clash of Clans“, alleine um die Monetasierungsstrategien und psycholgischen Schranken und die Interaktion zwischen den Spielern zu verstehen – dabei kommt natürlich auch Spielspaß auf.
Jens Junge ist Professor für Wirtschaftswissenschaften und Marketing an der design akademie berlin, SRH Hochschule für Kommunikation und Design. Er ist selbst Spieleentwickler und Unternehmensgründer.
In einer Bildergalerie stellen wir Ihnen Neuheiten und Spieletrends von der Nürnberger Spielwarenmesse 2020 vor.