Gerade hat mir ein Sachbuch über die Dunkelheit ein erleuchtendes Lektüreerlebnis beschert. In ihrer klugen und unterhaltsamen Streitschrift "Licht aus!?" (Rowohlt) informiert die Biologin und Bloggerin Annette Krop-Benesch über das unterschätzte Thema Lichtverschmutzung. Der Verlust der dunklen Nacht durch künstliches Licht, das fast überall die Straßen, Wege und Immobilien bestrahlt, ist ein Problem. Tiere sterben, Menschen erkranken. Die Autorin mahnt: Wir brauchen die Dunkelheit. Und zwar nicht nur, um ab und zu die Sternenpracht der Milchstraße am Himmel bestaunen zu können. Dunkelheit ist wichtig für die Melatoninproduktion des Körpers und für einen gesunden Schlaf. Gesunder Schlaf wiederum hilft gegen Depression, Krebs, Herzinfarkt und viele andere Krankheiten.
Sehr richtig. Doch das Nicken blieb mir am Halse stecken. Was machte ich denn gerade? Ich las! Und zwar mitten in der Nacht. Mit Licht. Das kam - ich hatte es mir über die Jahre so angewöhnt - aus einer Taschenlampe. Und es wurde nicht mit einem gemütlich dahinschmurgelnden Glühdraht eines Lämpleins erzeugt, sondern von LEDs. Die wiederum, darüber klärte mich die "Licht aus!?"-Lektüre auf, sind stark in der Produktion von Licht mit einem hohem Blauanteil. Blaues Licht aber signalisiert dem Körper "Aufstehen, das Tagwerk ruft" — und nicht "Weiterlesen bis die Äuglein zufallen." Blaues Licht macht wach. Meine LED-Taschenlampe ist eine Weckmaschine. Die nächtliche Lektüre ist ungesund.
Puh. Das Buch argumentierte ziemlich schlüssig dagegen, auf die Art weitergelesen zu werden, auf die ich es gerade las. Dabei ist die nächtliche Lektüre im Lichtschein einer Taschenlampe so praktisch: Man stört keinen anderen und man hat den Ausschaltknopf immer in der Hand. Ein Daumenmove, schon ist Zeit zum Weiterschlafen. Schneller kann man den Flug von Fantasien ins Traumland kaum beginnen.
Aber es ist ja nicht gesund. Eine neue Taschenlampe muss her. Eine Lampe mit Licht, das warmweiß über das Papier fließt. Licht, das nicht blendet, das einen nicht mit Fokuspunkten irritiert und das einen geringen Blauanteil hat.
Gibt es das?
Nein. Nirgendwo. Taschenlampenhersteller haben offenbar kein Interesse an Sch(l)ummerlicht. Sie überbieten einander in Grelligkeitsversprechen. Noch mehr Lux, noch mehr Lumen, Beampower bis unter die Wolkendecke. Ein Taschenlampenhändler aus dem Internet, der alles führt, was strahlt und leuchtet, schreibt resigniert: "Da kann ich Ihnen mit meinem Sortiment nicht wirklich weiter helfen."
Blendende Aussichten also. Und eine Chance für den fürsorglichen Buchhändler vor Ort. Schafft Schlaflichter an, verkauft das Unmögliche: Leuchten, die das Dunkle schützen.
Ronald Meyer-Arlt, 59 Jahre alt, ist Ressortleiter Kultur bei der "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung". Er hat dort im Feuilleton vor ein paar Jahren die Rubrik "O-Ton" eingeführt, in der er Bücher, zumeist Sachbücher, über treffende Zitate vorstellt. Das führt bei ihm zu einer hingebungsvollen - auch nächtlichen - Lektüre vieler Sachbücher.