Interview mit Roland und Anke Koch

"Was sollte ich lesen? Und was lesen die Leute?"

15. Oktober 2007
Redaktion Börsenblatt
»Das Interesse an guten Geschichten wird bleiben«, sagte Hessens Ministerpräsident Roland Koch im BÖRSENBLATT-Interview. Er selbst hat allerdings nur noch im Urlaub Zeit für die Literatur.
Herr Koch, gehen Sie als Ministerpräsident oder als Privatperson über die Messe? Koch: Das lässt sich in meinem Fall oft nicht trennen. Jedenfalls gehe ich, seit ich 17 Jahre alt bin, jedes Jahr auf die Frankfurter Buchmesse. Und als lesehungriger Mensch immer mit Begeisterung. Was treibt Sie immer wieder hin? Koch: Zwei Fragen vor allem – was kann, was sollte ich selber lesen? Und was lesen die Leute? Dabei hat sich über die Jahre vieles verschoben. Die Esoterik-Ecken sind größer geworden, aber nicht nur sie, auch religiöse, spirituelle Fragen und allgemein Fragen zur Lebensführung stoßen verstärkt auf Interesse. Insgesamt finden heute diejenigen Bücher besonders viel Beachtung, die uns Lesern in irgendeiner Weise bei der Sinnsuche helfen. Rührt diese Beachtung auch daher, dass solche Sinnfragen im Alltag immer weniger Platz haben? Füllt der Buchmarkt hier eine Leerstelle aus? Koch: Ich bin nicht sicher, ob man von Leere sprechen sollte. Ich vermute, das, was von vielen als Leere empfunden wird, ist tatsächlich das Erleben einer nicht mehr kontrollierbaren Vielfalt von Angeboten – an Bildern, Texten, Tönen. Diese Universalität des Öffentlichen, die permanente 24-Stunden-Kommunikation darüber, die Dauerberieselung mit allem und jedem verursacht eine Entbindung der Menschen von den ihnen wirklich wichtigen Themen. Büchern kommt dann die Aufgabe der Rückbindung zu? Koch: So würde ich das sehen. Es gibt einige Indizien dafür, dass Bücher diese Rückbindung schaffen. Geschichten, die Hoffnungsperspektiven anbieten, sind gefragt. Und wir haben ein bemerkenswertes aktuelles Phänomen: den Erfolg von Biografien. Man würde doch nicht ohne weiteres vermuten, dass zum Beispiel eine Biografie von Alan Greenspan viele Leser findet. Sie tut es aber. Das finde ich interessant: Versuche der Erklärung von Geschichte und Gesellschaft über den Weg der Biografie; das individuelle Leben als Präsentationsfolie für die großen Themen der Zeit. Welche Zukunft sehen Sie für das Medium Buch? Koch: Das Interesse an guten Geschichten wird bleiben. Ob diese Geschichten dann auf einem E-Book gespeichert sind oder auf Papier oder sonst wo, ist keine entscheidende Frage, sie ist auch nicht entschieden. Im Übrigen wird das jede Generation für sich beantworten. Ich selbst und wohl die meisten Menschen meiner Generation werden auch in Zukunft auf das gedruckte, gebundene Papier nicht verzichten wollen. Aber die Mediennutzung wird flexibler. Ein Beispiel ist mein im Frühjahr verstorbener Vater: Der hat sich im hohen Alter noch mit den Buddenbrooks als Hörbuch beschäftigt. Das Trägermedium ist nicht ausschlaggebend, das ist für den Einzelnen eine Frage der Nützlichkeit und des Geschmacks. Wichtig ist, dass wir mehr über die Qualität und die Bedeutung von Geschichten reden. Finden Sie selbst noch Zeit für Literatur? Koch:: Ich lese jeden Tag immens viel – leider allerdings zumeist alles andere als Literatur. Romane zu lesen, das ist für mich eine klare Definition von Urlaub. Meine Frau, die als Romanistin und Anglistin ohnehin literarisch interessiert ist, findet dafür zum Glück mehr Zeit als ich. Und was lesen Sie, Frau Koch? Anke Koch: Ich lese querbeet, weil immer ganz unterschiedliche Anregungen kommen. Im vergangenen Winter zum Beispiel waren mein Mann und ich privat in Südafrika. Aus dem Anlass heraus habe ich inzwischen einige Bücher über Südafrika gelesen. Interessieren Sie die Bücher, die rund um den Deutschen Buchpreis im Gespräch waren? Anke Koch: Auf jeden Fall. Ich versuche zumindest, die Titel der Shortlist zu lesen. „Die Mittagsfrau“ habe ich noch nicht gelesen, werde sie mir jetzt aber rasch besorgen. Diese und weitere Politikerbegegnungen auf der Buchmesse finden Sie im BÖRSENBLATT Heft 42, das am Donnerstag erscheint.