Es hat schon eine Pikanterie, dass an dem Tag, an dem Kulturstaatsministerin Monika Grütters die Gewinner des Deutschen Buchhandlungspreises bekannt gibt (23. Juli), eine von der Stiftung Lesen geplante Buchverteilaktion publik wird, in der der unabhängige Buchhandel keine Rolle spielt.
Zum Weltkindertag am 20. September will die Leseförder-Organisation in Zusammenarbeit mit dem Online-Händler Amazon sowie den Filialisten Thalia und Hugendubel eine Million Exemplare eines Märchenbuchs verschenken, das aus elf Märchen der Brüder Grimm und fünf neu geschriebenen Märchen zeitgenössischer Autoren zusammengestellt wird.
Dagegen wäre zunächst nichts einzuwenden, geht es doch um das hehre Ziel, sich dafür einzusetzen, "dass das Lesen seinen Platz im Alltag der Menschen findet und behält". Damit meint Stiftungs-Geschäftsführer Jörg F. Maas vor allem den sozialen Kontext der Familie, in dem Kindern vorgelesen wird, und in dem Kinder den Antrieb zum Selberlesen entwickeln.
Und es ist auf jeden Fall zu begrüßen, dass ein Mitglied des Stifterrats, das erst kürzlich dem Gremium beigetreten ist, der Internet-Händler Amazon eben, mit einer "eigenen Idee" kommt, die über das "Netzwerk aus Unternehmen und Institutionen aufgegriffen und multipliziert werden" (Maas).
Doch der Zweck allein heiligt nicht die Mittel. Schlimmer noch: Die Zusammenarbeit zwischen Amazon, Thalia, Hugendubel und der Stiftung ist eine unheilige Allianz. Warum muss ein erklärter Monopolist wie Amazon das Märchen-Verschenkbuch in seinem eigenen Imprint (Tinte & Feder) produzieren und es zugleich selbst vertreiben? Weshalb schließen sich Thalia und Hugendubel, die sonst immer für die Diversität im Buchhandel eintreten, dieser Aktion an, bei der sie sich zu Helfershelfern ihres größten Konkurrenten machen? Warum hat im Stifterrat niemand die Hand gehoben, als diese Aktion präsentiert wurde?
Oder war es vielleicht so: Bereits im Vorfeld, bevor Amazon überhaupt dem Stifterrat beigetreten ist, wurden die Fäden zwischen den Partnern gezogen. Das Projekt selbst wurde den Mitgliedern des Stifterrats, darunter zahlreiche Kinder- und Jugendbuchverlage, der Börsenverein und übrigens auch die Staatsministerin für Kultur, überhaupt noch nicht präsentiert. Und weil Thalia und Hugendubel (neben Amazon) die einzigen Buchhändler im Stifterrat sind, wurde der unabhängige Buchhandel überhaupt nicht konsultiert.
Für Amazon, aber auch die beiden Filialisten, dürfte diese Aktion ein märchenhaftes Marketing sein, mit dem sie sich zugleich moralisch schmücken können. Doch was ist mit den Tausenden von Buchhändlern, die durch ihre tägliche Arbeit Eltern und Kinder dazu animieren vorzulesen und zu lesen? Die junge Leser in die Welt der Literatur mit ihrer ganzen Vielfalt – wozu sicher auch Märchen gehören – einführen? Die sich individuell um die Interessen und Bedürfnisse der Kinder kümmern? Die Vorlese- und Leseecken in ihren Buchhandlungen einrichten? Die ehrenamtlich nach Feierabend übers Land fahren, um auch an Orten ohne buchhändlerische Versorgung für das Bücherlesen zu werben?
All das kommt in dieser hochskalierten Massenverteilaktion nicht vor. Stattdessen wird ein Gigantismus ins Werk gesetzt, der jede Menge Geld verbrennt und den eigentlichen Zweck – die wirksame, individuell unterschiedliche Leseförderung – womöglich nur begrenzt erreicht. Weshalb verschenken Amazon und seine Helfershelfer eine Million Bücher? Jedenfalls nicht, weil sie vom Gemeinnutz ihrer Initiative durch und durch überzeugt wären.
Wem dient also diese Aktion? Doch eher einer frühzeitigen Bindung von Kunden (mit ihren Daten), Familien mit Kindern, an den Monopolisten Amazon oder seine Partner Thalia und Hugendubel. Die Realität des Buchhandels und der (Vor-)Lesekultur in Deutschland bildet der Weltkinderbuchverschenktag jedenfalls nicht ab.
Sehr aufschlussreich!