Podiumsgespräch mit den Kandidaten für das Vorsteheramt

Der Börsenverein im Wahlkampf-Modus

14. Mai 2019
Redaktion Börsenblatt
Motivation, Vorbilder, Herausforderungen: Verlegerin Karin Schmidt-Friderichs und Zwischenbuchhändler Stefan Könemann kandidieren bei der Hauptversammlung am 19. Juni in Berlin für das Vorsteheramt – und stellten sich im April beim Landesverband Nord den Fragen der Mitglieder. Ein Auszug aus dem Podiumsgespräch.

Was war der Auslöser für Ihre Entscheidung, als Vorsteherin, als Vorsteher zu kandidieren?
Könemann: Als Gottfried Honnefelders Amtszeit 2013 zu Ende ging, fand sich erst niemand, der das Vorsteheramt übernehmen wollte. Deshalb wurde überlegt, die Satzung für eine weitere Amtszeit zu öffnen. Da habe ich beschlossen: Ich werfe meinen Hut in den Ring. Als dann aber Heinrich Riethmüller seine Kandidatur ankündigte, habe ich zurückgezogen, war froh und hab mir gesagt: Ich warte einfach noch.
Schmidt-Friderichs: Ich habe jetzt drei Jahre lang kein Ehrenamt mehr im Börsenverein gehabt, was gut ist, um eine neue Perspektive zu bekommen. Aber ich würde gern meinen Teil zu der Antwort darauf beitragen, wie es mit der Buchbranche weitergeht, und möchte im Vorstand mitarbeiten. Als mir bewusst wurde, dass Heiner Riethmüller gar nicht mehr kandidieren darf – da gab ich mir dann vier Wochen zum Überlegen …

Wie stehen Sie zur föderativen Struktur des Börsenvereins? Anders formuliert: Was bedeuten Ihnen die Landesverbände?
Schmidt-Friderichs: Wir brauchen die Landesverbände, keine Frage. Ich habe acht Jahre den Bildungsausschuss des Börsenvereins geleitet, wo das föderative Prinzip auf das Bundesprinzip trifft. Ich bringe von dort die Erfahrung mit, dass die Landesverbände ihr Know-how intensiv eingebracht haben, etwa im Bereich der Berufsschulen, und sich die beiden Ebenen sehr gut verschränken. Das würde ich mir für alle Bereiche wünschen. Es ist wahnsinnig gut, wenn man nah an der Basis ist.
Könemann: Ich war Vorsitzender des Landesverbands Nordrhein-Westfalen, der sich dann ja 2012 aufgelöst hat. Den Mitgliedern war die Geschäfts­stelle wichtig, Ansprechpartner, jemand, der sich ums Schulbuchgeschäft kümmert usw. – und all das gibt es ja bis heute. Die föderale Struktur, dass man sich vor Ort auskennt, ist extrem wichtig. In den Landesverbänden sammeln ja auch viele Ehrenamtliche ihre ersten Verbandserfahrungen. Aber ob es dafür eigene Vereine braucht, sei dahingestellt.

Stichwort Führungsstil: Wie wollen Sie den Börsenverein führen?
Schmidt-Friderichs: Ich bin Quereinsteigerin, und ich habe von Anfang an Menschen geführt, die erst mal mehr wussten als ich. Das ist eine Fähigkeit. In digitalen Zeiten wissen Jüngere eh oft anderes als die Alten. Ich habe mich immer so verstanden, dass ich für die Struktur und Zielerreichung zuständig bin, ich kann zuhören und verstehe mich als Moderatorin und querdenkende Impulsgeberin, aber nicht als die "Macherin" im Sinne des alten Führungsstils.
Könemann: Das sehe ich ganz anders. Man kann einen Verband nicht leiten wie ein Unternehmen. In einem Verband wie dem Börsenverein geht das nicht: Da hat man alles besprochen, sich geeinigt, einen Beschluss gefasst, der geht in die Gremien – und kommt als undurchführbar zurück. Weil vergessen wurde, die Leute mitzunehmen. Denken Sie nur an das Thema Buchverkauf auf Buchmessen. Man muss mit den "Lautsprechern" überall reden, sie einbeziehen – und unendlich viel Geduld haben.

Wie bewerten Sie das Machtgefüge zwischen den Sparten?
Könemann: Das ist nicht so ausge­wogen, wie es die Satzung suggeriert. Schon im Zwischenbuchhandelsausschuss sitzen vier Barsortimente mit Sortimentsnähe, die größere Gruppe sind Auslieferungen mit Verlagsnähe, manche sogar im Eigentum eines Verlags wie beim jetzigen Vorsitzenden. Der Vertreter der Landesverbände ist derzeit auch ein Verleger. Damit sind Vorstandsmitglieder mit Sortiments­nähe in der Minderheit, was sich durch eine Verlegerin als Vorsteherin noch verstärken würde. Generell ist es viel schwieriger, Buchhändler zu finden, die sich in Ausschüssen engagieren – die können eben nicht so einfach weg aus ihren Läden.
Schmidt-Friderichs: Ich bin viel in Buchhandlungen, in unserem kleinen Unternehmen geht das gar nicht anders. Dieses Miteinander ist unabdingbar. Bei den Sparten habe ich das Gefühl, dass wir wahnsinnig aufpassen müssen, nicht in dem bisherigen Spartendenken verhaftet zu bleiben – Verlage kümmern sich um Verlage, Sortimente um Sortimente usw. –, sondern auf die Horizontalteilung achten: die Kleinen, die Mittleren, die es immer weniger gibt, und die ganz Großen. Deshalb ist die wichtigste Aufgabe das Moderieren, denn wenn wir diese divergierenden Kräfte nicht zusammenhalten, wird der Verband großen Schaden nehmen. Wir schaffen das mit Blick auf die Politik nur gemeinsam. Dabei bin ich der dezidierten Meinung, dass der Vorsteher oder die Vorsteherin in Bezug auf die Sparten neutral zu agieren hat.

Wo sehen Sie im Moment die größten Herausforderungen für die Branche – und wie wollen Sie sich ihnen stellen?
Schmidt-Friderichs: Das ist sicher der Konzentrationsprozess, und niemand sitzt hier entspannt in Bezug auf KNV, dann der Leser- und Käuferschwund, der überlagert ist von einer Innenstadtproblematik – das müssen wir alles auf dem Radar behalten. Wir können den einzelnen Unternehmen nichts dirigistisch vorschreiben, aber es geht um das Verhandeln eines fairen Miteinanders. Das sind keine harten Instrumente, mit denen wir arbeiten können, aber durch Diplomatie können wir sehr wohl etwas erreichen.
Könemann: Alles richtig; ergänzend füge ich hinzu, dass in allen Parteien eine neue Generation heranwächst, die das Thema Urheberrecht nicht mehr wichtig findet. Aber Lobbyarbeit ist heute nicht mehr so einfach, da sehe ich einen großen Arbeitsschwerpunkt für uns, auch in den Gremien der EU. Bei den anderen genannten Themen können wir nicht so viel machen, aber hier können wir. Ebenso knirscht es in den Beziehungen zu Bibliotheken, sicher nicht auf lokaler Ebene, aber mit den Bibliotheksverbänden. Da müssen wir wieder eine größere Nähe finden.

Sie haben schon einige Vorsteher erlebt: Von wem würden Sie sich eine Scheibe abschneiden – und welche Scheibe?
Schmidt-Friderichs: Wir hatten eine Vorsteherin in 194 Jahren: Von der würde ich mir gern den Mut abschauen. Am meisten beeindruckt hat mich die Entwicklung von Heiner Riethmüller: Er versieht sein Amt äußerst charmant, nach innen nicht zu förmlich, nach außen förmlich genug … Wie er im Amt gewachsen ist: Das wäre mir ein Vorbild.
Könemann: Riethmüller füllt in der Tat sein Amt mit einer netten, liebenswerten Art aus, aber ich kann auch von Vorgängern lernen, wie ich’s nicht machen möchte. Riethmüller hat einen kollegialen Führungsstil, sehr sympathisch, andere pflegten eher einen patriarchalischen Führungsstil. Das geht nicht: Wenn die Ehrenamtlichen, die alle ihre Freizeit opfern, es nicht so machen, wie man gern möchte, dann kann man die nicht abkanzeln und kritisieren.

Wie kann der Börsenverein eruieren, was den Mitgliedern wirklich wichtig ist? Das wäre ja auch für den Rückhalt Ihrer Arbeit wichtig.
Könemann: Eine Mitgliederbefragung hätte den Vorteil, sich inspirieren zu lassen von vielem Neuen. Nur, wenn nicht genug mitmachen, können – so wie damals bei der Zukunftskonferenz – sehr zufällige Ergebnisse herauskommen.
Schmidt-Friderichs: Eine Mitgliederbefragung finde ich grundsätzlich sehr gut. Ich bin Mitglied in der Facebook-Gruppe Buchhandelstreff, und hier finden offene Debatten statt, die auf auf den Onlineseiten des Verbands so lebendig nicht stattfinden. Ein solcher ständiger Austausch wäre wichtig – nicht eine One-Way-Kommunikation des Börsenvereins an seine Mitglieder – was ja heute überhaupt nicht mehr die Methode ist – sondern eine Plattform, auf der sich Mitglieder so abgeholt fühlen, dass sie sich trauen, etwas zu sagen.

Müssen die Buchtage immer in Berlin sein?
Schmidt-Friderichs: Nein. Sie müssen an Orten sein, die erreichbar sind. Aber sind die Buchtage ein Branchenaustausch oder eine Frontalveranstaltung und Treffen der "Happy Few"? Die Kolleginnen aus dem Sortiment hätten es leichter, wenn die Buchtage wieder touren würden. Es muss allerdings auch nicht das Gemeindezentrum in Irgendwo sein.
Könemann: Nichts muss, und nichts muss für immer. Die Kernfrage ist: Wie schaffen wir es, dass Leute nach Berlin kommen, die in den vergangenen fünf Jahren nicht dabei gewesen sind? Schwierig. Liegt es am Preis? Die Buchtage in Leipzig vor zwei Jahren hatten jedoch auch nicht mehr Teilnehmer, und bundesweit bekannte Politiker, die als Redner unserer Hauptversammlung Öffentlichkeitswirksamkeit verschaffen, kann man leichter in Berlin gewinnen.

Welche Rolle räumen Sie dem ­Branchennachwuchs ein, wie wollen Sie ihn aktiv beteiligen?
Schmidt-Friderichs: Vor zehn Jahren wurde auf meinen Anstoß hin das Nachwuchsparlament initiiert. Da gibt es sicherlich noch das ein oder andere zu justieren, aber: Wir können von den Nachwuchskräften unendlich viel lernen – sie lesen anders, sie verbringen ihre Freizeit anders, sie denken anders. Dazu müssen wir ihnen möglichst oft begegnen. Und wir müssen sie ernst nehmen und integrieren. Das ist mein Ding.
Könemann: Anfangs war ich gegen das Nachwuchsparlament, ich dachte: Wir sind doch ein Verband von Inhabern – was soll das? Habe mich aber dann überzeugen lassen und finde das heute eine gute Sache. Was ich jedoch komplett vermisse, ist dass diese Nachwuchsvertretung nach außen sichtbar wird. Die sind weder auf der Messe noch bei anderen großen Veranstaltungen, wo sie Journalisten usw. wahrnehmen und wir sagen könnten: Wir sind die einzige Branche, die so etwas hat!

Wie wichtig ist für Sie das Sozialwerk?
Könemann: Schlechtes Gewissen, ich bin noch kein Mitglied, habe aber Besserung gelobt. Zu meiner Ehrenrettung: Wir haben in Nordrhein-Westfalen eine Art Pflichtabgabe eingeführt, was vielleicht besser ist, als mit dem Hut herumzulaufen.
Schmidt-Friderichs: Das Sozialwerk ist einfach wichtig. Man muss ignorant sein, um nicht zu sehen, dass das frühere Modell, das Unternehmen mit 65 Jahren zu verkaufen und damit die Rente zu sichern, nicht automatisch und immer tragfähig ist. Und durch Krankheit unverschuldet in Not zu geraten – auch das kann sehr schnell gehen.

Karin Schmidt-Friderichs, Verlegerin im Verlag Hermann Schmidt Mainz, war unter anderem von 2003 bis 2011 Vorsitzende des Berufsbildungsausschusses im Börsenverein, von 2012 bis 2015 Vorsitzende der Stiftung Buchkunst. 2018 hat der Börsenverein sie in die Deutsche Literaturkonferenz entsandt; seither ist sie Mitglied im Sprecherrat des Deutschen Kulturrats.

Stefan Könemann ist Geschäftsführer der Barsortiment Könemann Vertriebs GmbH in Hagen, ein Joint Venture der Familie Könemann und Libri. Er war unter anderem von 2004 bis 2011 Vorsitzender des Landesverbands Nordrhein-Westfalen (bis zur Fusion mit dem Bundesverband), von 2012 bis 2018 Vorsitzender des Ausschusses für den Zwischenbuchhandel.

Beide Kandidaten touren derzeit durch die Landesverbände und stellen sich den Mitgliedern vor. Auch bei der Jahrestagung der IG Unabhängiges Sortiment am 25. und 26. Mai in Bremen werden sie zu Gast sein.

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