Lieblingsbuchhandlung: Emanuel Maeß über die Nicolaische Buchhandlung in Berlin

Preziosen und Holzfußboden

25. April 2019
Redaktion Börsenblatt
Emanuel Maeß streift gern durch die Nicolaische Buchhandlung in Berlin-Friedenau.

Für jemanden, der sein Leben vielleicht etwas überhas­tet der schönen Literatur gewidmet hat und manche ihrer Werke mit größerer Sicherheit liebt als seinen Nächsten, halte ich es selten lange in Buchhandlungen aus. Von einigen kleinen, feinen Läden – wie der Nicolaischen in Berlin – einmal abgesehen, machen mir vor allem die Erlebniswelten etablierter Großketten-Filialen oft den Eindruck, dass es inzwischen mehr Autoren als Leser gibt und sich die Romantik zu Tode gesiegt hat. Inmitten der sich meterhoch türmenden Unüberschaubarkeiten von Gegenwartsliteratur, den Kritikern nach fast ausschließlich einsame Gipfel der Erzählkunst, möchte man das Schreiben wieder sein lassen (wenn es denn so einfach wäre).

Ich kaufe selten in Buchhandlungen ein, und wenn, dann für Freunde und eigentlich nur in der Nicolaischen bei mir um die Ecke. Würde ich all die Bücher, die ich lese, kaufen müssen, ginge manchen Monat eine weitere Nettokaltmiete drauf. Bibliotheken und Antiquariate bleiben daher der Bücherort meiner Wahl. Außerdem gibt es größte Dicht- und Denkkunst als E-Book fast geschenkt, inzwischen auch in der aufgeweckten Nicolaischen, die als älteste Buchhandlung Berlins seit etwas mehr als drei Jahrhunderten weiß, wie man auf der Höhe der Zeit Geschäfte macht und eine fabelhafte Website hat. Dort bekommen Sie, wenn Ihnen danach sein sollte, auch Shakespeares und Platons gesammelte Werke für je 0,99 Euro, auch den ganzen Jean Paul, Raabe und Stifter, es ist kaum zu fassen und im Hinblick auf den bleibenden Wert der Genannten natürlich ernüchternd, für kommende Lesergenerationen aber eben auch ein mehr als entgegenkommender Einstiegspreis.

Im Schaufenster lockt Neil MacGregor zum "Leben mit den Göttern", da tritt man gern hinzu. Denn Raum und Ambiente haben in der Nicolaischen noch immer menschliches Maß. Man dreht eine Runde um die Tische, bewundert einen der zweifellos schönsten Holzfußböden Friedenaus, überlegt, wem man eine der vielen sorgsam ausgewählten Postkarten schicken könnte. Ein Blick auf die Preziosen der Anderen Bibliothek und Insel-Taschenbücher, auf Wagenbachs Salto-Reihe, Friedenauer Presse und Kunstmann, ein Schwenk zum Bestsellerregal, um noch kurz und vergnügt die eigenen Vorurteile zu bestätigen. Und was die Neuerscheinungen betrifft, weiß Frau Nestler zu beruhigen. Nein, der Rudolf Borchardt sei mit seinem "Weltpuff Berlin" eine Riesenenttäuschung (sehe ich ganz anders), Houellebecq, nun ja, eben etwas für die vielen Fans, dafür erfahren Karen Duve und Takis Würger höchstes Lob. Man findet auch viel für Kinder, Köche und Gärtner. Alles strahlt unaufdringlichste Kompetenz und Sachlichkeit aus, die noch dem aufklärerischen Geist Friedrich Nicolais verpflichtet scheint, was mich nicht davon abhält, mich mit dem kolossalen Bild- und Prachtband "Angelus, Diabolus" in den Geist der Gegenaufklärung zu vertiefen und dies auf den Höhen einer Galerie zu tun. Es spricht ja nichts dagegen, ausnahmsweise einmal mehr Zeit in einer Buchhandlung zuzubringen, während draußen nur der Winter und die nächste Erkältung warten. Jetzt fehlte noch eine heiße Schokolade, die es im Übrigen gleich nebenan bei Frau Behrens gibt, und die großartigsten Torten noch dazu. Aber das ist wieder eine andere Geschichte.

Emanuel Maeß, 1977 in Jena geboren, lebt in Berlin. Er hat in Heidelberg, Wien und Oxford Politologie und Literaturwissenschaft studiert. Sein Debütroman "Gelenke des Lichts" ist im Frühjahr bei Wallstein erschienen.