Wirtschafts- und Arbeitsthemen sind kein dröger Stoff, der nur für Wirtschaftsseiten gemacht ist. Das hat sich längst herumgesprochen, nicht zuletzt dank innovativer Magazine. Neben "Brand Eins" und "enorm" werfen mittlerweile auch viele weitere, kleinere Titel einen feuilletonistischen Blick auf den Wandel einzelner Unternehmen – und ziehen daraus Schlüsse für das große Ganze.
Immer wenn man denkt, der Markt für solche Geschichten sei mittlerweile gesättigt, kommt ein weiteres Produkt heraus. Seit einem Jahr nun ist "Neue Narrative" am gut sortierten Bahnhofskiosk erhältlich. Das "Magazin für neues Arbeiten" erscheint in einer mutigen Auflage von 10.000 Exemplaren. Die Premiere wurde über Crowdfunding finanziert, mittlerweile ist die dritte Ausgabe erschienen. Hinter dem Projekt steht das Berliner Kollektiv TheDive, ein Zusammenschluss aus Gründern, Coaches, Architekten, Journalisten, Künstlern und vielen anderen, die "Zusammenarbeit, Unternehmen und Wirtschaft neu gestalten" möchten. "Wir produzieren Content, bauen Arbeitsräume, erfinden Organisationslogiken für Unternehmen und probieren sie an uns selbst aus", so die Macher.
"Neue Narrative" will ein Wirtschaftsmagazin sein, "in dem es nicht nur um Wachstum, Rendite und Managerschicksale geht", sondern um "Geschichten vom Scheitern und Gelingen einer neuen Arbeitswelt, in der Rendite nur eines von vielen möglichen Erfolgskriterien ist". Die beiden ersten Hefte drehten sich um die Themenfelder Macht und Sinn, die aktuelle Ausgabe hat den Schwerpunkt Führung. Was ist das eigentlich: Führung? Und wie kann sie in Zukunft aussehen? Diese Leitfragen durchziehen wie ein roter Faden die hübsch illustrierten Seiten.
Antworten finden sich unter anderem in theoretischen Abhandlungen, in Gesprächsprotokollen (eine Fremdenführerin, eine Hundetrainerin und eine Domina berichten von ihrer Führungsverantwortung) und in einer Reportage über ein Sternerestaurant, in dem eher die Gäste geführt werden als die Mitarbeiter – und zwar durch ein kulinarisches Abenteuer.
Die Mischung ist abwechslungsreich, liefert Erwartbares wie Loblieder auf agile Arbeitsmethoden, aber auch Überraschendes, etwa bei den umgedrehten Stellenanzeigen: Fach- und Führungskräfte beschreiben sich in all ihren Widersprüchen und Wünschen, Unternehmen können sich bei ihnen bewerben. Besonders interessant ist das Interview mit einer ehemaligen Google-Führungskraft über "Compassionate Leadership", also emotional intelligentes Führen. Oder der Essay über den amerikanischen Maler Bob Ross, der eine Lektion in "postheroischer Führung" erteilt. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass man Menschen inspiriert und sie auf diese Weise um sich schart.
Dazwischen gibt es praktische Übungen, viele Anglizismen, Hashtags und geschlechtergerechte Sprache ("Chef*in"). Und Fragen, die zum Nachdenken anregen sollen: "Was ist schlimmer: schlechte oder gar keine Führung?" Am Ende des Hefts werden die Erkenntnisse noch einmal zusammengefasst. Fazit: Führen und Fühlen haben sehr viel miteinander zu tun, die Zeit der großen Egos ist vorbei. Oder anders gesagt: "Lead me with love." Den Wahlspruch hat die Redaktion auf ein Poster gedruckt und beigelegt.
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