Unter 238 Einsendungen, darunter 64 verlegte Werke und 174 Manuskripte, hatte die Jury zunächst drei Nominierte ausgewählt. „Thematisch und auch in der Form lassen sich unter den drei Nominierungen keine Gemeinsamkeiten erkennen: Hier ein kleiner Text über die Liebe, sprachmächtig und poetisch geschrieben, dort ein erschütterndes Familienszenario voller Grausamkeit und Ausweglosigkeit und dann noch eine höchst unterhaltsame Generationengeschichte, die durch ihren leichten Umgang mit einem ernsten Thema und den schöpferischen Gebrauch der Sprache überzeugt. Aber von literarischem Mut zeugen die drei nominierten Texte gleichermaßen. Sie entwickeln einen besonderen Ton, der sie unverwechselbar macht und überzeugen durch eine spannende Handlung und interessante Figuren, die dem Leser nahe kommen. Es sind Texte, die in Erinnerung bleiben“, begründet Birgit Müller-Bardorff die Auswahl der Jury.
Letztlich entschied sich die Jury für Michèle Minelli als Preisträgerin: „Michele Minelli inszeniert sprachlich und dramaturgisch eine Tragödie mit großer poetischer Wucht. Die Verbindung von literarischer Form, Ethik und Psychologie sind eine sehr eigene und gekonnte Form des Coming of Age-Romans. Das Genre ‚Problembuch‘ wird in dieser Form sprachlich und szenisch in völlig neues Licht gerückt. Zwar sind die geschilderten Charaktere nicht frei von Klischees, aber dennoch entwickelt jeder einen eigenen Sound. Der Text lässt Welten entstehen, die berühren und abstoßen. Man kann für den Protagonisten Sympathie entwickeln und muss ihn doch im nächsten Augenblick hinterfragen: Damit ist ein unglaublich emotionaler und komplexer Roman entstanden, der junge Leser fordert, aber sie gleichermaßen unterhält. Dass dabei auch noch eine literarische Höhe gehalten wird, die bestechend facettenreich ist, macht den Roman zu einem preiswürdigen Werk. Da klingt eine neue literarische Stimme, die kraftvoll und zart zugleich ist. Diese Art Entwicklungsroman ist eine Bereicherung für das Genre Jugendbuch/All Age“, begründet Jurorin Christine Paxmann.
Die Preisrede auf „Passiert es heute? Passiert es jetzt?“ von Michèle Minelli hielt der Autor Nils Mohl, der 2011 mit „Es war einmal Indianerland“ selbst den Oldenburger Kinder- und Jugendbuchpreis entgegennehmen durfte und im Jahr darauf mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet wurde. „Michèle Minelli hat sich dafür entschieden, diesem Jungen mit allem Können zur Sprache zu verhelfen. So muss es sein, oder nicht? Es gehört zu den vornehmsten Aufgaben von uns allen, denen ohne Worte eine Stimme zu geben und sie darin zu bestärken, sie mutig zu gebrauchen. Wolfgang wäre verloren, ein kaputter Typ, wenn er sich nicht artikulieren könnte, wie die Autorin es ihn tun lässt. Darin besteht Wolfgangs Heldenmut, nicht in dem Akt der Notwehr. Dafür bewundere ich diesen Roman zutiefst: Für den Mut, im Erzählen einen Schlüssel zum Erwachsenwerden zu erkennen.“