Die Stuhlreihen vor der Bühne des Weltempfangs waren voll besetzt, dahinter standen weitere Zuhörer, die am 13. Oktober der Preisverleihung lauschten. Messedirektor Juergen Boos beglückwünschte in seiner Begrüßung die Preisträgerin und sagte über den LiBeraturpreis, der an Autorinnen aus Lateinamerika, Asien, Afrika und dem arabischen Raum vergeben wird (was Boos hervorhob), er gehöre inzwischen zur "DNA der Frankfurter Buchmesse". Bei seinem Rückblick auf 30 Jahre LiBeraturpreis erwähnte er, dass die erste Preisträgerin Marys Condé (1988) in diesem Jahr den alternativen Literaturnobelpreis erhält (siehe Archiv), und die zweite Preisträgerin, Assia Djebar (1989) im Jahr 2000 mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels geehrt wurde. Künftig müssen wir schneller auf die LiBeraturpreisträgerinnen reagieren, sagte Boos mit einem Augenzwinkern. Und er dankte der Litprom-Geschäftsführerin Anita Djafari und ihrem Team für die Organisation des Preises.
Den LiBeraturpreis 2018 konnte die strahlende, vietnamesische Schriftstellerin Nguyen Ngoc Tu für ihren Erzählungsband "Endlose Felder", der in der Bibliothek der Entdeckungen des Mitteldeutschen Verlags vorliegt, in Empfang nehmen. Die Autorin wurde 1976 in der Provinz Ca Mau geboren, wo sie bis heute lebt. In "Endlose Felder" sind 14 Erzählungen versammelt, die im Mekong-Delta spielen und im vietnamesischen Original bereits von 2001 bis 2005 erschienen sind. "Für uns aber sind die Geschichten ganz neu und in ihrer sozialrealistischen Melancholie auch große Herzensbrecher", schwärmte Katharina Borchardt in ihrer Laudatio. In Vietnam sei Nguyen Ngoc Tu eine Bestsellerautorin − die Titelgeschichte des Bandes wurde als "The Floating Lives" 2010 verfilmt. "Bei Nguyen Ngoc Tu verschwinden immer wieder Menschen, und ihre Angehörigen bleiben beschädigt zurück", so die Laudatorin − wie etwa das verschwundene Mädchen Cai, das ihr Vater seit zwölf Jahren sucht ("Komm zurück, Cai!"). Der Autorin gelinge es meisterhaft, die emotionalen und ökonomischen Verhältnisse im Mekong-Delta zu beschreiben.
Borchardt lobte insbesondere die Arbeit der beiden Übersetzer Günter Giesenfeld und Marianne Ngo sowie ihrer Helfer. Diese und ihren Verlag würdigte auch die Preisträgerin in ihrer Dankesrede, in der sie ausführte, wie aus "flüchtigen Gedanken", die sich in ihrem Kopf festsetzen, ihre Geschichten entstehen.
Eine Tradition bei der Verleihung des LiBeraturpreises auf der Bühne des Weltempfangs ist die anschließende Diskussion der jeweiligen Preisträgerin und ihrer Übersetzer − moderiert wurde diese am Samstag von Claudia Kramatschek. Nguyen Ngoc Tu erläuterte, wie sie ihre Stoffe findet und wie sie zum Schreiben gekommen ist (übers Lesen) − und das es keine Schreib-Tabus in Vietnam gebe. Was Günter Giesenfeld mit dem Hinweis, das "Endlose Felder" zunächst verboten werden sollte und nur durch eine Auszeichnung des vietnamesischen Schriftstellerverbands (2006) davon verschont blieb, zu relativieren versuchte. Marianne Ngo erklärte die Arbeitsweise mit drei Durchgängen bei der Übersetzung − von der ersten groben Übersetzung der Grundstruktur, über die nachfolgende tiefere bis zur Übertragung in einen stimmigen deutschen Text. Eine große Leistung.
Der LiBeraturpreis ist mit 3.000 Euro dotiert, gestiftet von der Frankfurter Buchmesse. Hinzu kommen 6.000 Euro, die der Sponsor Yogi Tea für Projekte im Heimatland der Preisträgerinnen zur Verfügung stellt. Nguyen Ngoc Tu verriet, dass sie mit dem Geld zwei Schulbibliotheken in Vietnam unterstützen möchte (weil Lesen auch bei ihr den Drang zum Schreiben ausgelöst habe) sowie einen Wettbewerb für schreibende Frauen plane.
Im Anschluss signierte Nguyen Ngoc Tu ihren Siegertitel "Endlose Felder" und zur Feier der Preisträgerin sowie 30 Jahre LiBeraturpreis gab es vietnamesische Rollen zu Essen sowie Sekt und Saft − für Gesprächsstoff hatte die gelungene Veranstaltung gesorgt.
Auf der Litprom-Website gibt es weitere Infos zum LiBeraturpreis. Anlässlich des Jubiläums ist die Anthologie "Vollmond hinter fahlgelben Wolken", herausgegeben von Anita Djafari und Juergen Boos, im Unionsverlag erschienen (siehe hier).