Die Jury lobt "Dazwischen: Ich" (Hanser, 2016) als "wertvolles literarisches Werk zum Thema Flucht und Integration". Die 15-jährige Erzählerin ist mit ihren Eltern, dem jüngeren Bruder und der Tante aus einem vom Krieg zerstörten Land geflohen. Die Familie wartet wie viele andere in einem Übergangsheim für Flüchtlinge auf die behördliche Entscheidung, ob dem Asylantrag stattgegeben wird. Das Familiengefüge ist einer schweren Belastung ausgesetzt. Rabinowich gelinge "in einem fließenden Wechselspiel von Tagebuch-Monolog und Erzählung ein beeindruckender Roman über das Leben eines geflüchteten jungen Mädchens", so die Jury. Eindringlich vermittele sie zudem die Belastung für alle Familienmitglieder und zeige, wie viel Kraft aufgebracht werden muss, um in der Fremde neu anzufangen.
Die Jury fährt fort: "Die Sprache, ganz aus dem jugendlichen Empfinden heraus mal abgehackt in Kurzsätzen ohne Personalpronomen, mal kluge Lebensweisheiten transportierend, später in kurzen poetischen Traumsequenzen, zeichnet sich aus durch souveräne sehr lebensnahe Dialoge und spiegelt detailreich die Gefühlslagen der jungen Protagonistin ebenso wie das komplexe Thema Flucht und Integration wider." Madinas Weg aus Krieg und Zerstörung in eine neue, fremde Heimat stehe exemplarisch für Tausende junger Geflüchteter aus unterschiedlichen Krisengebieten − und "ein aufrüttelnder Aufruf, das Leiden der Zivilbevölkerung in Kriegs- und Krisengebieten nicht aus dem Bewusstsein auszublenden".
Die Jury
Mitglieder in der neunköpfigen Preisjury waren Udo von Alten (Friedrich-Bödecker-Kreis e. V.), Prof. Dr. Dr. h.c. Hans-Joachim Behr (Germanist, ehemals TU Braunschweig), Dr. Annette Boldt-Stülzebach (Stadt Braunschweig, Abteilung Literatur und Musik), Ute Wegmann (Germanistin, Autorin, freie Journalistin), Sabine Lippert (Stadtbibliothek Braunschweig), Thomas Ostwald (Friedrich-Gerstäcker-Gesellschaft), Katrin Wonschik (Buchhandel), Claudia Pierick und Daniel Erfurt als Vertreter der Jugendjury.
Die Autorin
Julya Rabinowich wurde 1970 in St. Petersburg geboren und lebt seit 1977 in Wien. Die Autorin schreibt auch Theaterstücke und ist zudem Bildende Künstlerin, Simultandolmetscherin und Kolumnistin in der österreichischen Tageszeitung "Der Standard". Für ihren Debütroman "Spaltkopf" (2008) erhielt sie u. a. den Rauriser Literaturpreis (2009). 2011 nahm sie an den Tagen der deutschsprachigen Literatur (Bachmann-Preis, Shortlist) teil. Weitere Literaturwerke sind "Herznovelle" (2011, nominiert für den Prix du Livre Européen) und die Romane "Die Erdfresserin" (2012) und "Krötenliebe" (2016). "Dazwischen: Ich" ist ihr erstes Jugendbuch.
Der Preis
1947 von der Stadt Braunschweig gestiftet, erinnert der Friedrich-Gerstäcker-Preis für Jugendliteratur an den Weltreisenden und Abenteuer-Romancier Friedrich Gerstäcker, der seine Jugend und seine letzten Lebensjahre in Braunschweig verbrachte. Der älteste deutsche Jugendbuchpreis wird in diesem Jahr zum 32. Mal verliehen. Im zweijährigen Turnus wird ein Buch ausgezeichnet, das Jugendlichen im Alter ab zwölf Jahren das Abenteuer der Begegnung mit fremden Welten fantasievoll vor Augen führt und dabei die Gedanken der Toleranz und Weltoffenheit in sprachlich anspruchsvoller Form näherbringt.
Den Preis erhielt zuletzt Dirk Reinhardt. Zuvor ging er u. a. an Anna Kuschnarowa, Martin Grzimek, Anja Tuckermann, Iva Procházková und Christa-Maria Zimmermann.