Die Stellungnahme im Wortlaut:
"Dort, wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende auch Menschen." Dieses Zitat von Heinrich Heine führt sprachlich aufs Äußerste verknappt die dramatischen Erlebnisse der verfolgten und zensierten Schriftsteller/-innen, die destruktive Gewalt der öffentlichen Bücherverbrennungen sowie die in Kriegen in Brand gesteckten und zerstörten Bibliotheken vor Augen: in Straßburg während des Deutsch-Französischen Krieges 1870/71 und in Kassel, wo zwei Mal Bücher brannten – 1933 aufgrund der unerbittlichen Propaganda der Nazis gegen die Autorinnen und Autoren, die für sich die Freiheit des Denkens, des Schreibens und des Publizierens, das heißt die Freiheit, ihr Werk zu verbreiten, forderten, und 1943 infolge der Luftangriffe der Alliierten. Wenn Bücher oder Bibliotheken brennen, leiden darunter nicht nur die Autorinnen und Autoren und ihre Verleger/-innen, sondern auch die Leser/-innen und damit letztlich alle Bürgerinnen und Bürger, die so ihren freien Zugang zu den Werken des Geistes verlieren und ihre Grundrechte infrage gestellt und eingeschränkt sehen.
Dank des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, mit Beteiligung des Institut français und der documenta in Kassel, wurde durch das Werk von Marta Minujin (Der Parthenon der Bücher) auf die Gefahr hingewiesen, die von der Rückkehr der Nationalismen ausgeht. In ihrem Gefolge werden alarmierende Entwicklungen erkennbar, wie etwa Hindernisse für Publikationen, Einschränkungen von Rechten und Freiheiten per Gesetz oder durch Regierungsentscheidungen, Zwang zur Selbstzensur und sogar Bedrohungen einiger Schriftsteller/-innen durch extremistische Bewegungen, die vor Gewalt nicht zurückschrecken. Die Gefahr besteht, dass die Ausmaße dessen, was vor sich geht, nicht erfasst werden, es zu einer allmählichen Banalisierung der von diesen Bewegungen verbreiteten Ideen kommt und Resignation droht. Denn die extremistischen Bewegungen nutzen die Krisen und die Instabilität der gegenwärtigen Übergangszeit, indem sie das Ressentiment der Menschen verbalisieren, die Ängste haben oder von einer Sehnsucht nach einem gesellschaftlichen Revanchismus angetrieben werden.
Das Europäische Kulturerbejahr 2018: eine Chance für die deutsch-französische Zusammenarbeit
Vor dem Hintergrund, dass durch die fanatische Besessenheit der Terroristen in jüngster Zeit Spuren alter Zivilisationen im Nahen Osten von unschätzbarem Wert zerstört wurden, haben Deutschland und Frankreich angeregt, 2018 zum Europäischen Kulturerbejahr auszurufen. Wir begrüßen diese Initiative und sehen darin für den DFKR, der im kommenden Jahr sein 30-jähriges Bestehen feiern wird, die Gelegenheit, dem Aufruf von Heinrich Heine zu folgen und Verantwortung für die Zukunft unserer Kinder, unserer Mitbürger/-innen und Europas zu übernehmen. In diesem Sinne möchten wir die Regierungen unserer beider Länder ermutigen, aktiv daran mitzuwirken, dass das Jahr 2018 genutzt wird, um einen wachsamen Blick auf die Zusammenhänge und Perspektiven unserer Geschichte zu richten, um eine echte europäische Kulturpolitik zu begründen, damit ein konkretes Bewusstsein für unsere Gemeinsamkeiten geschaffen wird, und um die affectio societatis wiederzubeleben, ohne die es nicht möglich ist, eine sichere, freie und solidarische europäische Gesellschaft zu entwickeln. Noch nie konnten Kunstschaffende und Gelehrte die aufkommenden Konflikte verhindern, da sie häufig zu ihren ersten Opfern zählten. Ein dauerhafter Frieden wird jedoch ohne ihren Beitrag nicht aufrechterhalten werden können.
Die neuen Grenzen sind unsichtbare Mauern
1967 schrieb Michel Foucault: "Hingegen wäre die aktuelle Epoche eher die Epoche des Raumes. Wir sind in der Epoche des Simultanen. Wir sind in der Epoche der Juxtaposition, in der Epoche des Nahen und des Fernen, des Nebeneinanders, des Auseinanders." Dies könnte eine Beschreibung unserer heutigen globalisierten und digitalen Welt sein, in der jedes Ereignis durch die Verkürzung der Entfernungen und der Zeit als vertraut erscheinen kann, während zugleich die Nähe selbst unschärfer und problematischer wird. Dementsprechend verdeutlicht die Flüchtlingskrise die Entkopplung der einzelnen Orte von unserem Raum (Dislozierung), der aufgrund der Erweiterungen nicht mehr klar erkennbar ist und aufgrund der Durchlässigkeit der Grenzen für Unsicherheit sorgt. Der in so große Nähe gerückte europäische Nachbar wird als Gefahrenquelle und die Rückkehr zu den Grenzen als Lösung angesehen. Der Brexit zeugt von genau dieser Entwicklung.
Alles beginnt mit Informationen und der Vermittlung von Informations- und Medienkompetenz
Dialog, Debatten und auch Kontroversen sind für die Demokratie eine Notwendigkeit – das wird einem schmerzhaft vor Augen gehalten, in einem Umfeld, in dem die Freiheit des Wortes zunehmend in Gefahr ist und die Frage nach Wahrheit und Unwahrheit von Informationen sich immer öfter stellt. Unsere Staaten sind dafür verantwortlich, für den Pluralismus der Medien und einen unabhängigen und professionellen Journalismus zu sorgen. Wir rufen die Regierungen unserer beiden Länder dazu auf, sich kontinuierlich um dieses zentrale Thema zu kümmern und für Rahmenbedingungen auf europäischer Ebene zu sorgen.
Um eine Manipulation durch Gerüchte und Falschmeldungen zu vermeiden, bedarf es einer gezielten staatsbürgerlichen Erziehung und geschichtlichen Bildung, damit die Jugend ihre Entscheidungen bewusst und verantwortungsvoll treffen kann. Die Ergänzung und Erweiterung gemeinsamer Lehrpläne könnte durch Programme wie z.B. Educ’ARTE, dem pädagogischen Angebot des Kultursenders ARTE, erfolgen.
Die Vielfalt ist eines der heikelsten Themen. Das kommende Jahr kann den Rahmen für verschiedene Aktionen bieten, mit denen sich die europäische Integration und Wertschätzung unseres immateriellen Kulturerbes verstärken lassen.
Damit es einfacher wird, neben Englisch eine zweite Fremdsprache zu beherrschen, müsste eine großangelegte Initiative zum Erlernen der Sprache des jeweiligen Nachbarn gestartet werden. In Frankreich und Deutschland gibt es an den jeweiligen Grenzen Verbindungspunkte zu anderen Ländern, die über einen großen kulturellen Reichtum verfügen. Um zu verhindern, dass mit der Kultur eine Verherrlichung der nationalen Identitäten und infolgedessen eine Ausweitung der Nationalismen einhergeht, müssten partnerschaftliche Projekte gefördert werden, die es ermöglichen, das jeweilige kulturelle Erbe in seinen verschiedenen Formen besser kennenzulernen und nachzuvollziehen und eine Vorstellung davon zu vermitteln, wie sich das Kulturerbe von morgen schaffen lässt. In diesem Sinne könnten das Erasmus-Programm und – insbesondere im Bereich der darstellenden Künste und des Kinos – die jungen Kreativen gestärkt werden.
Angesichts der Fanatismen und des Terrorismus, der die Religion als Alibi für seine Verbrechen benutzt, kann der DFKR, da er nicht für den Dialog zwischen den Religionen zuständig ist, nur die Dimension des geistigen Austauschs hervorheben, auf der dieser Dialog beruhen sollte, damit die jeweils für sich in Anspruch genommenen und anerkannten Denkweisen in einem laizistischen und säkularen Rahmen miteinander verbunden werden können. Die Zugehörigkeit zu einer Religion darf nicht zum einzigen Identifikationsmerkmal des Einzelnen werden, da andernfalls die Gefahr besteht, dass der Grundsatz der Gleichstellung der Bürgerinnen und Bürger verletzt und ihnen von vornherein jedwede Möglichkeit der sozialen Eingliederung versagt bleibt. Allerdings muss auch den Europäern das enorme religiöse Erbe bewusst sein, da die Religionsgeschichte Europas maßgeblichen Einfluss auf die Welt von heute hatte. Ersichtlich wird dies an Personen wie Martin Luther oder auch Gutenberg.
Der Schutz der Künstler/-innen, Schriftsteller/-innen, Herausgeber/-innen, Kunsthandwerker/-innen, Filmschaffenden und ihrer Partner erfordert eine intensive Befassung mit der Kultur- und Kreativwirtschaft und es gilt, beispielsweise das Urheberrecht in einem Umfeld, in dem sich neue Formen der Produktion und Verbreitung in einem sich ständig wandelnden Ökosystem entwickeln, uneingeschränkt zu wahren und durchzusetzen. Dies setzt auch eine Klärung der Verantwortlichkeit von Plattformen voraus. In der digitalisierten Welt befinden sich Kreativität und Innovation in einem Spannungsfeld zwischen Kultur und Wirtschaft.
Ohne ein kulturelles Projekt wird es keine politische Wiederbelebung Europas geben
Der französische Präsident Emmanuel Macron erklärte in seiner Rede zur Eröffnung der Frankfurter Buchmesse, dass er zusammen mit der Bundeskanzlerin Angela Merkel für die gemeinsame Kultur, die Sprachen und für die Bücher kämpfen wolle. Denn ohne Kultur gäbe es kein Europa. Dass die Kultur für den Einfluss Europas in der Welt notwendig ist, hat seinen Grund darin, dass sie die europäischen Werte veranschaulicht und begründet, die unser Demokratiemodell mit Leben füllen. Diejenigen, die dieses Modell zerstören oder schwächen wollen, nehmen sich immer zuerst die Kultur und ihre Akteure vor. Die Zeiten, in denen die Anhänger von Extremismen praktisch ausschließlich aus Bevölkerungsschichten kamen, die vom industriellen Wandel betroffen waren, sind lange vorbei. Heute treten die radikalen nationalistischen Bewegungen weniger dämonisch auf, um Menschen für sich zu gewinnen. Sie bemächtigen sich der Themen, die von anderen politischen Akteuren vertreten werden, und verfälschen diese dann, wie beispielsweise die Laizität in Frankreich, den Liberalismus oder auch die Forderungen des Feminismus und der Vertreter/-innen der Rechte von Menschen, die nicht der Heteronormativität entsprechen. Die Attraktivität und die Ausstrahlung Europas verdanken sich ganz ohne Zweifel seinem Markt, der noch immer der größte weltweit ist, aber eben auch und vor allem seiner Weltsicht und seinem kulturellen Erbe, das Europa nach der Versöhnung der Völker und der europäischen Einigung berechtigterweise preist.
Unsere Rechte und Freiheiten zu fördern und nicht nur zu verteidigen und der europäischen „Gemeinsamkeit“ – und hier konkret dem Kulturerbe – einen positiven Sinn zu verleihen, ist eine Möglichkeit, sich bewusst dafür zu entscheiden, in diesem multidimensionalen Raum zu leben, von dem Foucault spricht, wobei es gilt, klarsichtig und gemeinsam über die Zukunft nachzudenken, um sie für uns zu gestalten. Indem wir unserer Zusammenarbeit eine neue Dimension verleihen, können Deutschland und Frankreich eine neue Inspiration für Europa schaffen.
Dieser Aufgabe hat sich der DFKR verschrieben. Indem er sich seit seiner Gründung im Jahre 1988 für eine gemeinsame Linie in der Kulturpolitik Deutschlands und Frankreichs einsetzt und sich für die Rechte der Kulturschaffenden ausspricht, trägt er zu einer Stärkung Europas auf kultureller Ebene und darüber hinaus bei. In den kommenden Monaten wird es darum gehen, das aktuelle positive Momentum der deutsch-französischen Partnerschaft zu begleiten und im Dienste Europas zu gestalten. Daher fordert der DFKR die beiden Regierungen auf:
• Den europäischen digitalen Binnenmarkt im Sinne der Kultur- und Kreativwirtschaft zu gestalten.
• Sich für Orte des deutsch-französischen Austauschs einzusetzen und die Mandate bestehender Institutionen zu erneuern und diese in die politischen Prozesse einzubinden.
• dem Prozess der kulturellen Bildung, als Voraussetzung für Handlungskompetenz in Frankreich und Deutschland exemplarisch für die europäischen Staaten, höchste Relevanz einzuräumen und die hierfür erforderlichen Mittel bereitzustellen.
Die Mitglieder des Deutsch- Französischen Kulturrates:
Thomas Ostermeier, Deutscher Ko-Präsident; Künstlerischer Leiter der Schaubühne am Lehniner Platz
Catherine Trautmann, Französische Ko-Präsidentin; Vizepräsidentin der Stadtgemeinschaft Straßburg (Eurométropole), ehemalige Ministerin, ehemalige MdEP
Bruno Boutleux, Generaldirektor Adami (französischen Verwertungsgesellschaft für Kunstschaffende)
Véronique Cayla, Präsidentin ARTE France
Florian Drücke, Geschäftsführer des Bundesverbandes Musikindustrie e. V.
Werner Lohmann, Ehrenpräsident des Landesmusikrats NRW, ehem. Rektor der Hochschule für Musik und Tanz Köln
Laurent Muhleisen, Übersetzer, Künstlerischer Leiter des Maison Antoine Vitez, Conseiller littéraire der Comédie-Française
Vincent Monadé, Präsident Centre National du Livre
Bénédicte Savoy, Professorin für Kunstgeschichte an der Technischen Universität Berlin
Stephanie Thiersch, Künstlerische Leiterin MOUVOIR e.V.
Doris Pack, Deutsche Generalsekretärin; Vorstand der Stiftung für die deutsch-französische kulturelle Zusammenarbeit, ehem. MdEP
Catherine Robinet, Französische Generalsekretärin; Generalkonsulin der Republik Frankreich im Saarland