Der traditionell zum Auftakt der Leipziger Buchmesse am Mittwochabend im Gewandhaus verliehene Buchpreis zur Europäischen Verständigung würdigt seit 1994 Autoren, die sich um eben diese Verständigung verdient gemacht haben. Selten zuvor dürfte der engagierte Einspruch für die Idee eines friedlichen, geeinten Europas dringlicher gewesen sein als in diesen unwägbaren und politisch erhitzten Zeiten.
Der diesjährige Preisträger Mathias Énard hat dabei schon immer darauf bestanden, dass die Europäer über die eigenen Grenzen hinausschauen müssen. Vor allem das aktuelle Buch des großen französischen Romanciers mit Wohnsitz in Barcelona, "Kompass", ist ein hochaktueller literarischer Gegenentwurf zur Konzepten nationaler Begrenztheit. Der Roman ist ein Hohelied auf den Orient, auf dessen Kunst und Kultur – sowie gleichermaßen Erinnerung daran, wie stark Europa vom Orient beeinflusst wurde und von der arabischen Welt profitiert hat.
In seiner großartigen Dankesrede erinnerte Énard nun in Leipzig an diese fruchtbare Verbindung und rief zugleich dazu auf, dass sich Europa nicht abschotten dürfe: "Wir haben Syrien aufgegeben, es wie einst den Libanon oder Bosnien der Zerstörung und dem Schmerz überlassen. Die Europäer sind oft traurige Zuschauer. Sie sollten trotzdem nicht vergessen, ... dass Frieden Mut und Überzeugung verlangt."
Énard, der mehrere Jahre in Damaskus, Beirut und Teheran gelebt hat, ist einer der intimsten Kenner der arabischen Welt. Die Leipziger Jury hat denn auch seine Rolle als eminent neugieriger und engagierter Vermittler besonders hervorgehoben: "In einer Welt, in der wir allenthalben Spaltung und Hass erleben, in der sich Orient und Okzident zunehmend in einer Schockstarre aus Feindseligkeit, Angst, aus Drohung und Gegendrohung gegenüberstehen, schenkt Énard uns einen von großer menschlicher Anteilnahme geprägten Einblick in den arabischen Kulturraum", lobte sie den Preisträger.
Doch welche Hoffnung können wir der Gewalt und dem Unfrieden entgegensetzen, die uns überall begegnen und an die Énard in seiner Rede so eindringlich erinnerte. Seine Antwort: "Eine vielleicht bescheidene Hoffnung ist die auf das Wissen, auf eine Erotik des Wissens: darauf, darauf dass sich das Begehren nach Wissen immer mehr ausbreitet, und darauf, dieses Begehren mit anderen zu teilen."
Riethmüllers Warnung
Hier traf sich Mathias Énard mit dem Vorsteher des Börsenvereins. Heinrich Riethmüller unterstrich in seiner Eröffnungssrede, dass Bildung die fundamentale Ressource für eine demokratische Gesellschaft sei. Er kritisierte vehement die geplante Reform des Urheberrechts (das sogenannte Urheberrechts-Wissensgesellschaftsgesetz), die extensive Nutzungen zuungunsten der Verlage vorsieht. Bildung zum Nulltarif könne es aber nicht geben. Wenn die funktionierende Infrastruktur von 600 Fach- und Wissenschaftsverlagen und etwa 80 Schulbuch- und Bildungsverlagen zerstört würde, hätte dies Auswirkungen auf die Qualität der Information und auf die Publikationsvielfalt. Riethmüller erinnerte an den Appell "Publikationsfreiheit für eine starke Bildungsrepublik", den bisher mehr als 5.000 Autoren, Verleger und andere Vertreter aus dem Bildungsbereich unterschrieben hätten. "Demokratie lebt vom Diskurs und von der Vielfalt von Ansichten und Meinungen. Diese zu fördern, ist eine wesentliche Aufgabe unserer Branche", so Riethmüller. Dies gelte auch im Hinblick auf bedenkliche Entwicklungen in Osteuropa, in der Türkei und in den USA. "Wir brauchen Verlage, Autoren und Journalisten, die Wissen differenziert aufbereiten und Meinungsvielfalt ermöglichen“, sagt er und versprach: "Wir lassen nicht nach, uns für das freie Wort einzusetzen."
Die Leipziger Buchmesse bietet dafür in den kommenden vier Tagen eine weithin sichtbare Bühne.