"Der nette und telegene Volker Weidermann, der Literaturkritiker der Generation Golf, der aber auch mal böse sein kann" – hat Ihr Kollege Helmut Böttiger Sie gut getroffen?
Keine Ahnung. Ich kann böse sein wie jeder andere auch, ich bin Kritiker und deshalb schreibe ich kritisch über Bücher. Ich lese lieber Bücher, die ich mag, manchmal bleibt es aber nicht aus, dass man über schlechte Bücher reden muss. Und dann bin ich gern und entschlossen kritisch, wie ich sonst auch emphatisch lobe.
Wie viele Bücher lesen Sie im Jahr?
Bis zur letzten Seite: vielleicht 50. Natürlich liest man als Kritiker in unglaublich viele Bücher hinein, blättert in ihnen, liest sie zur Hälfte, verwirft sie dann doch.
Pro "Quartett" werden vier Bücher vorgestellt, dazu kommen einige wenige Empfehlungen. Stehen die Titel für die erste Sendung schon?
Ich überlege, welche Themen eine Rolle spielen könnten, denke auch über mögliche Titel nach, aber das ist noch gänzlich unkonkret. Das Herbstprogramm trudelt ja erst ein. Der Sommer ist die schönste Zeit im Lesejahr, das Herbstprogramm breitet sich langsam vor einem aus, man kann sich auf die Suche begeben, sich freuen, begeistert sein.
Nächste Woche wird die Longlist zum Deutschen Buchpreis veröffentlicht. Werden Sie dort fündig?
Die Liste findet meine Beachtung, gleichzeitig versuche ich mich von ihr freizumachen. Auf diese 20 Titel fokussiert sich ja ohnehin das Interesse. Außerdem ist die Aufstellung doch sehr erwartbar, spannend sind oft gerade mal vier, fünf Titel.
Welches sind Ihre Kriterien? Wie finden Sie die versteckten, unerwarteten Romane – demnächst auch für den "Literaturspiegel", der ab September den "Kulturspiegel" ersetzt?
Einfache Frage, die schwer zu beantworten ist. Zunächst einmal gibt es einen Kanon von Autoren, deren Arbeit ich verfolge, weil ich weiß, sie schreiben interessante Bücher. Ansonsten gilt: Werden Themen behandelt, die gesellschaftlich relevant sind, die politisch oder persönlich spannend sind, die in die Gegenwart hineinragen? Dann beginnt die Lektüre. Das Buch muss mich packen, lebendig sein, nachvollziehbar, kraftvoll, überraschend, literarisch interessant. Es darf mich nicht langweilen.
"Nicht langweilen" – dieses Kriterium stand auch bei Ihrem "Quartett"-Vorgänger Marcel Reich-Ranicki ganz oben. Er hat sich allerdings wohl bei den meisten Büchern gelangweilt. Werden Ihre Kollegen Christine Westermann und Maxim Biller bei der Auswahl der Bücher fürs "Quartett" mitreden dürfen?
Ja, sie sollen und müssen mitreden, dafür sind sie beim "Literarischen Quartett" dabei. Das letzte Wort habe wohl ich, weil ich für die Auswahl verantwortlich bin. Ich glaube, Reich-Ranicki war dafür berühmt, dass seine Mitstreiter Stunden auf ihn einreden mussten, um ein Buch in die Sendung zu bekommen. Das wird bei mir nicht so sein.
Drei Plätze beim "Quartett" sind vergeben, einer bleibt für Gäste frei. Haben Buchhändler eine Chance auf eine Einladung?
Gute Idee. Ich war gerade ausgiebig für Lesungen aus meinem letzten Buch "Ostende" unterwegs und habe viele engagierte und begeisterte Buchhändler getroffen – genaue Leser, die Kontakt zum Lesepublikum haben, woran es uns Kritikern ja manchmal fehlt. Also ja, ein Buchhändler könnte den Platz sehr gut einnehmen.
In seinen besten Zeiten hatte Marcel Reich-Ranicki mehr als eine Million Zuschauer, zuletzt war es noch eine halbe Million. Was wird von Ihnen erwartet?
Es gibt keine Vorgabe, auch auf Nachfrage habe ich nichts erfahren. Welche internen Quotengeheimnisse es gibt, weiß ich nicht. Mit mir hat bislang keiner darüber gesprochen. Mal sehen, wie lange das so bleibt.
Auch wenn es ein paar Zuschauer weniger sind – die Aufmerksamkeit dürfte groß sein. Was können Verleger tun, um mit ihrem Buch in der Sendung dabei zu sein?
Geschenke, Reisen, Geldbeträge. Im Ernst, sie tun ja schon alles, was möglich ist. Abendessen mit Autoren, bezahlte Recherchereisen, Michael Krügers legendäre Verlegerbriefe: Es fehlt nicht an Versuchen, die Kritik für ein Buch zu interessieren. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das noch verstärkt werden kann. Aber ich freue mich immer, wenn ich auf Dinge hingewiesen werde, die mir sonst nicht aufgefallen wären.
Das große Engagement ist verständlich, bei der Aufmerksamkeit, die ein Buch im Fernsehen bekommt.
Ja, die Auswahl ist brutal und die Sendung lenkt die Aufmerksamkeit wahrscheinlich noch viel stärker auf ein Buch als eine gedruckte Rezension in der Zeitung. Pro Jahr werden wir über 24 Bücher ausführlich diskutieren; mehr geht nicht, wenn die Diskussion Tiefe haben soll. Bei der »Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung« habe ich im Jahr auch nicht mehr als etwa 25 Bücher groß besprechen können. Diese Auswahl zu treffen, das macht den größeren Teil des Literaturkritiker-Jobs aus.
Was ist mit Literatur, die nur digital vorliegt? In oder out?
Kann ich mir in Ausnahmefällen vorstellen, ich muss aber ehrlich sagen, dass ich zumindest auf dem deutschen digitalen Markt noch kein Buch entdeckt habe, das ich aufregend und besonders fand und das ausschließlich digital vorlag. Interessantes wird in der Regel doch sehr schnell auch gedruckt. Aber der digitale Markt wird sich weiter entwickeln und es werden dann sicher auch häufiger Bücher ausschließlich digital erscheinen, die relevant sind, schnell und anders. Die kommen dann sicher auch im "Literarischen Quartett" vor.
Der "Kulturspiegel", der dem »Spiegel« monatlich beiliegt, wird zum "Literaturspiegel". Welche Rolle spielen Sie dabei?
Da bin ich, wie auch sonst im "Spiegel", vor allem Autor. Gefragt sind aber wohl auch meine Ideen, meine Kontakte zu Schriftstellern in der ganzen Welt. Es soll ja im "Literaturspiegel" um Literaturkritik gehen, es wird Rezensionen geben, aber es soll vor allem auch, finde ich zumindest, literarisch geschrieben werden. Literaten aus aller Welt werden zu Wort kommen und über Literatur, über literarische Themen, schreiben. Ich habe so viele Kontakte, dass ich mich da sicher auch jenseits des Schreibens einbringen kann.
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