Seit kurzem ist ein Werk zu entdecken, dass zu Lebzeiten des Autors vor allem Insidern der Lyrikszene bekannt war: die Gedichte Christian Saalbergs. Bei Schöffling & Co. ist unter dem Titel "In der dritten Minute der Morgenröte" ein umfangreicher Band mit ausgewählten Gedichten des am 25. Mai 2006 verstorbenen Lyrikers erschienen (384 S., 28 €). Saalberg, der 1926 im niederschlesischen Jelenia Gora (Hirschberg) geboren wurde, arbeitete im bürgerlichen Leben als Rechtsanwalt und Notar unter dem Namen Dr. Christian Rusche.
Den Auswahlband haben seine Tochter Viola Rusche und der in Hamburg lebende Schriftsteller Mirko Bonné gemeinsam besorgt, das Nachwort hat der Autor und Übersetzer Jürgen Brôcan geschrieben. Brôcan gehört mit Michael Krüger, Andreas Altmann und dem in Kiel lebenden Lyriker Arne Rautenberg (siehe auch unten) zu den Mitstreitern und Förderern Christian Saalbergs, wie es in der editorischen Notiz des Herausgeber-Duos heißt.
Saalberg, der zuletzt in Kronshagen bei Kiel lebte, hat zwischen 1963 und 2005 insgesamt 23 Gedichtbände veröffentlicht, ein 24. Band wurde postum 2006 veröffentlicht. Der Auswahlband gibt jetzt zahlreiche Gedichte und Zyklen aus allen Schaffensphasen Saalbergs wieder. Zu Lebzeiten erschienen zudem Gedichte in Zeitschriften und Anthologien, darunter auch in dem von Heinrich Detering bei Reclam herausgegebenen "Buch der deutschen Gedichte" (Vom Mittelalter bis ins 21. Jahrhundert. 4., durchges. und erg. Auflage, 2 Bde., 998 S., 39 €).
Christian Saalberg, der seinen Künstlernamen dem Ort im Riesengebirge verdankte, an dem das Sommerhaus der Eltern stand, war ein stiller, feiner, unaufdringlicher Mensch, der sehr genau verfolgte, was in der Welt und auch in der Welt der Literatur vor sich ging. Um sich und sein Werk machte er allerdings kein Aufheben, er zog es vor, eher im Verborgenen zu arbeiten, in seinem Kronshagener Arbeitszimmer, in dem er von seinen Büchern umgeben war. Doch seine Dichtung, die in den Anfängen sehr stark durch die poetischen Konzepte des Surrealismus geprägt war, ist nicht hermetisch, schließt sich nicht gegen die Welt ab, sondern bezieht ihre Initialzündung aus Literatur, Kunst und Geschichte, wie Brôcan in seinem essayistischen Nachwort schreibt.
Dass Saalberg abseits vom Literaturbetrieb stand, hat es ihm ermöglicht, seine Dichtung konsequent und ohne zeitgeistige Zugeständnisse weiterzuentwickeln. Von der klaren Gliederung in (gereimte) Strophen und der Reihenmetaphorik der frühen Gedichte löst er sich allmählich, entwickelt einen lakonischen Stil und setzt in der mittleren Werkphase verstärkt Mittel wie den Zeilenbruch ein. An die Stelle gebundener Rede treten zunehmend Elemente der Prosadichtung. Das kulminiert in Versen wie: "Mit der Dichtkunst / ist das so: // Die Wörter wollen / aufgeschrieben werden, / weiter nichts. // Gott weiß, warum." (aus: „Hier wohnt keiner“, 2003).
Viola Rusche und Mirko Bonné haben das Oeuvre für den Auswahlband in drei Phasen gegliedert: von 1963 bis 1987, von 1989 bis 1995 und von 1997 bis 2006. Die Chronologie der erschienenen Gedichtbände wurde beibehalten, die Reihenfolge der Gedichte innerhalb der Bände gelegentlich verändert. Den Abschluss bilden ein Gedicht und ein dreiteiliger Zyklus aus dem postum erschienenen Band, an mit folgenden Versen schließt: „Mein Tod fängt an, mir zu gefallen. Ich habe lange geschlafen, auf einmal war er da. / Es ist wie ein Märchen.“