Beide Autoren erhalten je neun Millionen Schwedische Kronen (830.000 Euro). Und beide kommen zur Preisverleihung am 10. Dezember nach Stockholm, betonte Mats Malm, der Ständige Sekretär der Schwedischen Akademie – eine deutliche Reaktion darauf, dass der Nobelpreisträger von 2016, Bob Dylan, die Juroren wochenlang im Ungewissen ließ, ob er kommt und am Ende dann doch nicht kam. Nun hat die Schwedische Akademie offenbar vorgesorgt. Olga Tokarczuk werde für ihre "für eine narrative Vorstellung, die mit enzyklopädischer Leidenschaft das Überschreiten von Grenzen als Lebensform darstellt", ausgezeichnet, Handke für "ein einflussreiches Werk, das mit linguistischem Einfallsreichtum die Peripherie und die Spezifität der menschlichen Erfahrung erforscht hat", sagte Akademiemitglied Anders Olsson in der Begründung der Jury.
Die Jury
Olsson beschrieb den Prozess der Preisfindung, der im Februar 2019 begonnen hatte. Das neue Nobelkomitee besteht aus zehn Personen:
aus der Schwedischen Akademie kommen
- der Schriftsteller Per Wästberg (Vorsitzender),
- der Kritiker Horace Engdahl,
- die Autorin Kristina Lugn,
- der Literaturwissenschaftler und Schriftsteller Anders Olsson
- und der Lyriker Jesper Svenbro; als Externe wurden
- die Kritikerin Mikaela Blomqvist,
- die Kritikerin Rebecka Kärde,
- der Schriftsteller Kristoffer Leandoer,
- der Übersetzer Henrik Petersen und
- die Schriftstellerin Gun-Britt Sundström berufen.
Kulturelle Gegensätze und Beschreibungsimpotenz
194 Kandidaten hat die Jury für 2018 durchleuchtet, 189 für 2019. Am Ende habe es eine Shortlist von acht Kandidaten gegeben. Die polnische Schriftstellerin Olga Tokarczuk habe Familiensagas und mythische Orte beschrieben, ihr großes Thema sei das Überschreiten von Grenzen, das auch die Flüchtlinge einschließt. Sehr beeindruckend sei zudem der große, 1100 Seiten umfassende Roman "Die Jakobsbücher" (der auf Deutsch im Kampa Verlag vorliegt, aber noch nicht ins Englische übersetzt worden ist). Tokarczuk betrachte die Realität niemals als etwas Stabiles oder Ewiges: „Sie konstruiert ihre Romane in einer Spannung zwischen kulturellen Gegensätzen; Natur versus Kultur, Vernunft versus Wahnsinn, Mann versus Frau, Heimat versus Entfremdung. Und das ist nur möglich, wenn beide Pole in der Erzählung verankert sind.“ Sie lasse sich von Landkarten und einer Vogelperspektive inspirieren, was ihren Mikrokosmos eher zu einem Spiegel des Makrokosmos mache. "Wir haben das große Glück, Tocarzuk auch in schwedischer Sprache lesen zu können", meinte Olsson.
Fast alle deutschsprachigen Ausgaben des Gesamtwerks von Olga Tokarczuk erscheinen im Kampa Verlag in Zürich, in den meisten Fällen übersetzt von Esther Kinsky. Der Titel "Der Gesang der Fledermäuse" ist im Verlag Schöffling & Co. erschienen und befindet sich im Nachdruck.
Tokarczuk wird heute Abend in der Bielefelder Stadtbibliothek lesen, ihr Verleger Daniel Kampa und "Jakobsbücher"-Übersetzer Lothar Quinkenstein werden auch anwesend sein.
Peter Handke sei einer der am einflussreichsten Schriftsteller in deutscher Sprache, meinte Olsson, auch mit Filmen wie "Himmel über Berlin" sei er hervorgetreten, durch Romane wie "Hornissen" (1966) und Theaterstücke wie "Publikumsbeschimpfung". Dessen Hauptkonzept sei es, dass die Schauspieler das Publikum beleidigen, nur weil sie anwesend sind. Er habe die Literaturszene mit Sicherheit geprägt, was nach seiner Beschreibung der deutschen Gegenwartsliteratur als "Beschreibungsimpotenz" auf dem Treffen der Gruppe 47 in Princeton kaum weniger geworden sei. Handke habe darauf geachtet, sich von den vorherrschenden Forderungen nach politischen Positionen zu distanzieren, und stattdessen viel von seiner eigenen literarischen Inspiration im Nouveau Roman der französischen Literatur gefunden. Viele seiner Werke seien ins Schwedische übersetzt. "Die Obstdiebin" habe besonders beindruckt, Handke habe Klassikerstatus.
Peter Handkes Gesamtwerk liegt im Suhrkamp Verlag vor.
Erstmals externe Mitglieder im Nobelpreiskomitee
Zum ersten Mal hat sich die Akademie geöffnet und fünf externe Experten in das Nobelpreiskomitee der Akademie berufen. Und, ebenfalls neu, traten heute nicht nur der Ständige Sekretär (der früher automatisch Mitglied der Jury war), sondern fünf Juryvertreter vor die Öffentlichkeit im Stockholmer Börsenhaus: Anders Olsson, Pär Westberg, Rebecka Kärde, Mikaela Blomqvist und Henrik Petersen. Von Journalisten nach den Erfahrungen aus der neuen Arbeitsweise befragt, signalisierten die Vertreter der Externen wie die der 18 Akademiemitglieder, dass es eine neue Art der Diskussionsführung gewesen sei, aber gerade der Dialog habe weitergeführt. „Sicher, es gab individuelle Auffassungen, individuelles Erleben von Literatur“, sagte Blomqvist, das gehöre dazu, wenn man um das Erkennen der Qualität ringe. Anders Olsson informierte, dass die Übereinkunft mit externen Mitgliedern im Nobelpreiskomitee zunächst für zwei Jahre festgelegt, sei so dass man auch 2020 in dieser Weise jurieren werde – „aber der Dialog nach außen ist sehr stimulierend“.