Rainer Moritz über den Naturbücher-Hype

Pilze suchen für die Seele

15. August 2019
Redaktion Börsenblatt
Der Hype um die Naturbücher, ausgelöst durch den Erfolg des Försters Peter Wohlleben, kann einem langsam wirklich zu viel werden. Meint Rainer Moritz.

Man kann sich nicht immer Freunde machen. Ja, es wäre sehr leicht, meine Beliebtheit bei kritischen Zeitgenossen zu steigern und mich blindlings auf die Seite derjenigen zu schlagen, die immer auf der richtigen Seite stehen. Dann müsste ich meine Abscheu vor Donald Trump äußern, Autos, Nestlé und Rib-Eye-Steaks blöd finden, Robert Habeck (der überdies ein Mann der Bücher ist) für den einzig wahren Merkel-Nachfolger halten, keinerlei Toleranz mit Rechten haben und Greta Thunberg für eine Lichtgestalt halten, die Mutter Teresa, Martin Luther King und Nelson Mandela locker in den Schatten stellt. Dann wäre alles gut ... wäre da nicht ­meine Erregung darüber, wie hierzulande die Liebe zur Natur(erhaltung) zur Quasireligion erhoben und der Buchmarkt mit verklärenden Titeln überschwemmt wird.

Klaglos habe ich in den letzten Jahren sehr vieles ertragen. Dutzende von emotional aufwühlenden Büchern sind an mir vorbeigezogen, geschrieben von sensiblen Menschen, die mir die Welt der Bienen, Hummeln, Lurche und Schmetterlinge erklären, Oktopusse (oder Oktopoden?) streicheln und vom Gehirn der Buchen faseln. Und ja, darunter gab es wunderbare Werke, die sich dem kapitalistischen Einebnen von allem, was sich nicht rasch vermarkten lässt, entgegenstemmen und dem Wort »Naturkunde« neuen Sinn verliehen.

Irgendwo freilich in meinem tiefsten Inneren war es mir schon immer verdächtig, wenn Tier- und Pflanzenschutz mit zu großem Eifer betrieben wird, wenn sich ein Fanatismus breitmacht, der ein gewachsenes, nicht im Handstreich zu änderndes Gesellschaftsgefüge nicht mehr in den Blick nimmt. Dann sehne ich mich nach dem näselnden Bernhard Grzimek, der die Deutschen auf so harmlose Weise tierlieb machte, und seinem Pullover zurück.

Schuld an diesem publizistischen Übereifer hat natürlich der Förster Peter Wohlleben, der – ich weiß, ich weiß – in den letzten Jahren ein prächtiger Umsatzbringer war, uns das geheime Leben von Fauna und Flora nahebrachte und dabei zwischen menschlichen und pflanzlichen Regungen kaum noch unterschied. Wie schön war es, denke ich mir (natürlich nur im Stillen), als sich der gesellschaftliche Einfluss von Förstern auf Vorabendserien wie "Forsthaus Falkenau" beschränkte ...

Wohlleben hat alle Dämme des Buchmarkts zum Einstürzen gebracht. Wie früher der Erfolg von Bestsellern, die von Bachblüten oder magischen Kohlsuppen handelten, automatisch dazu führte, dass zahllose Nachahmertitel (die man früher, was heute auch nicht mehr geht, Me-too-Bücher nannte) folgten, so fühle ich mich heute all den Wald-und-Wiesen-­Büchern hilflos ausgeliefert.

Den Rest gibt mir ein Buch, das in diesem Herbst in einem Münchner Verlagshaus erscheinen wird. Geschrieben hat es eine Frau aus Malaysia, die Long Litt Woon heißt und jetzt in Norwegen lebt. Es trägt auf Deutsch den Titel "Mein Weg durch die Wälder. Was mich Pilze über das Leben lehrten" und wird mit der Headline "Pilze suchen für die Seele" beworben. Das geht zu weit. Ich will mein psychisches Wohlergehen nicht von Rotkappen, Pfifferlingen oder Morcheln abhängig machen – und das Schicksal der Welt ebenso wenig. Aus Protest werde ich in meinem diesjährigen Urlaub in den Südtiroler Bergen demonstrativ durch den Wald streifen, nur kurz an Peter Wohlleben denken, stattdessen mit einem sehr scharfen Pilzmesser Steinpilze rigoros abschneiden, sie unter dem Motto "Pilze essen für die Seele" abends in Olivenöl anbraten, Kräuter dazugeben und das Ganze dreisterweise mit krossen Speckwürfelchen garnieren.


Rainer Moritz ist Autor und leitet das Literaturhaus Hamburg.