Geschlechtergerechte Sprache ist für Sie auch "Eine Frage der Moral", wie Sie in einem gleichnamigen Duden-Buch deutlich machen. Wie halten Sie es persönlich mit dem Gendern?
Ich handhabe das sehr flexibel: Ich verwende gern den Schrägstrich, aber anders als im Duden empfohlen ohne Bindestrich dahinter: Also Autor/in statt Autor/-in. Ich setze aber auch das Sternchen oder die Gendergap ein, zum Beispiel in den Sozialen Medien. Das generische Maskulinum jedenfalls halte ich für unangemessen. Wir lernen zwar alle, dass damit auch Frauen gemeint sind. Aber die Wahrheit sieht anders aus. Wenn es heißt: 200 Teilnehmer saßen im Publikum, dann rücken Frauen in den Hintergrund, weil sie mit dieser Wortwahl einfach nicht abgebildet werden.
Kann jemand, der hyperkorrekt gendert, Frauen im Alltag nicht trotzdem ausgrenzen und diskriminieren?
Natürlich. Ich kenne Professoren, die durchgängig korrekt gendern und trotzdem nur männliche Doktoranden in ihren Teams beschäftigen. Und umgekehrt gibt es grundanständige Menschen, die das generische Maskulinum nutzen und nicht sexistisch handeln. Letztlich tragen aber auch sie mit ihrer Sprache dazu bei, dass Männer stärker wahrgenommen und Frauen nicht mitgedacht werden. Sprechen ist eben auch Handeln – und hat Konsequenzen für das eigene Denken und für die Denkmuster anderer.
Viele Universitäten und Behörden haben längst Genderleitfäden formuliert. Würden Sie sich das auch von Unternehmen wünschen?
Unternehmen stehen mittlerweile vor einem gewissen Entscheidungsdruck: Ob und wie sie gendern – damit ist immer auch Statement verbunden. Es wird heute als bewusste Entscheidung für oder gegen etwas wahrgenommen. Die Behörden sind hier in der Tat vorgeprescht, erstaunlicherweise im Einklang mit der Subkultur, die das Gendersternchen hervorgebracht hat: Die Unterlagen zur Einschulung meiner jüngsten Tochter etwa tragen konsequent Sternchen. Doch gerade die Universitäten sind nicht so weit, wie viele denken. Zwar wurden universitäre Genderleitfäden entwickelt, aber ich persönlich habe als Professor in Berlin noch keine einzige Hausarbeit und keine Rundmail gesehen, in der konsequent gegendert wurde.
Sie haben einmal gesagt, Schriftsteller und Journalisten sind beim Gendern besonders konservativ. Wie erklären Sie sich das?
Der Journalismus hat das große Problem der Zielgruppenansprache: Die meisten Medien sind für ein breites Publikum gemacht – und es ist heute schon schwer genug, eine Sprache für die gesamte Leserschaft zu finden und Informationen so aufzubereiten, dass jeder und jede sie versteht. Das wird durch das Gendern nicht gerade leichter. Die "TAZ" hat lange das Binnen-I verwendet, aber natürlich auch ein Publikum, das damit kein Problem hat, sondern das sogar erwartet.
Bei Schriftstellerinnen und Schriftstellern kommt hinzu, dass Sprache für sie eben auch eine ästhetische Dimension hat und das eigene sprachliche Empfinden im Vordergrund steht. Mich wundert oft, wie wenig kreativ gerade Schreibende mit dem Thema umgehen, sie sind doch besonders sprachmächtig und haben die Kompetenz, Alternativen zu finden. Warum nehmen sie diese Herausforderung nicht an statt Aufrufe gegen das Gendern zu unterzeichnen? Das ist ein Widerspruch, den ich für mich nicht so richtig auflösen kann. Ich vermisse den produktiven Ansatz.
Und noch ein Zitat von Ihnen: "Die Menschen werden sich an alles gewöhnen, wenn sie es nur wollen." Gewöhnung oder Wille: Was spielt die größere Rolle bei der Umstellung auf geschlechtergerechte Sprache?
Es gibt Männer, die finden, dass Frauen ohnehin schon zu viel zu sagen haben. Die werden schwer zu einer gendergerechten Sprache zu bekehren sein – eben weil sie es nicht wollen. Bei allen anderen und damit bei den meisten dürfte die Gewöhnung eine größere Rolle spielen.
Nehmen Sie das Wort Studierende: Es hat den Begriff Studenten längst abgelöst. Wir haben uns daran gewöhnt. Selbst als ich neulich in einem Tweet von Radfahrenden und zu Fuß Gehenden geschrieben habe, bekam ich zwar viel Kritik für den Inhalt meiner Aussage, doch die ungewöhnlichen Formen hat niemand kommentiert.
Klar ist: Je älter die Menschen werden, desto schwerer fällt es ihnen, sich an Neues zu gewöhnen. Das geht mir nicht anders. Aber die Frage ist doch: Ruhen wir uns darauf aus? Sind wir am Ende sogar stolz darauf?
Wenn Sie in die Zukunft blicken – was würden Sie sich dann in Bezug auf die geschlechtergerechte Sprache wünschen?
Ich glaube, dass uns die Diskussion noch lange begleiten wird - und je offener und produktiver wir sie führen, desto besser. Denn wer zu früh Fakten schafft, so wie derzeit viele Behörden, fördert nur die starke Polarisierung und dient damit nicht der Sache. Stattdessen wird eine Steilvorlage für diejenigen geliefert, die von Sprachpolizei reden. Nicht jede Lösung ist für alle das Richtige. Zwischen Gendersternchen und generischem Maskulinum gibt es noch viele Zwischentöne, die in der Diskussion momentan einfach untergehen. In jedem Fall warne ich davor, die gendergerechte Sprache für einen Kulturkampf zu missbrauchen.
Was raten Sie Verlagen und Buchhandlungen: Mehr Gelassenheit in der Debatte?
Von der Buchwelt, in der sprachliche Kreativität zum Berufsbild gehört, würde ich mir wünschen, dass sie mitdenkt, mitredet, mit eigenen Ideen und mit der Freude am Experiment vorangeht: Gelassen, aber keinesfalls mit dem Gefühl, sie könne sich zurücklehnen. Akzeptieren, dass sich ein Teil der Gesellschaft auf den Weg der geschlechtergerechten Sprache begeben hat und kleine Schritte mitgehen – das wäre doch schon mal ein Anfang.
Zur Person
Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. 2007 gründete er mit dem Bremer Sprachblog das erste deutschsprachige Sprachwissenschaftsblog. Seitdem bloggt er über Sprache und Sprachen, etwa unter sprachlog.de. Im März 2018 erschien sein aktuelles Buch "Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen" (Dudenverlag).
- "Es muss nicht die eine Lösung für alle geben": Interview mit Kathrin Kunkel-Razum, Duden-Redaktion
- "Wenn man präzise sein möchte, muss man die Dinge benennen": Interview mit Autorin Nina George
- Alles nur eine Frage der Ästhetik? Buchhändler Linus Giese über Binnen-I und Gendersternchen
- Thema der Woche in der aktuellen Print-Ausgabe des Börsenblatts (Heft 12), mit Beispielen aus Verlagen
was ist die Grundlage für Ihre Aussage:
"Wir lernen zwar alle, dass damit auch Frauen gemeint sind. Aber die Wahrheit sieht anders aus. Wenn es heißt: 200 Teilnehmer saßen im Publikum, dann rücken Frauen in den Hintergrund, weil sie mit dieser Wortwahl einfach nicht abgebildet werden."
Ist das Ihre persönliche Meinung? Oder gibt es für Ihre Wahrheit eine objektive Forschung, an welches Geschlecht Lesende bei solchen Formulierungen hauptsächlich denken? Warum können es nicht einfach Menschen oder Personen sein, die teilnehmen?
Warum müssen wir nicht Mensch oder Person gendern, denn beiden liegen biologische Geschlechter zu Grunde? Wer weiß, ob nicht eines davon zu kurz gerät?
Wie soll der politsch korrekte Autor das dann schreiben? Person/in - Person* - Person/in/* - PersonIn* - Person*In - Person*in - Person-In*.
Und wie schreibe ich, wenn es in der Tat nur 200 männliche Teilnehmer waren?
"Im Saal saßen 200 männliche Teilnehmer, die alle aufmerksam zuhörten". So in etwa? Ansonsten dsikrimiere ich, es sei denn ich verwende Person oder Mensch - falls diese Wörter doch genderfrei benutzt werden dürfen?
Wenn das so ist, dann werden in 30 Jahren ziemlich andere Texte in Büchern, Magazinen und Zeitschritften stehen (müssen)! Wo bleibt die Freiheit des Autors oder des Wortkünstlers?
Sie verwechseln hier ein bisschen die grammatische Geschlechterzuordnung mit der persönlichen.
Durch den Begriff 'die Sonne' wird der Sonne nicht ein weibliches Personengeschlecht suggeriert. Ähnlich verhält es sich mit dem Begriff 'Person'. Er mag zwar grammatisch feminin sein, ist aber in Bezug auf das Realgeschlecht immer neuter, denn es gibt für dieses Wort keine maskuline Form, die sich von der femininen abspaltet. Ähnlich verhält es sich mit dem Begriff Mensch. Beide erlauben damit an sich auch keine tatsächlich Geschlechterzuteilung. Wenn Sie sich Ihre anderen Beispiele genauer ansehen, werden Sie feststellen, dass dies da auch der Fall ist.
Für Begriffe wie 'Teilnehmer' gibt es dann allerdings eine strikt feminine Form die in Abgrenzung zur maskulinen gebraucht wird. Die Entscheidung zu deren Verwendung beruht immer auf einer klaren Spezifikation: es handelt sich hier ganz explizit um weibliche Teilnehmerinnen. D.h., die Norm der realgeschlechtlichen Trennung ist im Sprachkorpus für dieses Wort bereits belegt. Damit ist eine Verwendung der explizit maskulinen Form auch primär ein Verweis auf Männer. Ähnlich dem französischen, reicht allerdings bereits die Präsenz eines Mannes in einer Gruppe von 100 Frauen um die Gesamtgruppe zu Teilnehmern zu machen. Auch ist die Generalannahme - da nicht weiter spezifiziert - immer bereits maskulin.
Dieses Gedankenmuster kommt nicht von ungefähr. Es ist Tradition und durch den täglichen Sprachgebrauch fest verankert. Aber gerade darum geht es hier ja, der tägliche Gebrauch formt und verstärkt auch die Konvention für jeden weiteren Gebrauch.
Dass es sich hier um Sprachschädigung handelt, entspricht nicht der Sprachentwicklung. Alte Konventionen verfallen, neue kommen hinzu. Das ist normal.
Dass diese Entwicklung niemanden nützen sollte, ist allein durch den Umstand zu hinterfragen, dass diese Sprachentwicklung überhaupt erst aufgetreten ist. Worte die keine Verwendung finden, entschwinden einer Sprache. Da es sich bei der behördlichen Anerkennung um eine reaktive und nicht um eine proaktive Verordnung handelt, muss diese Entwicklung also bereits präsent genug gewesen sein, um eine Änderung zu erfordern. Damit ist von einem Nutzen für andere Personengruppen auszugehen.
wir sind uns offenbar ganz einig darin, dass das grammatische Geschlecht eines Begriffes keine Aussage über sein "natürliches" (oder biologisches) Geschlecht enthält. Bei Gruppenbegriffen spielt zunächst einmal nur das gemeinsame Merkmal der Gruppenmitglieder eine Rolle, nicht ihr biologisches Geschlecht, was ein großer Vorteil ist. Die Aussage "hundert Teilnehmer waren anwesend" bedeutet also "es waren hundert Personen, die teilnahmen". Ob und wie viele davon Frauen oder Männder oder Transsexuelle waren, ist für diese Aussage irrelevant. Daran ändert auch nichts, dass es für den Begriff "Teilnehmer" auch die feminine Form "Teilnehmerin" gibt. Mit der Formulierung "hundert Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren anwesend" wird der Akzent der Aussage unnötigerweise von der "Teilnahme" auf das biologische Geschlecht der Gruppenmitglieder verschoben, was nur dann angemessen wäre, wenn dies der entscheidende Aspekt der Aussage wäre. Dasselbe gilt für Aussagen wie "Christen werden heute weltweit am meisten verfolgt" oder "Franzosen trinken gerne Rotwein" oder "Studenten werden oft noch von ihren Eltern unterstützt".
Taugt „Gendergerechte Sprache“ als Mittel zu mehr Geschlechtergerechtigkeit?
Akteure:
- Feministische Sprachwissenschaftlerinnen der 70er Jahre (Pusch, Trömel-Plötz) (Bitte googeln) und ihre Nachfolgerinnen
- „Gender mainstreaming“ seit den 80er Jahren (Butler) (Bitte googeln),
- fest angestellte Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte in Universitäten, Parteien, Schulen, Behörden, Gewerkschaften, Medien, Institutionen seit den 90er Jahren; fast 200 Gender-Professuren im deutschsprachigen Raum (Bitte googeln)
Befund:
Deutsch ist eine „Männersprache“ (L. Pusch) und soll zu einer „Frauensprache“ (S. Trömel-Plötz) umgeformt werden.
Ziel:
Geschlechtergerechtigkeit, Förderung der Frauen, Zurückdrängen der „Männerlastigkeit“ der Sprache, „Sichtbarmachen“ der Frauen in der Sprache
Mittel:
Anleitungen zum „richtigen Gendern“, Sprech- und Schreibvorschriften vor allem in Parteien (z. B. die Grünen), Universitäten, Behörden, Parteien, Kirchen, Gewerkschaften, Institutionen, Medien
Das Gendern der Sprache ist aus folgenden Gründen problematisch:
- Gendern verkennt den Unterschied zwischen grammatischem „Geschlecht“ (Genus) und biologischem Geschlecht (Sexus)
Genus Sexus
maskulinum femininum neutrum männlich weiblich (div.)
der Baum die Blüte das Blatt der Mann die Frau ?
der Tisch die Vase das Hemd die Männer der Frau ?
der Storch die Amsel das Pferd der Herr die Herrin ?
der Mensch die Person das Leben das Männchen das Weibchen ?
der Mond die Sonne das Weltall das Jüngelchen das Mädchen ?
der Tod die Geburt das Ende das Männlein das Weiblein ?
der Sex die Sexualität das Bett der Star der Star ?
der Zaster die Münze das Geld der Stier die Kuh ?
der BH die Polizei das Alibi der Mensch (m/w)
Was wird hier sichtbar? Die grammatischen „Geschlechter“ (Genus, pl. Genera) sind nicht „logisch“, sondern historisch gewachsen, sie sind sprachliche Übereinkünfte.
Genus und Sexus haben nur in wenigen Fällen direkt miteinander zu tun, zum Beispiel dann, wenn Lebewesen allgemein oder Menschen und ihre Funktionen/Tätigkeiten/Berufe bezeichnet werden. Die meisten Nomen stehen im Deutschen übrigens im generischen Femininum, weil alle Abstrakta auf die Endungen -ung, -heit, -keit, -schaft, -tum, -lichkeit, -ligkeit „weiblich“ sind (z. B. die Mannschaft). Nomen mit der Endung -ismus sind dagegen alle „männlich“ (z. B. der Feminismus). Verkleinerungsformen (Diminutive) sind alle „sächlich“ (z. B. das Männchen).
Hauptthese: Die aktuell geltenden Formen der Sprache reichen aus, um hinreichend zu differenzieren und auch die Frauen „sichtbar zu machen“:
einzelne Personen: mehrere Personen unbestimmte Menge, anonym, beiderlei Geschlechts unbestimmtes Geschlecht
gezielte Ansprache: gezielte Ansprache:
der Wähler (m) die Wähler (m) und /oder
die Wählerinnen (f) die Wähler, (der) Wähler (neutral)
die Wählerin (f) in der Anrede: Sexus spielt keine Rolle (!),
Liebe Wählerinnen und
Wähler
Wo ist hier das Problem? Der Zankapfel ist das generische Maskulinum. Die feministischen Sprachwissenschaftlerinnen und die Gender-Ideologinnen behaupten, im generischen Maskulinum die Wähler, (der) Wähler würden die Frauen unsichtbar gemacht. Bei einem Ausdruck wie Wähler würden (ausschließlich) Männer assoziiert. Die Sprachfeministen wirken deshalb darauf hin, dass zukünftig von Wählenden gesprochen wird. In der substantivierten Partizipform seien alle Geschlechter angesprochen. Diese Sichtweise ist aber nur nachvollziehbar, wenn man die Gender-Brille auf der Nase hat. Sprachwissenschaftlich gesehen sind die generischen Pluralformen im Hinblick auf den Sexus neutral. Sie bezeichnen einfach nur Menschen, die wählen. In der geschriebenen, gegenderten Sprache sind mehrere Varianten im Umlauf:
Wähler(innen), Wähler/innen, WählerInnen, Wähler_innen, Wähler*innen, Wählx, Wählas.
Diese Schreibweisen sind streng genommen Verstöße gegen die deutsche Rechtschreibung. Ein Problem ist auch die Aussprache. Wie sollen z. B. der Gender-Stern, der Gender-Gap oder das x gesprochen werden?
Es unterliegt jedoch keinem Zweifel, dass die deutsche Sprache an einigen Stellen männerlastig ist. Dass bei Ausdrücken wie Ingenieur, Arzt, Experte fast immer Männer assoziiert werden, liegt jedoch nicht an Boshaftigkeit der Männer, sondern an den historisch entstandenen (aktuellen) Realitäten. Das wird sich erst dann ändern, wenn Frauen in nennenswerter Anzahl den Ingenieursberuf ergreifen. Bei Erzieher werden fast immer Frauen assoziiert. Auch das wird sich nur ändern, wenn mehr Männer sich für den Erzieherberuf entscheiden. Die Sprache wird sich dann über den Gebrauch ebenfalls ändern, falls die Sprecherinnen und Sprecher eine Änderung für nötig halten.
- Gendern sieht den Zusammenhang zwischen Sprechen und Denken zu einfach
Die Gender-Ideologie unterstellt einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Sprechen und Denken. Deshalb kann überhaupt erst die Idee aufkommen, dass über feministische Sprachpolitik (Gendern) ein neues Denken (Geschlechtergerechtigkeit) gefördert werden könnte. Das stellt die tatsächlichen Verhältnisse auf den Kopf.
Der Zusammenhang zwischen Sprechen und Denken ist in Wahrheit wesentlich komplexer. Festzuhalten ist, dass neue Begriffe und Formen nicht durch Verordnung von oben entstehen, sondern auf Grund von Veränderungen in der gesellschaftilchen Realität. Das Internet als neue Technologie hat zum Beispiel in kurzer Zeit eine Menge neuer Begriffe hervorgebracht: googeln, downloaden, scannen, bloggen usw. Diese Begriffe werden wahrscheinlich in kurzer Zeit zu ganz selbstverständlichen Bestandteilen der deutschen Sprache.
Man darf erwarten, dass sich mit zunehmender Gleichberechtigung von Männern und Frauen auch das Sprachverhalten verändert. Das ist bereits geschehen durch selbstverständliche Verwendung weiblicher und männlicher Formen (Wählerinnen und Wähler). Wie sich das in Zukunft entwickelt, ist schwer vorherzusehen. Problematisch sind auf jeden Fall ideologisch motivierte Eingriffe ins Sprachsystem.
- Gendern macht die deutsche Sprache hässlicher, komplizierter, für Deutsche schwerer lesbar und für Ausländer schwerer lernbar.
Ein Beispiel aus einem Protokoll des Basler Gesundheitsdepartements:
"Bereits die mildeste und häufigste Form der Trennung einer ‘Rolle des Verantwortungstragens’ (Arzt/Ärztin) von einer ‘Rolle des sich-Anvertrauens und sich-Unterordnens’ (Patient/in) reduziert die Eigenverantwortlichkeit, mit der der/die Patient/in Entscheidungen in Bezug auf seine/ihre Gesundheit trifft. Damit wird der/die ‘beratende Arzt/Ärztin’ zum/zur ‘entscheidenden Arzt/Ärztin’. In bestimmten Situationen haben Patient/in und Arzt/Ärztin natürlich keine andere Wahl (zum Beispiel bei einer Notfallbehandlung eines/einer Bewusstlosen). Doch bereits die Entscheidung, ob ein vom Arzt/Ärztin empfohlener Wahleingriff durchgeführt werden soll, will der/die mündige Patient/in in Eigenverantwortlichkeit selbst treffen. Demgegenüber nimmt der/die unmündige Patient/in seine/ihre Eigenverantwortlichkeit nicht wahr, ohne dass er/sie durch zwingende Gründe daran gehindert würde."
Das ist zwar ein Extrembeispiel, zeigt aber sehr gut die Problematik. Ist dieser Text noch lesbar? Ist er für Menschen, die mit der deutschen Sprache Schwierigkeiten haben, noch verständlich? Worin besteht hier der Fortschritt für mehr Geschlechtergerechtigkeit?
- Gendern ist grammatisch zum Teil widersinnig
Am Studentenhaus der Frankurter Universität ist die alte Inschrift durch eine neue ersetzt worden. Das Studentenhaus heißt jetzt offiziell „Studierendenhaus“, weil sich im Begriff „Studenten“ angeblich nicht alle Geschlechter wiederfinden können. Das „Studentenwerk“ heißt neuerdings „Studierendenwerk“.
Die Umbenennung wirft jedoch nicht nur politische, sondern auch grammatische Fragen auf. Ist die Partizip-Form „Studierende“ bedeutungsgleich mit dem Nomen „Studenten“?
Was ist mit
Studentenkneipe Studierendenkneipe?
Studentenfutter Studierendenfutter?
Studentenwohnheim Studierendenwohnheim?
Wie sieht es mit der Verallgemeinerbarkeit dieser Neuregelung aus? (Endung -enten)
Dissidenten Dissidierende? Dezernenten Dezernierende?
Abonnenten Abonnierende?
Absolventen Absolvierende? Abschluss innehabende Person?
(Vorschlag aus einem Gender-Ratgeber)
Auch an den Tätigkeitsbezeichnungen haben sich die Sprachfeministen zu schaffen gemacht:
Das alte Wort „Lehrling“ ist schon lange durch „Auszubildender“ oder „Azubi“ ersetzt worden, weil alle Nomen mit der Endung -ling im generischen Maskulinum stehen und weil diese Endung nach Ansicht der Sprachveränderer eine Abwertung ausdrückt. Was ist aber mit
Säugling zu Säugender, Saugender?
Liebling zu Liebender?
Feigling ?
Auch alle Tätigkeits- und Berufsbezeichnungen mit der Endung -er stehen im generischen Maskulinum, Gendern führt zu seltsamen Gebilden:
Metzger Metzgende?
Fleischer Fleischende? Fleischverarbeitende?
Bäcker Backender
Fahrradfahrer Fahrradfahrende „Der Fahrradfahrende kam zur Tür herein.“
Steuerberater Steuerberatender
Raucher Rauchende? Raucherbein Rauchendenbein?
Christen Christ*innen? Christentum Christ*innentum?
Redner Redende? Redner*innen?
Bürger Bürgende? Bürger*innen
Meister Meisternde? Meister*innen
Werden dann aus den Bürgermeistern Bürger*innenmeister*innen? Oder aus dem Einwohnermeldeamt ein Einwohner*innenmeldeamt?
Redewendungen werden zum Problem:
Jeder ist seines Glückes Schmied Jede/jeder ist ihres/seines Glückes Schmied*in?
Übung macht den Meister Übung macht den/die Meister*in?
Frauen sind die besseren Autofahrer Frauen sind die besseren Autofahrer*innen?
Die Polizei – dein Freund und Helfer Die Polizei – deine Freund*in und Helfer*in)
Die Neuregelungen sind in der Regel nicht verallgemeinerbar. Sie schaffen viele neue grammatische Zweifelsfälle und sprachliche Unklarheiten.
- Gendern geht in einigen Fällen gar nicht
der Mensch die Menschin? Menschen Mensch*innen?
die Deutschen, die Deutsch*innen? Deutsche Deutsch*innen?
der Feiglinge die Feigling*in? Feiglinge Feigling*innen
Sollen literarische Texte (Gedichte, Romane) gegendert werden? Sollen bereits geschriebene Texte nachträglich gegendert werden? Fast alle Dichter und Schriftsteller lehnen das ab und halten das Gendern ihrer Texte für eine Zumutung.
Dennoch gibt es auch sinnvolle Vorschläge. Nichts spricht dagegen, das „Rednerpult“ statt in „Redner*innenpult“ in „Redepult“ umzubenennen, wie es einige Gender-Anleitungen vorschlagen.
- Gendern kostet viel Geld, weil Formulare, Aufschriften, Schriftstücke aller Art (z. B. in Behörden) neu hergestellt werden müssen
Das ist zwar kein sprachwissenschaftliches Argument, aber trotzdem wichtig, weil die Kosten für Gender-Anleitungen sowie neue Formulare in Behörden und Institutionen von den Steuerzahlern aufgebracht werden müssen. Es sind bereits große Summen dafür ausgegeben worden (jüngstes Beispiel: Stadtverwaltung Hannover).
Kurze Bewertung aus sprachwissenschaftlicher Sicht:
1. Das Gendern der Sprache ist bereits im theoretischen Ansatz falsch, weil der Impuls von der Gender-Ideologie ausgeht, nicht vom tatsächlichen Sprachgebrauch. Sprache verändert sich aber durch den Sprachgebrauch und nicht am sprachfeministischen Reißbrett. Sie verändert sich von unten nach oben, nicht umgekehrt, es sei denn, man betreibt bewusst Sprachpolitik in manipulativer Absicht.
2. In der praktischen Wirkung ist das Gendern der Sprache kontraproduktiv. Mehr Geschlechtergerechtigkeit wird nicht durch Sprachvorschriften erreicht, sondern durch politische und gesellschaftliche Veränderungen, wie sie in den letzten vierzig Jahren verstärkt stattgefunden haben. Dieser Prozess wird weitergehen, und die Sprache wird ihn angemessen abbilden. Das kann vielleicht etwas länger dauern, als bestimmte Aktivisten es sich wünschen. Eine feministische Sprachpolitik braucht es dazu nicht. Es ist – nebenbei bemerkt – schon irritierend, wenn ausgerechnet Menschen, die sich selbst für sensibel und achtsam halten, keine Skrupel haben, die Sprache zu misshandeln.
Letztlich geht es um Deutungshoheit und um Macht. Obwohl die Verfechter des Genderns eine kleine Minderheit sind, haben sie großen Einfluss. Ihr Hebel ist eine bestimmte Moral. Wer sich der neuen Sprachpolitik verweigert, gilt als rechts, frauenfeindlich, reaktionär, gestrig. Sachargumente aus der Sprachwissenschaft haben keine Chance, denn nicht die Sache – die Sprache – ist wichtig, sondern die „richtige“ Gesinnung. Der Mehrheit soll eine Sprachregelung verordnet werden, um das Bewusstsein in Richtung der Gender-Ideologie zu verändern. Man kann das auch Manipulation und Bevormundung nennen. Geschlechtergerechtigkeit wird dadurch nicht befördert, eher im Gegenteil. Das Gendern der Sprache durch eine Minderheit erweist der Sache der Frauenemanziation einen Bärendienst, weil die Veränderungen im Kern sprachfremd sind und weil die große Mehrheit der Sprecherinnen und Sprecher Eingriffe „von oben“ in das Sprachsystem ablehnt.
Die Ablehnung ist oft intuitiv, weil die meisten Menschen wenig Einblick in das Sprachsystem haben, aber merken, dass da etwas in die falsche Richtung läuft. Die Zustimmung auf der anderen Seite ist oft blind, weil sie aus einer Mischung aus Unkenntnis über die Funktionsweise der Sprache, schlechtem Gewissen und falscher Solidarität mit feministischen Aktivistinnen erfolgt.
Fazit: Unbedachte und ideologisch motiverte Eingriffe in das gewachsene Sprachsystem verursachen Unsicherheiten und grammatisches Durcheinander.