Zum 65. Geburtstag von Detlef Bluhm

Im Wintergarten

14. Januar 2019
Redaktion Börsenblatt
Er hat sich einer Lebensaufgabe gewidmet, die mehr verdient als einen Geburtstagstusch: der Literatur, dem Buch, den Independents der Branche. Detlef Bluhm, Autor, Fotograf und im Börsenverein Geschäftsführer des Landesverbands Berlin-Brandenburg, wird heute 65 Jahre alt. Transit-Verleger Rainer Nitsche gratuliert mit einer Zeitreise in das Berlin der Nachwendezeit.

In unserer beliebten Serie "Wanderungen zu geheimen Orten des deutschen Buchhandels" machen wir heute einen großen Bogen um die trostlosen Konferenzräume in Aachen oder Hagen, lassen das von Großfamilien beanspruchte Gelände weit hinter uns und machen einen Satz nach Berlin, genauer in die Fasanenstraße, und zwar in deren schöneren Teil südlich des Kurfürstendamms, vorbei an eleganten Läden und Villen (eine davon ist das Literaturhaus), überqueren eine stadtinterne Autobahn, sehen links die ehemalige Freie Volksbühne, wo sommers das Internationale Literaturfestival stattfindet, entdecken rechts die Bar "Rum Trader" (leider erst abends geöffnet) und landen dann, immer geradeaus, in einer italienischen Bar, die außen den Namen "Fasan" in ihrer Landessprache vermeldet und in der sich früher Imre Kértesz gern von seinen Kleinverlegern zum Essen einladen ließ.

Doch halt, wir sind jetzt schon zu weit gegangen, wir müssen nordwärts zurück, zwängen uns an ausufernden Skulpturen vorbei in einen Hinterhof, der im Nebengebäude rechts, verborgen hinter einer Galerie und abgedunkelten Fenstern, auch eine Bar beherbergte, vom großen Architekten Hans Scharoun entworfen, inzwischen aber ausgemustert, und der wir in dankbarer Erinnerung kurz zunicken, um dann eine schmale Gartenhaustreppe bis zum 1. Stock hinaufzustolpern, an der Türe rechts zu klingeln und geduldig zu warten, bis wir schnelle, kleine Schritte vernehmen, sich die Türe öffnet und wir schnurstracks den Flur betreten, uns ins vordere Zimmer links begeben, dort staunend wegen der immensen Anhäufung elektronischer Apparate aller Art innehalten - und dann endlich unser Ziel erreichen: einen rundum verglasten Wintergarten mit einem großen Tisch und einem schönen Ausblick auf einen begrünten Innenhof, in dem die Vögel zwitschern.

Und was bitte soll hier passiert sein?

Eine Menge, und nur einen kleinen Teil davon können wir aus Platzgründen verraten. Erinnern wir uns an das Szenario der frühen neunziger Jahre. West-Berlin, die ummauerte Bastion der Freiheit und des unabhängigen Buchhandels, ist nun barrierefreies Gelände, offen für Attacken oder Avancen aller Art. Und Ost-Berlin und die DDR? Muss gar nicht erst erobert werden, der Volksbuchhandel wartet nur darauf, in die mildtätigen Hände alter oder neuer Filialisten zu fallen.

Thalia, Buch und Kunst und kleinere Ketten sind schnell dabei. Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt ergeben sich bis auf wenige Ausnahmen sofort. Nur in Ost-Berlin und Brandenburg läuft es anders. Dort widersetzt man sich dem allgemeinen Trend, verfolgt das Ziel, die Volksbuchhandlungen in selbständige Buchhandlungen umzuwandeln, mit Menschen, die ihren Beruf endlich frei und unabhängig ausüben wollen und können. Dafür muss man Hilfe anbieten, Aktivitäten, die diesen Buchhandlungen zu neuen Auftritten verhelfen und alte und neue Kunden auf sich aufmerksam machen. Diese mutige Strategie ging weitgehend und vor allem nachhaltig auf, oft zur Überraschung der Treuhand und der ehemaligen Volksbuchhändlerinnen selbst. Und sie wurde initiiert durch Anregungen und Aktivitäten, die in diesem Wintergarten ausgedacht und vorbereitet wurden.

Eine junge Frau namens Monika Grütters

Natürlich gab es Versuche, diese Strategie zu unterlaufen, das bislang Ketten-resistente Berlin zu erobern. Fnac kam und ging nach etwas mehr als drei Jahren. Auch die Bonner Traditionsfirma Bouvier versuchte es im Ost-Berliner Buchhandel, musste sich aber dann 1993 wieder nach Bonn zurückziehen, wurde dort 2004 von Thalia übernommen und 2012 mehr oder weniger, auch ohne die Treuhand, "abgewickelt". Einen gewissen Gewinn warf dieses Manöver nebenbei doch ab. Mit Bouvier kam damals eine Pressesprecherin, die sich höflich in eben diesem Wintergarten vorstellte, sich mit für die Initiativen kleinerer Buchhandlungen oder Verlage einsetzte und dann, als Bouvier das Berliner Abenteuer abbrach, in Berlin blieb und dort mehr mit der Politik zu tun bekam, eine neugierige junge Frau namens Monika Grütters.

An diesen abendlichen Wintergarten-Treffen war Detlef Bluhm nicht nur als Gastgeber, sondern auch als wichtiger Ideengeber über viele Jahre beteiligt, egal in welcher Funktion: als Vertreter, Verleger, als Mitglied des Berliner Landesvorstands, später als dessen Geschäftsführer. Die Treffen waren Teil seiner hartnäckig verfolgten, oft anstrengenden, oft auch mit Erfolgen belohnten und immer leidenschaftlich angenommenen - angesichts des heutigen 65. Geburtstags darf man das wohl sagen - Lebensaufgabe: die Welt der Literatur, die Welt der Bücher, der unabhängigen Buchhandlungen und Verlage hoch zu halten, zu verteidigen und (gelegentlich auch mit eigenen Büchern) zu bereichern. Das verdient mehr als einen Geburtstagstusch, das verdient großen Respekt.