Frau Eisele, Sie waren bis zur Gründung Ihres eigenen Verlags im Oktober 2016 Programmleiterin bei Piper. Wäre das Buch von Martina Bergmann auch ein schöner Titel für die Kollegen gewesen?
Eisele: Absolut. Wenn Martina Bergmann das Projekt über einen Agenten offiziell angeboten hätte und es zu einer Auktion gekommen wäre, hätte ich wohl keine Chance gehabt, mich gegen die Angebote der großen Verlage durchzusetzen. Zum Glück war es anders: Wir hatten privaten Kontakt und haben das Projekt gemeinsam entwickelt.
Bergmann: Ich bin Verlagsbuchhändlerin, kenne mich mit den Gepflogenheiten also aus. Julia Eisele ist nicht die erste, die mir ein Buchprojekt angetragen hat, aber sie ist die erste, die nach Borgholzhausen gekommen ist.
Worum geht es in "Mein Leben mit Martha"? Was ist das Besondere?
Eisele: In dem autobiografischen Roman erzählt Martina Bergmann von ihrem Zusammenleben mit einer an Demenz erkrankten alten Dame, mit der sie nichts als Freundschaft verbindet. Die beiden unkonventionellen Frauen haben sich über Heinrich kennengelernt, den Lebensgefährten Marthas, der eines Tages in Martina Bergmanns Buchhandlung auftauchte und ihr intellektueller Gefährte wurde. Heinrich, der Marthas Erkrankung stets als "poetische Verfassung" bezeichnet hat, hat seine Gefährtin quasi an seine Freundin vererbt. Und diese gerade einmal 40 Jahre alte Frau kümmert sich am Ende nicht nur um die alte Dame, sondern lebt mit ihr gemeinsam in einem Haushalt. Die Geschichte ist sensationell. Martina Bergmann hat daraus einen glänzend, ja poetisch geschriebenen autobiografischen Roman gemacht, der zeigt, dass die Betreuung und das Zusammenleben mit einem dementen Menschen viel mehr sein kann als Last und Bürde.
Wie viel Realität steckt in dem Roman, wie viel ist Fiktion?
Eisele: Am Anfang unserer Zusammenarbeit haben wir über ein Sachbuch gesprochen, doch als ich die ersten Seiten gelesen hatte, war mir klar: Das ist literarisch so brillant, daraus müssen wir einen Roman machen.
Bergmann: Und mir hat es gefallen, anders als Claas Relotius Dinge erfinden und weglassen zu dürfen! Wobei alles, was ich über Martha schreibe, der Realität entspricht. Aber ich spare vieles aus: Ich schreibe in diesem Buch nichts, was ich nicht auch über mich lesen wollen würde. Auch die Nebenfiguren sind real, wobei manches aus persönlichkeitsrechtlichen Gründen zum Beispiel in Ort und Zeit ein wenig verschoben ist, damit sich niemand wiedererkennt. Einige Personen, die mir viel Ärger bereitet haben, kommen in dem Buch gar nicht vor. Dagegen können sie zum Glück nicht klagen ...
Demenz ist nicht immer friedlich, anregend, fantasie- und liebevoll. Warum läuft es im Roman so harmonisch zwischen Ihnen und Martha?
Bergmann: Nicht nur im Roman. Martha spürt, dass ich sie sehr mag. Und sie mag mich. Es gibt keine Hintergedanken und ich erwarte auch keine Dankbarkeit von ihr. Martha hat Charme, sie hat Witz, Würde, Kraft, Energie und eine unglaubliche Poesie. Wir leben gut zusammen.
Eisele: Genau diese offene, entspannte Art, mit der Martina Bergmann dem Thema Demenz und würdevolles Altern begegnet, hat mich beeindruckt.
"Mein Leben mit Martha" erinnert an Arno Geigers "Der alte König in seinem Exil", allerdings gibt es neben den poetischen Momenten bei Geiger auch viel Aggression bis hin zu Gewalt.
Eisele: Das ist ein wunderbares Buch und mein Favorit zu diesem Thema. Auch Martha ist ja nicht immer friedlich, es gibt durchaus Passagen, in denen sie alles andere als liebenswert agiert.
Bergmann: Aggressiv wird Martha nur, wenn sie sich sehr ängstigt, und das ist selten der Fall. "Der alte König in seinem Exil" war übrigens auch ein Lieblingsbuch von Heinrich. Mich hat die Autobiografie von Inge Jens mehr fasziniert, in der sie ausführlich darüber berichtet, wie es ihr mit ihrem dementen Mann in der Öffentlichkeit ergangen ist und wie sie damit umgegangen ist, wie andere diesen Umgang beurteilt haben.
Es gab Erbschaftsprozesse, üble Nachrede, Beschwerden bei Ämtern, Nachbarn erzählten Martha, Sie würden sie loswerden und in ein Pflegeheim bringen wollen. Ihr Umfeld hat es Ihnen nicht einfach gemacht. Waren Sie darauf vorbereitet?
Bergmann: Ja. Ich kenne die sozialen Konventionen des Dorflebens schon lange. Klatsch und Tratsch interessieren mich nicht. Meine Hauptaufgabe ist, Stress von Martha fernzuhalten und ihr ihre Freiheit zu lassen. Dann ist sie glücklich. Alles, was Demenzpatienten an Ergo- und Musiktherapie zugefügt wird, ist nichts für Martha. Sie muss sich darauf verlassen können, dass das nicht passiert.
Da schickt jemand unter dem Stichwort mangelnde Hygiene Fotos vom Inhalt Ihres Kühlschranks, in dem Martha gerade Blumentöpfe und ihre Heckenschere verstaut hatte und Sie, wie Sie zugeben, ein paar Joghurt-Töpfchen und Salat vergessen haben, an die betreffende Beschwerdestelle beim Landkreis. Wie kann man da so gelassen bleiben?
Bergmann: Ja, das war manchmal anstrengend. Aber es gab eben auch die Guten, zum Beispiel die Sozialarbeiterin, die exakt diese Beschwerde auf ihren Schreibtisch bekommen und die Angelegenheit in ihrer Akte direkt als erledigt vermerkt hat.
Die Presse- und Leseexemplare sind verschickt. Wie ist die Resonanz?
Eisele: Ausgezeichnet. Wir haben diverse Interview- und Porträtanfragen, unter anderem von einer großen deutschen Sonntagszeitung, zwei Rundfunksendern und den Magazinen »Emotion« und »Myself«. Auch aus dem Buchhandel habe ich bisher nur positive Rückmeldungen.
Bergmann: Das ist bei mir genauso.
Was sagt eigentlich Martha zu dem Roman?
Bergmann: Ich habe ihr das Buch vorgelesen, und sie weiß, dass sie die Hauptperson ist. Jetzt möchte sie signieren.
Gehen Sie mit dem Buch auch auf Lesereise?
Bergmann: Am 19. Februar gibt es eine Premierenlesung in der Buchhandlung Lesezeichen in Germering, ein paar weitere Termine stehen auch schon. Eine ausgedehnte Tournee wird es nicht geben, dafür bin ich zu gern in Borgholzhausen.
Gibt es Pläne für weitere gemeinsame Projekte?
Eisele: Das würde mich sehr freuen.
Bergmann: Und ich habe schon ein paar Ideen in der Schublade.
Verlag, Buchhandlung, Kolumnen für boersenlatt.net, Studium, Blog und die Wohngemeinschaft mit Martha – wie schaffen Sie das eigentlich alles, Frau Bergmann?
Bergmann: Ehrlich gesagt, waren Verlag und Blog im vergangenen Jahr ziemlich inaktiv und auch meine Abschlussarbeit habe ich ruhen lassen. Man muss Prioritäten setzen, und dieses Buch wollte ich unbedingt schreiben. Das hat auch Martha verstanden.
Eisele: Du schreibst auch wahnsinnig schnell.
Bergmann: Ja, das stimmt. Manche müssen sich ja beim Schreiben quälen, das ist bei mir nicht so.
Martina Bergmann:
"Mein Leben mit Martha"
Eisele
224 S., 18 Euro
erscheint am 22. Februar
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