Wenn Frankreich im Oktober als Ehrengast auf die Frankfurter Buchmesse kommt, dann ist das keine Routine-Veranstaltung, wie man sie oft im bilateralen Kulturaustausch zwischen Ländern erlebt, sondern ein Auftritt, der neben der kulturellen und literarischen Botschaft eine eminent politische Dimension hat. Die Pressereise nach Paris, zu der die Organisatoren des Ehrengasts Frankreich, allen voran das Gastland-Kommissariat und das Institut Français, einluden, führte dies auf sehr anschauliche Weise vor Augen. Die Journalistengruppe erlebte während des etwa 40-stündigen Marathons, der von kurzen Nächten unterbrochen wurde, eine Reihe symbolträchtiger Orte und Begegnungen.
Schon der Begrüßungsabend im legendären Restauraunt „Le Drouant“, in dem die Jury des „Prix Goncourt“ jährlich tagt, um den Preisträger zu küren, bot Gelegenheit zum Austausch mit Vertretern der französischen Verlags- und Kulturszene. Eröffnet wurde er von Paul de Sinety, Koordinator des Gastlandauftritts („Commissaire Général“), und vom Direktor der Frankfurter Buchmesse, Juergen Boos. Im Gespräch mit Pierre Dutilleul, dem Geschäftsführer des französischen Verlegerverbands SNE (Syndicat National des Éditeurs), wurde offenbar, dass die französischen Verleger von ähnlichen Sorgen getrieben werden wie die deutschen: dass die Politik ihre genuinen Leistungen und ihre Bedeutung für die Schöpfung von Inhalten zunehmend geringschätzt und im Interesse von Forschung und Lehre immer seltener eine Vergütung für Nutzungen vorsieht. Soeben haben die beiden Kammern des französischen Parlaments einem Gesetzentwurf zugestimmt, der zahlreiche Ausnahmen vom Urheberrecht vorsieht.
Sorbonne verleiht Bundespräsident Gauck Ehrendoktorwürde
Nach einem literarischen Spaziergang in aller Frühe, der an zahlreichen Schauplätzen (wie der Buchhandlung Shakespeare & Company) und Schriftsteller-und Künstler-Wohnsitzen vorbeiführte, stand die Universität Sorbonne auf dem Programm: Dort wurde im großen Festsaal, dem „Grand Amphitheatre“, Bundespräsident Joachim Gauck die Ehrendoktorwürde der Universität verliehen. Gauck, wie die Rektoren und Dekane in einen gelb-weißen Talar gewandet, hielt eine Dankesrede, die beim Publikum – darunter auch zahlreiche Schüler und Studenten – großen Eindruck machte. In seinem Vortrag, dessen geographischer und historischer Ausgangspunkt das Pariser Quartier Latin war, in dem bereits im 12. Jahrhundert eine Universität begründet wurde, entfaltete der Bundespräsident die Entstehung der europäischen Idee aus dem Geiste der Universität: In diesem Geiste versammelten sich Gelehrte vieler Nationen, um in der gemeinsamen Lingua franca, dem Lateinischen, zu forschen und zu kommunizieren. Gauck pries in seiner Rede zugleich die deutsch-französische Aussöhnung, die kein Wunder sei, sondern „die Arbeit verständiger und nüchterner Politiker“. Die Zusammenarbeit beider Völker habe den Grundstein für das europäische Einigungswerk gelegt, doch jetzt, angesichts des Brexit und populistischer Bewegungen, erfülle ihn mit Sorge, „wie vor unseren Augen dieses Werk verblasst“.
Gauck beschwor den Geist der europäischen Ethik, die auf der Idee der Solidarität basiere und für Freiheit, Frieden, Gerechtigkeit und Demokratie kämpfe. Vor diesem europäischen Hintergrund ist auch der Gastlandauftritt Frankreichs im Oktober zu sehen. Ganz bewusst wurde deshalb auch das Motto „Francort en francais – Frankfurt auf Französisch“ zu Beginn der Zeremonie auf einer Leinwand eingeblendet.
Zu Gast im Hause Gallimard
Auf der literarischen und verlegerischen Ebene reicht die Zusammenarbeit zwischen Frankreich und Deutschland weit zurück – über alle historischen und gesellschaftlichen Verwerfungen hinweg. Das war auf der nächsten Station des Presseprogramms zu erfahren, im Hause des renommierten und einflussreichen Verlags Gallimard unweit von St. Germain des Prés. Bereits im Gründungsjahr 1911, so Verleger Antoine Gallimard, sei das fünfte Buch des jungen Verlags die Übersetzung von Friedrich Hebbels Drama „Judith“ gewesen. In den folgenden Jahrzehnten seien kontinuierlich deutschsprachige Dichter und Schriftsteller übersetzt worden: neben (modernen) Klassikern wie E.T.A. Hoffmann, Joseph Roth, Rainer Maria Rilke, Franz Kafka, Alfred Döblin und Thomas Mann auch Gegenwartsautoren wie Bernhard Schlink, Ferdinand von Schirach, Bodo Kirchhoff und Botho Strauß. Insgesamt seien bei Gallimard bis heute 737 deutschsprachige Werke auf Französisch erschienen, so Yvon Girard, der seit 30 Jahren bei Gallimard arbeitet. Was einen Verlag wie Gallimard beispielsweise von englischen und amerikanischen Verlagen unterscheide, so Rechtechefin Anne-Solange Noble, sei, dass man im Lizenzgeschäft nicht mit Agenten arbeite, sondern die Autoren selbst vertrete: „Wir bieten Romane an, die wir selbst gelesen haben.“
Vorletzter Programmpunkt am Donnerstag war die Eröffnung der „Nuit des idées“ im Quay d’Orsay, wo das Außenministerium residiert. Jean-Marc Ayrault und sein deutscher Amtskollege Frank-Walter Steinmeier, der zu einem Besuch an die Seine gekommen war, unterstrichen die Bedeutung dieses Kulturereignisses, das zu einer regelmäßigen, internationalen Veranstaltung werden soll. Angesichts der europäischen Krise sei es unerlässlich, den Austausch zu suchen und intellektuelle Debatten zu führen. Steinmeier, den Ayrault bereits als künftigen Bundespräsidenten begrüßte (Steinmeier: „Wir wollen doch erst die Wahl der Bundesversammlung abwarten“), ging auf die bevorstehenden Präsidentschaftswahlen in Frankreich und die Bundestagswahlen in Deutschland ein und fragte, ob die Kräfte gestärkt würden, die auf Abschottung und Renationalisierung setzen. In Anlehnung an Robert Musil sagte er: „Europa kann ein Magnet sein, wenn nicht, werden die Nationen nur noch Eisenspäne sein, die sich nach anderen ausrichten.“
Der Donnerstagabend klang mit einem Abstecher im „Machine du Moulin Rouge“ aus, einem Veranstaltungslokal, in dem im Rahmen der „Nuit des idées“ vor allem die junge Generation über Europa und Ideen für die Zukunft debattierte.
Gesprächsrunde im Maison de la Poésie
Nach einem kurzen Besuch der Bibliothèque Mazarine, der ältesten öffentlichen Bibliothek Frankreichs (innerhalb des weltberühmten Institut de France) ging die von der Agentur Buch Contact aufs Beste organisierte Pressereise nach Paris am Freitag mit einer Vortrags- und Fragerunde zu Ende. Im Maison de la Poésie, einem in Frankreich einzigartigen Literaturhaus, das Dichtung und andere Künste zusammenbringt, stellte das Team von „Francfort en francais“ die zentralen Programmpunkte des Gastlandauftritts vor. In Frankfurt werde eine neue literarische Generation zu sehen sein, so Evelyn Prawidlo, die Koordinatorin des literarischen Programms. Und es werde auch nicht ausschließlich um die Literatur Frankreichs im engeren Sinne gehen, erläuterte Xavier North, sondern um französischsprachige Literatur aus aller Welt. Das Motto des Gastlandauftritts laute daher nicht „Frankreich in Frankfurt“, sondern „Frankfurt auf Französisch“. Das Französische sei nicht nur eine Sprache, die über den Globus verteilt sei, sondern auch eine Sprache, die von Autoren anderssprachiger Herkunft als Sprache ihres literarischen Ausdrucks gesucht werde. Die Präsentation in Frankfurt stehe daher unter dem „Zeichen der Gastfreundschaft“. Alle Genres werden auf der Buchmesse vertreten sein, auch die traditionell in Frankreich starken „bandes dessinés“ (Comics bzw. Graphic Novel) – wobei man zudem in der Literatur eine Öffnung der Genres beobachten können.
Das gesamte Programm wird rund 4,8 Millionen Euro kosten (70 Prozent davon stammen aus öffentlichen Mitteln, der Rest wird von Sponsoren aufgebracht). Von Januar bis Oktober finden in mehr als 30 deutschen Städten über 450 literarische und künstlerische Veranstaltungen statt, und im gesamten Jahr 2017 wird es mehr als 1.400 Neuübersetzungen aus dem Französischen ins Deutsche geben.
Welche Autoren im Herbst nach Frankfurt kommen werden, war noch nicht zu erfahren. Gastland-Kommissar Paul de Sinety kündigte für Juni genauere Konturen des Gastlandauftritts auf der Messe an. Wie auch immer - die Botschaft lautet jetzt schon: Merci et bienvenu à Francfort!