Börsenblatt Young Excellence Award 2024

Helen Daughtrey: Zusammen liest man weniger allein

30. Juni 2024
Christina Busse

Für alle, die gerne mehr lesen wollen und sich dabei als Teil einer Gemeinschaft fühlen möchten, hat Helen Daughtrey den Online-Buchclub „Mädels, die lesen.“ gegründet. Helen Daughtrey ist beim #yeaward24 nominiert.

Helen Daughtrey - Porträtfoto mit Buch

Helen Daughtrey

Lesen – und austauschen

Für die mittlerweile rund 7.500 Mitglieder von „Mädels, die lesen.“ steht der Spaß am Lesen im Vordergrund – als Ausgleich zum stressigen Alltag und um in andere Welten abzutauchen. Gleichzeitig spornt der Austausch mit Gleichgesinnten dazu an, Neues auszuprobieren und den eigenen Horizont zu erweitern. Dafür organisiert Daughtrey, die sich selbst als Tagträumerin und Frohnatur beschreibt, verschiedene Veranstaltungsformate, wie virtuelle Film-, Mal- und Kochabende, Buchbesprechungen und Livestreams mit Autor*innen und Übersetzer*innen. Sogar ein Lese-Retreat auf einer Nordseeinsel war schon dabei.

„Den ersten Post bei Instagram gab es am 18. Januar 2020“, weiß die heute 34-Jährige ganz genau den Geburtstag von „Mädels, die lesen.“ – nicht umsonst bezeichnet sie den Buchclub auch als „mein Baby“. Von diesem Moment an öffneten sich für sie ganz unerwartet völlig neue Türen, nachdem sie im Jahr zuvor in einer schwerwiegenden Lebenskrise gesteckt hatte. „Ich hatte schon lange gemerkt, dass es mir mental und körperlich nicht gut ging, aber alle Anzeichen komplett ignoriert. Ich hatte gar keine Energie mehr und mich nach und nach in ein Burnout manövriert“, blickt die gebürtige Kölnerin zurück.

Lesen als Anker in stürmischen Zeiten

Nach dem Fachabitur hatte sie eine Ausbildung zur Bürokauffrau im zur Westermann-Gruppe gehörenden Bildungsverlag EINS gemacht und ein Bachelorstudium Mehrsprachige Kommunikation an der Technischen Hochschule in Köln angeschlossen. Mit der Sprachenkombination Englisch und Spanisch sollte es in Richtung Übersetzung gehen. „Außerdem reise ich sehr gerne und mit beiden Sprachen kommt man weit“, sagt Daughtrey, die nicht zuletzt dank ihres aus England stammenden Vaters anglophil geprägt ist und direkt nach der Schule für ein Jahr als Au-pair nach Schottland gegangen war. Später vertiefte sie ihre Spanischkenntnisse während eines Auslandssemesters in Kolumbien.

Schon während des Studiums fing sie im Fundraising bei der DKMS an, einer gemeinnützigen Organisation, die sich dem Kampf gegen Blutkrebs verschrieben hat. 2018 wechselte sie zur Deutschen Welle nach Bonn, wo sie im Bereich Produktentwicklung Digitale Plattformen tätig war, als sie merkte: „Ich kam innerlich überhaupt nicht mehr zur Ruhe, meine Gedanken rasten. Gleichzeitig fühlte ich mich körperlich unendlich schwach.“ Ihre Ärztin verordnete ihr eine sofortige Auszeit, Daughtrey blieb zu Hause, die Angst vor der Arbeitslosigkeit saß ihr im Nacken. „Bis ich mich eines Tages zu meinem Regal umgedreht habe, nach einem Buch gegriffen habe und in eine ganz andere Welt eingetaucht bin“, erinnert sie sich.

Ich kam innerlich überhaupt nicht mehr zur Ruhe, meine Gedanken rasten.

Griff ins Buchregal als Gamechanger

Nicht auf sich selbst fokussiert, „lesend und dabei gezwungenermaßen ruhend“, so Daughtrey, erholte sie sich in den folgenden Wochen und Monaten. „Ich las das erste Mal seit Jahren wieder richtig viel und griff dabei unbewusst immer wieder nach Büchern, in denen Frauen eine für mich wichtige Rolle spielten. Sie brachten mich dazu, mich dann doch auch mit mir selbst, meiner Vergangenheit, meinen Ängsten auseinanderzusetzen. Letztlich hat das Burnout dazu geführt, dass ich hardcoremäßig gelernt habe, Grenzen zu setzen und „Nein“ zu sagen.“

Zehn Seiten pro Tag reichen aus.

Ein Club rund ums Lesen

Vor allem die Lektüre von „Cat Person: Storys“ von Kirsten Roupenian beschäftigte sie. So sehr, dass der Wunsch in ihr wuchs, sich mit anderen Frauen darüber austauschen zu wollen: Mit dem ersten Instagram-Post @maedelsdielesen legte sie den Grundstein für eine rasch wachsende Online-Community, in der Frauen ihre Gedanken und Ideen zu einem jeweils gemeinsam gelesenen Buch besprechen. Im September 2020 bringt sie die Website maedelsdielesen an den Start, die noch im selben Jahr im Finale des Buchblog-Awards unter den zehn besten Newcomern nominiert ist. Kurz darauf ruft sie auf maedelsdielesen die „Schmökerrunde“ ins Leben, eine kostenpflichtige Mitgliedschaft, die Zugang zu vielen Extras eröffnet und dazu motiviert, regelmäßig ein Buch in die Hand zu nehmen.

Immer im Mittelpunkt: Die sogenannte Leserunde. Aktuell an der Reihe ist „Stolz und Vorurteil“ von Jane Austen, neu übersetzt von Manfred Allié und Gabriele Kempf-Allié. Es ist bereits Buch Nummer 62, das von den Schmökermädels gemeinsam gelesen wird. Die Titelauswahl findet in der „Schmökerrunde“ statt. Ihre Mitglieder, derzeit rund hundert Frauen im Alter zwischen 25 und 67 Jahren, können ihren Wunschtitel für die kommende Leserunde in einen virtuellen Lostopf werfen. Daughtrey stellt drei ausgeloste Titel in einem Livestream bei Instagram vor, die „Schmökerrunde“ stimmt über ihren Favoriten ab – und die neue Leserunde für alle Interessierten kann starten.

Dabei ist es Daughtrey wichtig, dass Lesen vor allem Freude bereiten soll. „Zehn Seiten pro Tag reichen aus. Wer möchte, kann natürlich mehr lesen“, führt sie aus. Für „Stolz und Vorurteil“ ist ein guter Monat angesetzt, regelmäßig findet ein Austausch statt, man lernt Autorin und Übersetzer*innen kennen und erfährt weitere interessante Dinge rund ums Buch. Im Mitgliederbereich macht das Online-Event „Schmökern & Schmausen“ die Lektüre schmackhaft, zum Abschluss sorgen eine Buchbesprechung und ein Filmabend für zusätzliches Gemeinschaftsgefühl.

Lesen ist eine tolle Chance, Gefühle aus der Schublade rauszuholen und sich mit anderen darüber auszutauschen.

Aus der Komfortzone wagen

Für den Auftritt vor einer größeren Gruppe hingegen müsse sie ihre Komfortzone verlassen. Mutig hat sie sich dieser Herausforderung im vergangenen Sommer gestellt, belohnt wurde sie mit etwas, das sie jetzt zu ihren Highlights zählt: Die Moderation des Seriencamp Bookclubs im Rahmen des Seriencamp-Festivals, dem größten deutschen Serien-Festival, in Köln. Zur Premiere der ZDFneo-Serie „Der Schatten“ sprach sie vor voll besetztem Kinosaal mit der Filmcrew, der Buchautorin und der Drehbuchautorin. „Es war super nervenaufreibend, aber ich probiere gern neue Dinge aus und so war es auch sehr cool. Es hat mir gezeigt, dass mehr möglich ist, wenn man selbst etwas in Angriff nimmt – auch Dinge, die man sich nicht vorstellen konnte“, erläutert Daughtrey.

Es ist mehr möglich, wenn man selbst etwas in Angriff nimmt – auch Dinge, die man sich nicht vorstellen konnte.

Wellness-Wochenende für Schmökermädels

Auch „Mädels, die lesen.“ entwickelt sie stetig weiter: Im März hat sie sich mit 14 weiteren Lesebegeisterten zum Lese-Retreat auf die Nordseeinsel Borkum zurückgezogen, „um abgekapselt von der Welt mit anderen Buchmenschen zusammen zu sein“ – ein Erlebnis, das sie noch in diesem Jahr wiederholen will, auf einem Hausboot in Holland. Und auch ihre Nominierung für den Börsenblatt Young Excellence Award hat ihre Fantasie beflügelt: Gemeinsam mit Buchhändlerin Jana Brammer, die ebenfalls nominiert ist, lädt sie zum „Mädels, die lesen.“-Sommerpicknick in den Burggarten der Burg Cadolzburg ein, gleich ums Eck von Brammers Buchhandlung.

Weitreichende Pläne hat Helen Daughtrey für das kommende Jahr: „Ich will mit meinem Partner zusammen eine Weltreise machen - auf dem Landweg nach Australien“, erzählt sie lachend, „und „Mädels, die lesen.“ soll dabei weiter laufen. Ich glaube daran, dass es in greifbarer Nähe liegt. Ich muss mich nur trauen.“ Bereits heute arbeitet sie manchmal im Van und führt sich auf diese Art und Weise ihr Ziel vor Augen. „Das fühlt sich toll an und zeigt mir: So könnte es sein.“ Sich voll und ganz „den Mädels“ zu widmen, ist eine Vorstellung, die sie glücklich macht.

Kurzvita: Helen Daughtrey

1990

geboren

2008 Fachabitur in Köln
2009-2012

Ausbildung zur Bürokauffrau im Bildungsverlag EINS GmbH (Westermann Gruppe), Köln

2012-2016

Studium Mehrsprachige Kommunikation an der Technischen Hochschule Köln (B.A.)

2016-2018

Mitarbeiterin im Community Fundraising bei der DKMS gGmbH, Köln

2020

Gründung der Online-Community „Mädels, die lesen.“

2021

Start des „Mädels, die lesen.“-Podcasts

Seit 2021 Sachbearbeiterin im Referat Informationen zum Studium im Ausland beim Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD), Bonn
   

 

Über den Börsenblatt Young Excellence Award

Der Börsenblatt Young Excellence Award wird jährlich von den Unternehmen der Börsenvereinsgruppe vergeben. Im Juni stellt die Börsenblatt-Redaktion alle Nominierten und ihre Arbeit mit persönlichen Online-Porträts vor – ein Kennenlernen mit den Kandidatinnen und Kandidaten gibt es zudem im Live-Format auf dem Instagram-Kanal des Börsenblatts. Die future!publish unterstützt den #yeaward24 als Partner.

Die Entscheidung, wer den #yeaward23 erhält, fällt im Zeitraum vom 01.07. bis 14.07.2024 bei der öffentlichen Publikumswahl auf www.boersenblatt.net

Alle Informationen zum Wettbewerb unter: www.young-excellence-award.de